Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie Bouterweck sah und hörte; denn
er war mehr taub als hörend, eben so blind als sehend. Er schien
durch ein Ahnungsvermögen inne zu werden, was der Besuchende
vorbrachte, so daß er nur selten in der Konversation abseits ging oder
es an sich fehlen ließ. Wenn ein Wagen vor seinem schallenden
Hörsaal vorbeirasselte, so mußte er auf diesen Lärmen, der alle seine
Worte erstickte, durch ein allgemeines Stampfen der Zuhörerschaft
aufmerksam gemacht werden, wo er dann inne hielt, bis das rauhe
Pflaster sich beruhigte. Dies bewies, daß er sich selber nicht reden
hörte, ein bemerkenswerther Fall bet einem ästhetischen Professor.
Er hatte die Methode, wie viele Göttinger Docenten, Alles, was
er lehren wollte, zweimal vorzubringen; während nun der Schüler
den Geoanken aufs Papier hinfederte, gab ihm der Meister die
nöthige Zeit, indem er in lauter Kreisen und Schlingen sich um
den Gedanken drehte, und in beständigen Variationen des nämlichen
Satzes sich erging. Im Umgang hatte Bouterweck daS Benehmen
eines Hofmanns, und zwar eines solchen, der die Gunst und den
Respect der Menge auf seine Weise immer neu anzuschüren versteht.
Wendt, sein Nachfolger, mit seiner Leipziger Physiognomie, war auch
eine Spielart von einem Hofmann, nur entging ihm die rechte
Würde, das Ministerhafte; er vermeinte, mit dem Frack und Hofrath
sei eS gethan, und so kam er über die Staffel der Prinzenhofmeister-
lichkeit nicht weit hinaus. Auf unnachahmliche Weise haranguirte
Bouterweck wohl mit einer blinkenden Thonpfeife die an schönen
Sonn-und Feiertagen bei Tanz und Getränk im Walde bei Maria-
Spring versammelte Menge, worunter immer einige Tische voll
Honoratioren aus dem lateinischen Katalog waren. Behutsam und
sicher spazierte er durch die gefüllten Neihensitze hin, vernahm die
Grüße benickend, als ein Mann, der gewohnt ist, Huldigungen ge¬
recht zu finden, und der jeden Grad seiner Nackenbeugung mit dem
empfindlichsten Quadranten beimißt.

Ein baares Gegentheil dieses Professors war Schulze, der
schlaue Logicus, der jedem Ankömmling die ersten syllogistischen
Stiefeln anlegte. Jedermann hörte Schulze, den Mann, der von
Zeit zu Zeit die Neuigkeit wiederholte, daß Er es gewesen, der
Kant gestürzt! Berühmt waren seine Seelenkrankheiten, ein Jrrenhauö-
panorama, i" welchem er die Lehren seiner Gegner unterzubringen


Noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie Bouterweck sah und hörte; denn
er war mehr taub als hörend, eben so blind als sehend. Er schien
durch ein Ahnungsvermögen inne zu werden, was der Besuchende
vorbrachte, so daß er nur selten in der Konversation abseits ging oder
es an sich fehlen ließ. Wenn ein Wagen vor seinem schallenden
Hörsaal vorbeirasselte, so mußte er auf diesen Lärmen, der alle seine
Worte erstickte, durch ein allgemeines Stampfen der Zuhörerschaft
aufmerksam gemacht werden, wo er dann inne hielt, bis das rauhe
Pflaster sich beruhigte. Dies bewies, daß er sich selber nicht reden
hörte, ein bemerkenswerther Fall bet einem ästhetischen Professor.
Er hatte die Methode, wie viele Göttinger Docenten, Alles, was
er lehren wollte, zweimal vorzubringen; während nun der Schüler
den Geoanken aufs Papier hinfederte, gab ihm der Meister die
nöthige Zeit, indem er in lauter Kreisen und Schlingen sich um
den Gedanken drehte, und in beständigen Variationen des nämlichen
Satzes sich erging. Im Umgang hatte Bouterweck daS Benehmen
eines Hofmanns, und zwar eines solchen, der die Gunst und den
Respect der Menge auf seine Weise immer neu anzuschüren versteht.
Wendt, sein Nachfolger, mit seiner Leipziger Physiognomie, war auch
eine Spielart von einem Hofmann, nur entging ihm die rechte
Würde, das Ministerhafte; er vermeinte, mit dem Frack und Hofrath
sei eS gethan, und so kam er über die Staffel der Prinzenhofmeister-
lichkeit nicht weit hinaus. Auf unnachahmliche Weise haranguirte
Bouterweck wohl mit einer blinkenden Thonpfeife die an schönen
Sonn-und Feiertagen bei Tanz und Getränk im Walde bei Maria-
Spring versammelte Menge, worunter immer einige Tische voll
Honoratioren aus dem lateinischen Katalog waren. Behutsam und
sicher spazierte er durch die gefüllten Neihensitze hin, vernahm die
Grüße benickend, als ein Mann, der gewohnt ist, Huldigungen ge¬
recht zu finden, und der jeden Grad seiner Nackenbeugung mit dem
empfindlichsten Quadranten beimißt.

