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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ihr gewahrt wissen und darum fragen wir nochmals, was ist per¬
sönlich und was nicht?

Die Frage ist von Wichtigkeit. Für daS Persönliche hat der
Schriftsteller mit seiner Person dem Beleidigten zu stehen; und je
würdiger und geachteter wir die Stellung deS Schriftstellers in der
Gesellschaft wünschen, desto nothwendiger ist es, daß kein Mackel an
seiner Ehre haften bleibe. Andrerseits aber ist Niemand so oft ge¬
nöthigt, Urtheile zu fällen, Interessen und Eitelkeiten zu kränken,
als eben der Schriftsteller; und es ist eben so nothwendig, ihm seine
Freiheit zu wahren. Soll jeder Narr, der sich durch irgend ein Wort
beleidigt glaubt, das Recht haben, ihn aus seiner Ruhe aufzustören?
Soll er wie jene Tempelbauer stets mit einer Hand die Kelle führen
und mit der andern das Schwert bereit halten?

Wir müssen einen besondern Umstand hier in Erwägung brin¬
gen. Die deutsche Schriftstellerwelt hat in den letzten Jahren durch
die aristokratische Literatur einen eigenthümlichen Zuwachs erhalten.
Wir sagen eigenthümlich, weil die Wappenschilde jener Autoren bei
ihrem Eintritt in die Gelehrtenrepublik nicht vor der Thüre draußen
weggestellt, sondern mit hineingenommen wurden. Auch Frankreich
und England haben Schriftsteller mit Grafen- und Fürstenkronen
aufzuweisen, aber diese Herrn gehn nicht wie die Theaterkönige mit
der Krone auf dem Kopf herum, die Pretentionen ihres Standes
zählen nicht gegenüber der literarischen Gleichheit, und der vernünf¬
tige Grundsatz findet seine Geltung: In der Kirche und in der
Literatur sind alle Menschen gleich.

In Deutschland ist es anders. Der aristokratische Schriftsteller
begreift nicht, daß er sich ehrt, indem er in den Kreis der besten
und edelsten Geister seiner Nation tritt, sondern er glaubt sich zu
ihr herabzulassen. Daß wir mit diesem Urtheile nicht zu weit gehen,
beweist schon der Umstand, daß in Frankreich und England der aristo¬
kratische Autor stets seinen vollen Namen auf seinen Werken nennt,
während der deutsche hinter allerlei Pseudonymen sich reserviren zu
müssen glaubt; wie die orientalischen Frauen nur mit einem Schleier
über dem Gesichte sich sehen lassen dürfen, um nicht von dem ge¬
meinen Blick berührt zu werden.

Was das Schlimmste dabei ist, daß die Haut dieser Herrn
wirklich feiner und empfindlicher zu sein scheint, als die gewöhnlicher


ihr gewahrt wissen und darum fragen wir nochmals, was ist per¬
sönlich und was nicht?

Die Frage ist von Wichtigkeit. Für daS Persönliche hat der
Schriftsteller mit seiner Person dem Beleidigten zu stehen; und je
würdiger und geachteter wir die Stellung deS Schriftstellers in der
Gesellschaft wünschen, desto nothwendiger ist es, daß kein Mackel an
seiner Ehre haften bleibe. Andrerseits aber ist Niemand so oft ge¬
nöthigt, Urtheile zu fällen, Interessen und Eitelkeiten zu kränken,
als eben der Schriftsteller; und es ist eben so nothwendig, ihm seine
Freiheit zu wahren. Soll jeder Narr, der sich durch irgend ein Wort
beleidigt glaubt, das Recht haben, ihn aus seiner Ruhe aufzustören?
Soll er wie jene Tempelbauer stets mit einer Hand die Kelle führen
und mit der andern das Schwert bereit halten?

Wir müssen einen besondern Umstand hier in Erwägung brin¬
gen. Die deutsche Schriftstellerwelt hat in den letzten Jahren durch
die aristokratische Literatur einen eigenthümlichen Zuwachs erhalten.
Wir sagen eigenthümlich, weil die Wappenschilde jener Autoren bei
ihrem Eintritt in die Gelehrtenrepublik nicht vor der Thüre draußen
weggestellt, sondern mit hineingenommen wurden. Auch Frankreich
und England haben Schriftsteller mit Grafen- und Fürstenkronen
aufzuweisen, aber diese Herrn gehn nicht wie die Theaterkönige mit
der Krone auf dem Kopf herum, die Pretentionen ihres Standes
zählen nicht gegenüber der literarischen Gleichheit, und der vernünf¬
tige Grundsatz findet seine Geltung: In der Kirche und in der
Literatur sind alle Menschen gleich.

In Deutschland ist es anders. Der aristokratische Schriftsteller
begreift nicht, daß er sich ehrt, indem er in den Kreis der besten
und edelsten Geister seiner Nation tritt, sondern er glaubt sich zu
ihr herabzulassen. Daß wir mit diesem Urtheile nicht zu weit gehen,
beweist schon der Umstand, daß in Frankreich und England der aristo¬
kratische Autor stets seinen vollen Namen auf seinen Werken nennt,
während der deutsche hinter allerlei Pseudonymen sich reserviren zu
müssen glaubt; wie die orientalischen Frauen nur mit einem Schleier
über dem Gesichte sich sehen lassen dürfen, um nicht von dem ge¬
meinen Blick berührt zu werden.

Was das Schlimmste dabei ist, daß die Haut dieser Herrn
wirklich feiner und empfindlicher zu sein scheint, als die gewöhnlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/40>, abgerufen am 23.07.2024.