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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Masse hellblonder neidischer Figuren ringsumher sonderbar abstach. Seine Rede
beweist, daß obgleich er, weil nicht im vollen Genuß seiner politischen Rechte,
Chartist, doch dem seine Nation bezeichnenden Gefühl der heiligen Scheu
vor dem Bestehenden, besonders wo die Veränderungen ins häusliche Leben
eingreifen sollen, nicht untreu geworden. Er erlaubt sich nämlich in vorsich¬
tigen, wahrhaft diplomatisch-feinen Wendungen, aber doch unumwunden die
Bemerkung, daß der Platz der Frauen am häuslichen Herde sei, nicht aber auf
der Kampfbühne der Politik. "Physisch betrachtet", sagt der unselige Redner,
"ist die Frau nicht zu politische" Functionen bestimmt. (Die Damenwelt steht
geräuschvoll von ihren Sitzen auf.) "Ich berufe mich desyab auf alle mit
ihren Kleinen hier anwesenden Mütter."

Ein überHand nehmendes Murren der Damen und die sich wiederholenden
Rufe "zur Ordnung" unterbrechen den Redner. Ein Master Saumon ruft ihm
zu, "ob er denn kaltes Wasser über die Vereinigung gießen wolle." Die Da¬
men beklatschen diese Aeußerung und Master Cohen kann seine Stimme nicht
erheben. Mrs. Susanne, die Secretairin der Versammlung, erhebt sich und
wendet sich an den vorigen Redner: "Ich möchte wohl wissen, warum Mr.
"Cohen uns erlaubt, hier zu poliren, wenn er der Meinung ist, wir sollten
"keine öffentlichen Funktionen bekleiden. Es gehören, sollte ich meinen, doch
"nicht eben viel physische Kräfte zum Votiren." Es ist indessen im Saale
einige Ruhe eingetreten und Master Cohen, der sich gar nicht für besiegt hält,
anwortet mit einem Argument a-I leim-lam. "Ich erlaube mir in aller Da-
"aueh und allem Respect die junge Dame, die so eben gesprochen, zu fragen,
"welche Art von Function sie bekleiden will? (Zur Ordnung! zur Ordnung!)
Ich will den Fall annehmen, sie befände sich im Unterhause als Reprä¬
sentantin" eines Fleckens und ein junger Gentleman, ihr Bräutigam oder
"Liebhaber, ebenfalls Mitglied der Kammer, suchte durch ihre Herzcnsverbin-
"dung einen Einfluß auf ihr Votum zu gewinnen; ich frage die junge Dame
"nun, was sie alsdann thun würde? Würde sie nicht das Interesse des Lar-
"des ein wenig aus dem Auge verlieren? (Zur Ordnung!) "Ich habe mich
"nicht von der Tagesordnung entfernt; im Gegentheil bin ich gar sehr für die
"Erweiterung der socialen Rechte der Frauen, will ihnen aber keine politischen
"eingeräumt wissen." Dieser gute Herr Cohen hat wahrscheinlich nicht gewußt,
kiirens c,"i<1 lemins, zios"it. Ich zitterte einen Augenblick lang, er möchte,
ein zweiter Orpheus, von den Mänaden zerrissen werden, so dicht drängten und
verfolgten ihn die Misses und Mistresses Chartistinncn, denen wahrscheinlich
daran lag, ihm einen Beweis von ihren "physischen Kräften" zu geben. Zu


Masse hellblonder neidischer Figuren ringsumher sonderbar abstach. Seine Rede
beweist, daß obgleich er, weil nicht im vollen Genuß seiner politischen Rechte,
Chartist, doch dem seine Nation bezeichnenden Gefühl der heiligen Scheu
vor dem Bestehenden, besonders wo die Veränderungen ins häusliche Leben
eingreifen sollen, nicht untreu geworden. Er erlaubt sich nämlich in vorsich¬
tigen, wahrhaft diplomatisch-feinen Wendungen, aber doch unumwunden die
Bemerkung, daß der Platz der Frauen am häuslichen Herde sei, nicht aber auf
der Kampfbühne der Politik. „Physisch betrachtet", sagt der unselige Redner,
„ist die Frau nicht zu politische» Functionen bestimmt. (Die Damenwelt steht
geräuschvoll von ihren Sitzen auf.) „Ich berufe mich desyab auf alle mit
ihren Kleinen hier anwesenden Mütter."

