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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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und das Journalpublikum sind zwei ganz verschiedene Corporatwne". Die
deutschen Journale, namentlich die belletristischen, werden nicht von Private"
für Haus und Familie gekauft, sondern von den Lesezirkeln, EasinoS, Cas<>6
öde. Da verschwindet das Wort mit dem Tag, wie das Blatt, nachdem es seine"
Dienst gethan, zerrissen oder zur Emballage wird: "Hast Du den Artikel von
gelesen?" -- Ich war unpäßlich, abwesend, beschäftigt und las seit einigen
Tagen kein Journal. -- Du mußt den Artikel lese", er ist witzig. -- Aber
wo ihn bekommen? Laufet den Wellen nach, um sie einzuholen. Und wie viele
Journale, die in der einen Gegend Deutschlands erscheinen, werden in der an¬
dern nicht gehalten, und vollends belletristische, kritische Journale. Wie
Viele, die solche keines Blickes würdigen. Erst im Buche spricht der Schrift¬
steller zur ganzen Nation. -- Was auch die hartnäckigsten Gegner Gustow's
gegen ihn vorbringen mögen; immerhin werden sie eingestehen, daß die Nation
nicht gleichgültig an einem ihrer anregendsten Geister vorübergehen darf; nicht
daß sie zu seiner Fahne schwören soll, aber seine Farben soll und muß
sie kennen, um im Kampfe der Zeit zu wissen,, wo und zu wem sie steht. Ich
bin weit entfernt, den Lobredner dieser gesammelten Schriften Gutzkow's zu
machen. Ohnstreitig ist in diesem Buche viel Unwahres, Leidenschaftliches,
Einseitiges, Gewaltsames, aber überall ist es eine kräftige, schneidende Hand,
die in die Dinge greift und ihren Antheil, wenn auch oft blutig, herausnimmt.
Das ist das Kräftige an Gutzkow, daß seine Aussprüche nicht gleichgültig las¬
sen, daß sie immer eine warme Zustimmung oder eine heiße Opposition hervor¬
rufen; aufregen wird er immer und seine falschesten Urtheile haben die Wir¬
kung eines Tuschbadcs, dessen Tropfen kalt und stechend auf den Kopf fallen,
aber eine Reaction hervorbringen, die stärkend und gesund ist. Und wie viel
Wahres, Treffliches, Glänzendes steht da neben den" Leidenschaftlichen und
Gewaltsamen. Die Gutzkowsche Kritik hat nicht das objective, ruhige Elem.ent,
welches die Dinge von allen Seiten betrachtet und die ganze Peripherie des¬
selben überschaut; sein Auge richtet sich gewöhnlich nach einem Punkte hin --
aber es ist das Auge eines Adlers, der Stellen sieht, die jedem Andern umsieht.
bar geblieben; auf solche stürzt er los und saßt sie mit gewaltigen Fingern
auf und trägt seine Beute fort, entweder um rettungslos sie zu zerfleischen oder
um zu seiner Höhe sie emporzutragcn und auf seinem Schilde sie emporzuheben.
Gutzkow, der Kritiker, ist ein Selbstherrscher im guten, wie im bösen Sinne;
voll Muth, Kraft, Genie, Eroberungslust, nur seinem eigenen Willen folgend,
darum oft vereinzelt, häusig bewundert, stets gefürchtet. So ist er immer
gewesen und so tritt ex aus dein vorliegenden Buche von Neuem uns entgegen,


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und das Journalpublikum sind zwei ganz verschiedene Corporatwne». Die
deutschen Journale, namentlich die belletristischen, werden nicht von Private»
für Haus und Familie gekauft, sondern von den Lesezirkeln, EasinoS, Cas<>6
öde. Da verschwindet das Wort mit dem Tag, wie das Blatt, nachdem es seine»
Dienst gethan, zerrissen oder zur Emballage wird: „Hast Du den Artikel von
gelesen?" — Ich war unpäßlich, abwesend, beschäftigt und las seit einigen
Tagen kein Journal. — Du mußt den Artikel lese», er ist witzig. — Aber
wo ihn bekommen? Laufet den Wellen nach, um sie einzuholen. Und wie viele
Journale, die in der einen Gegend Deutschlands erscheinen, werden in der an¬
dern nicht gehalten, und vollends belletristische, kritische Journale. Wie
Viele, die solche keines Blickes würdigen. Erst im Buche spricht der Schrift¬
steller zur ganzen Nation. — Was auch die hartnäckigsten Gegner Gustow's
gegen ihn vorbringen mögen; immerhin werden sie eingestehen, daß die Nation
nicht gleichgültig an einem ihrer anregendsten Geister vorübergehen darf; nicht
daß sie zu seiner Fahne schwören soll, aber seine Farben soll und muß
sie kennen, um im Kampfe der Zeit zu wissen,, wo und zu wem sie steht. Ich
bin weit entfernt, den Lobredner dieser gesammelten Schriften Gutzkow's zu
machen. Ohnstreitig ist in diesem Buche viel Unwahres, Leidenschaftliches,
Einseitiges, Gewaltsames, aber überall ist es eine kräftige, schneidende Hand,
die in die Dinge greift und ihren Antheil, wenn auch oft blutig, herausnimmt.
Das ist das Kräftige an Gutzkow, daß seine Aussprüche nicht gleichgültig las¬
sen, daß sie immer eine warme Zustimmung oder eine heiße Opposition hervor¬
rufen; aufregen wird er immer und seine falschesten Urtheile haben die Wir¬
kung eines Tuschbadcs, dessen Tropfen kalt und stechend auf den Kopf fallen,
aber eine Reaction hervorbringen, die stärkend und gesund ist. Und wie viel
Wahres, Treffliches, Glänzendes steht da neben den» Leidenschaftlichen und
Gewaltsamen. Die Gutzkowsche Kritik hat nicht das objective, ruhige Elem.ent,
welches die Dinge von allen Seiten betrachtet und die ganze Peripherie des¬
selben überschaut; sein Auge richtet sich gewöhnlich nach einem Punkte hin —
aber es ist das Auge eines Adlers, der Stellen sieht, die jedem Andern umsieht.
bar geblieben; auf solche stürzt er los und saßt sie mit gewaltigen Fingern
auf und trägt seine Beute fort, entweder um rettungslos sie zu zerfleischen oder
um zu seiner Höhe sie emporzutragcn und auf seinem Schilde sie emporzuheben.
Gutzkow, der Kritiker, ist ein Selbstherrscher im guten, wie im bösen Sinne;
voll Muth, Kraft, Genie, Eroberungslust, nur seinem eigenen Willen folgend,
darum oft vereinzelt, häusig bewundert, stets gefürchtet. So ist er immer
gewesen und so tritt ex aus dein vorliegenden Buche von Neuem uns entgegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/355>, abgerufen am 23.07.2024.