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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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spalten hat einen Eichen Beruf und wird im Gedächtniß der Nach¬
welt sich erheben. Auch wir leben noch nicht im Licht und im Ge-
nuß; wir "sterben ungeduldig, freudenarm, im Morgengrauen des
Lichts." Auch über uns drücken Zwang und Nacht und so, meint
der Dichter, stehen auch uns Umwälzungen und schwere Kriege um
den Preis der Geschichte bevor:

"Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen,
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmäntcln oder dunkeln Kutten;
Den Albigensern folgen die Hussiten,
Und zahlen blutig heim, was jene litten;
Nach Huhi und Ziska kommen Luther, Hütten,
Die dreißig Jahre, die Cevennenstreiter,
Die Stürme der Bastille, und so weiter."

Ist denn aber die Freiheit, der Sieg deS Gedankens, wirklich
bei uns in dem Grade bedroht, wie der Dichter an vielen Orten
es andeutet, wie es die letzten Worte seines Werkes, das: und so
weiter" klar genug aussprechen; hat dieser politische Ingrimm,
der Tigersinn, der so herbe und schneidend durch die Dichtung fährt,
wirklich so viel Grund,, eine so allgemeine Bedeutung, wie das Ge¬
dicht annimmt, wie ohne Zweifel eine Menge Schriftsteller dem
Verfasser beifällig einräumen? Wir glauben es nicht; wir glauben,
daß der Verfasser, wo er die jetzigen öffentlichen Verhältnisse berührt,
die Farben'zu stark aufträgt, daß er die klagenden Saiten zu hef¬
tig reißt.

In Lenau's Gedicht ist eine Empfindung niedergelegt, die von
vielen Zeitgenossen getheilt wird, der Schmerz über die Bedrängniß
deS öffentlichen und geistigen Lebens, welchem der Trost ganz unbe¬
stimmt und abstract, alö einstiges Ueberwinden deS Gedankens vor¬
schwebt. Gewiß, die Wahrheit muß uns das rechte Heil bringen.
Aber woher diese Bitterkeit, dieser Weheruf, der so stark und durch¬
dringend nicht leicht anderswo alö in vorliegender Dichtung ertönt,
wozu dies Jagen in die Zukunft? Ist der Gedanke nicht auch wirk¬
lich lebendig in allen großen Epochen, bleibend und wachsend im
Geiste, in dem geistigen Reiche für immer? Dies zwar wird uns
nicht bestritten. Und doch führt uns unser Dichter nicht weiter, als


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spalten hat einen Eichen Beruf und wird im Gedächtniß der Nach¬
welt sich erheben. Auch wir leben noch nicht im Licht und im Ge-
nuß; wir „sterben ungeduldig, freudenarm, im Morgengrauen des
Lichts." Auch über uns drücken Zwang und Nacht und so, meint
der Dichter, stehen auch uns Umwälzungen und schwere Kriege um
den Preis der Geschichte bevor:

„Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen,
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmäntcln oder dunkeln Kutten;
Den Albigensern folgen die Hussiten,
Und zahlen blutig heim, was jene litten;
Nach Huhi und Ziska kommen Luther, Hütten,
Die dreißig Jahre, die Cevennenstreiter,
Die Stürme der Bastille, und so weiter."

Ist denn aber die Freiheit, der Sieg deS Gedankens, wirklich
bei uns in dem Grade bedroht, wie der Dichter an vielen Orten
es andeutet, wie es die letzten Worte seines Werkes, das: und so
weiter" klar genug aussprechen; hat dieser politische Ingrimm,
der Tigersinn, der so herbe und schneidend durch die Dichtung fährt,
wirklich so viel Grund,, eine so allgemeine Bedeutung, wie das Ge¬
dicht annimmt, wie ohne Zweifel eine Menge Schriftsteller dem
Verfasser beifällig einräumen? Wir glauben es nicht; wir glauben,
daß der Verfasser, wo er die jetzigen öffentlichen Verhältnisse berührt,
die Farben'zu stark aufträgt, daß er die klagenden Saiten zu hef¬
tig reißt.

In Lenau's Gedicht ist eine Empfindung niedergelegt, die von
vielen Zeitgenossen getheilt wird, der Schmerz über die Bedrängniß
deS öffentlichen und geistigen Lebens, welchem der Trost ganz unbe¬
stimmt und abstract, alö einstiges Ueberwinden deS Gedankens vor¬
schwebt. Gewiß, die Wahrheit muß uns das rechte Heil bringen.
Aber woher diese Bitterkeit, dieser Weheruf, der so stark und durch¬
dringend nicht leicht anderswo alö in vorliegender Dichtung ertönt,
wozu dies Jagen in die Zukunft? Ist der Gedanke nicht auch wirk¬
lich lebendig in allen großen Epochen, bleibend und wachsend im
Geiste, in dem geistigen Reiche für immer? Dies zwar wird uns
nicht bestritten. Und doch führt uns unser Dichter nicht weiter, als


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[0433] spalten hat einen Eichen Beruf und wird im Gedächtniß der Nach¬ welt sich erheben. Auch wir leben noch nicht im Licht und im Ge- nuß; wir „sterben ungeduldig, freudenarm, im Morgengrauen des Lichts." Auch über uns drücken Zwang und Nacht und so, meint der Dichter, stehen auch uns Umwälzungen und schwere Kriege um den Preis der Geschichte bevor: „Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen, Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen Mit Purpurmäntcln oder dunkeln Kutten; Den Albigensern folgen die Hussiten, Und zahlen blutig heim, was jene litten; Nach Huhi und Ziska kommen Luther, Hütten, Die dreißig Jahre, die Cevennenstreiter, Die Stürme der Bastille, und so weiter." Ist denn aber die Freiheit, der Sieg deS Gedankens, wirklich bei uns in dem Grade bedroht, wie der Dichter an vielen Orten es andeutet, wie es die letzten Worte seines Werkes, das: und so weiter" klar genug aussprechen; hat dieser politische Ingrimm, der Tigersinn, der so herbe und schneidend durch die Dichtung fährt, wirklich so viel Grund,, eine so allgemeine Bedeutung, wie das Ge¬ dicht annimmt, wie ohne Zweifel eine Menge Schriftsteller dem Verfasser beifällig einräumen? Wir glauben es nicht; wir glauben, daß der Verfasser, wo er die jetzigen öffentlichen Verhältnisse berührt, die Farben'zu stark aufträgt, daß er die klagenden Saiten zu hef¬ tig reißt. In Lenau's Gedicht ist eine Empfindung niedergelegt, die von vielen Zeitgenossen getheilt wird, der Schmerz über die Bedrängniß deS öffentlichen und geistigen Lebens, welchem der Trost ganz unbe¬ stimmt und abstract, alö einstiges Ueberwinden deS Gedankens vor¬ schwebt. Gewiß, die Wahrheit muß uns das rechte Heil bringen. Aber woher diese Bitterkeit, dieser Weheruf, der so stark und durch¬ dringend nicht leicht anderswo alö in vorliegender Dichtung ertönt, wozu dies Jagen in die Zukunft? Ist der Gedanke nicht auch wirk¬ lich lebendig in allen großen Epochen, bleibend und wachsend im Geiste, in dem geistigen Reiche für immer? Dies zwar wird uns nicht bestritten. Und doch führt uns unser Dichter nicht weiter, als 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/433>, abgerufen am 23.07.2024.