Ein überHand nehmendes Murren der Damen und die sich wiederholenden
Rufe „zur Ordnung" unterbrechen den Redner. Ein Master Saumon ruft ihm
zu, „ob er denn kaltes Wasser über die Vereinigung gießen wolle." Die Da¬
men beklatschen diese Aeußerung und Master Cohen kann seine Stimme nicht
erheben. Mrs. Susanne, die Secretairin der Versammlung, erhebt sich und
wendet sich an den vorigen Redner: „Ich möchte wohl wissen, warum Mr.
„Cohen uns erlaubt, hier zu poliren, wenn er der Meinung ist, wir sollten
„keine öffentlichen Funktionen bekleiden. Es gehören, sollte ich meinen, doch
„nicht eben viel physische Kräfte zum Votiren." Es ist indessen im Saale
einige Ruhe eingetreten und Master Cohen, der sich gar nicht für besiegt hält,
anwortet mit einem Argument a-I leim-lam. „Ich erlaube mir in aller Da-
„aueh und allem Respect die junge Dame, die so eben gesprochen, zu fragen,
„welche Art von Function sie bekleiden will? (Zur Ordnung! zur Ordnung!)
Ich will den Fall annehmen, sie befände sich im Unterhause als Reprä¬
sentantin» eines Fleckens und ein junger Gentleman, ihr Bräutigam oder
„Liebhaber, ebenfalls Mitglied der Kammer, suchte durch ihre Herzcnsverbin-
„dung einen Einfluß auf ihr Votum zu gewinnen; ich frage die junge Dame
„nun, was sie alsdann thun würde? Würde sie nicht das Interesse des Lar-
„des ein wenig aus dem Auge verlieren? (Zur Ordnung!) „Ich habe mich
„nicht von der Tagesordnung entfernt; im Gegentheil bin ich gar sehr für die
„Erweiterung der socialen Rechte der Frauen, will ihnen aber keine politischen
„eingeräumt wissen." Dieser gute Herr Cohen hat wahrscheinlich nicht gewußt,
kiirens c,»i<1 lemins, zios«it. Ich zitterte einen Augenblick lang, er möchte,
ein zweiter Orpheus, von den Mänaden zerrissen werden, so dicht drängten und
verfolgten ihn die Misses und Mistresses Chartistinncn, denen wahrscheinlich
daran lag, ihm einen Beweis von ihren „physischen Kräften" zu geben. Zu


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[0446] Masse hellblonder neidischer Figuren ringsumher sonderbar abstach. Seine Rede beweist, daß obgleich er, weil nicht im vollen Genuß seiner politischen Rechte, Chartist, doch dem seine Nation bezeichnenden Gefühl der heiligen Scheu vor dem Bestehenden, besonders wo die Veränderungen ins häusliche Leben eingreifen sollen, nicht untreu geworden. Er erlaubt sich nämlich in vorsich¬ tigen, wahrhaft diplomatisch-feinen Wendungen, aber doch unumwunden die Bemerkung, daß der Platz der Frauen am häuslichen Herde sei, nicht aber auf der Kampfbühne der Politik. „Physisch betrachtet", sagt der unselige Redner, „ist die Frau nicht zu politische» Functionen bestimmt. (Die Damenwelt steht geräuschvoll von ihren Sitzen auf.) „Ich berufe mich desyab auf alle mit ihren Kleinen hier anwesenden Mütter." Ein überHand nehmendes Murren der Damen und die sich wiederholenden Rufe „zur Ordnung" unterbrechen den Redner. Ein Master Saumon ruft ihm zu, „ob er denn kaltes Wasser über die Vereinigung gießen wolle." Die Da¬ men beklatschen diese Aeußerung und Master Cohen kann seine Stimme nicht erheben. Mrs. Susanne, die Secretairin der Versammlung, erhebt sich und wendet sich an den vorigen Redner: „Ich möchte wohl wissen, warum Mr. „Cohen uns erlaubt, hier zu poliren, wenn er der Meinung ist, wir sollten „keine öffentlichen Funktionen bekleiden. Es gehören, sollte ich meinen, doch „nicht eben viel physische Kräfte zum Votiren." Es ist indessen im Saale einige Ruhe eingetreten und Master Cohen, der sich gar nicht für besiegt hält, anwortet mit einem Argument a-I leim-lam. „Ich erlaube mir in aller Da- „aueh und allem Respect die junge Dame, die so eben gesprochen, zu fragen, „welche Art von Function sie bekleiden will? (Zur Ordnung! zur Ordnung!) Ich will den Fall annehmen, sie befände sich im Unterhause als Reprä¬ sentantin» eines Fleckens und ein junger Gentleman, ihr Bräutigam oder „Liebhaber, ebenfalls Mitglied der Kammer, suchte durch ihre Herzcnsverbin- „dung einen Einfluß auf ihr Votum zu gewinnen; ich frage die junge Dame „nun, was sie alsdann thun würde? Würde sie nicht das Interesse des Lar- „des ein wenig aus dem Auge verlieren? (Zur Ordnung!) „Ich habe mich „nicht von der Tagesordnung entfernt; im Gegentheil bin ich gar sehr für die „Erweiterung der socialen Rechte der Frauen, will ihnen aber keine politischen „eingeräumt wissen." Dieser gute Herr Cohen hat wahrscheinlich nicht gewußt, kiirens c,»i<1 lemins, zios«it. Ich zitterte einen Augenblick lang, er möchte, ein zweiter Orpheus, von den Mänaden zerrissen werden, so dicht drängten und verfolgten ihn die Misses und Mistresses Chartistinncn, denen wahrscheinlich daran lag, ihm einen Beweis von ihren „physischen Kräften" zu geben. Zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/446>, abgerufen am 23.07.2024.