Ein baares Gegentheil dieses Professors war Schulze, der
schlaue Logicus, der jedem Ankömmling die ersten syllogistischen
Stiefeln anlegte. Jedermann hörte Schulze, den Mann, der von
Zeit zu Zeit die Neuigkeit wiederholte, daß Er es gewesen, der
Kant gestürzt! Berühmt waren seine Seelenkrankheiten, ein Jrrenhauö-
panorama, i» welchem er die Lehren seiner Gegner unterzubringen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266965"/>
            <p xml:id="ID_949" prev="#ID_948"> Noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie Bouterweck sah und hörte; denn<lb/>
er war mehr taub als hörend, eben so blind als sehend. Er schien<lb/>
durch ein Ahnungsvermögen inne zu werden, was der Besuchende<lb/>
vorbrachte, so daß er nur selten in der Konversation abseits ging oder<lb/>
es an sich fehlen ließ. Wenn ein Wagen vor seinem schallenden<lb/>
Hörsaal vorbeirasselte, so mußte er auf diesen Lärmen, der alle seine<lb/>
Worte erstickte, durch ein allgemeines Stampfen der Zuhörerschaft<lb/>
aufmerksam gemacht werden, wo er dann inne hielt, bis das rauhe<lb/>
Pflaster sich beruhigte. Dies bewies, daß er sich selber nicht reden<lb/>
hörte, ein bemerkenswerther Fall bet einem ästhetischen Professor.<lb/>
Er hatte die Methode, wie viele Göttinger Docenten, Alles, was<lb/>
er lehren wollte, zweimal vorzubringen; während nun der Schüler<lb/>
den Geoanken aufs Papier hinfederte, gab ihm der Meister die<lb/>
nöthige Zeit, indem er in lauter Kreisen und Schlingen sich um<lb/>
den Gedanken drehte, und in beständigen Variationen des nämlichen<lb/>
Satzes sich erging. Im Umgang hatte Bouterweck daS Benehmen<lb/>
eines Hofmanns, und zwar eines solchen, der die Gunst und den<lb/>
Respect der Menge auf seine Weise immer neu anzuschüren versteht.<lb/>
Wendt, sein Nachfolger, mit seiner Leipziger Physiognomie, war auch<lb/>
eine Spielart von einem Hofmann, nur entging ihm die rechte<lb/>
Würde, das Ministerhafte; er vermeinte, mit dem Frack und Hofrath<lb/>
sei eS gethan, und so kam er über die Staffel der Prinzenhofmeister-<lb/>
lichkeit nicht weit hinaus. Auf unnachahmliche Weise haranguirte<lb/>
Bouterweck wohl mit einer blinkenden Thonpfeife die an schönen<lb/>
Sonn-und Feiertagen bei Tanz und Getränk im Walde bei Maria-<lb/>
Spring versammelte Menge, worunter immer einige Tische voll<lb/>
Honoratioren aus dem lateinischen Katalog waren. Behutsam und<lb/>
sicher spazierte er durch die gefüllten Neihensitze hin, vernahm die<lb/>
Grüße benickend, als ein Mann, der gewohnt ist, Huldigungen ge¬<lb/>
recht zu finden, und der jeden Grad seiner Nackenbeugung mit dem<lb/>
empfindlichsten Quadranten beimißt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Ein baares Gegentheil dieses Professors war Schulze, der<lb/>
schlaue Logicus, der jedem Ankömmling die ersten syllogistischen<lb/>
Stiefeln anlegte. Jedermann hörte Schulze, den Mann, der von<lb/>
Zeit zu Zeit die Neuigkeit wiederholte, daß Er es gewesen, der<lb/>
Kant gestürzt! Berühmt waren seine Seelenkrankheiten, ein Jrrenhauö-<lb/>
panorama, i» welchem er die Lehren seiner Gegner unterzubringen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] Noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie Bouterweck sah und hörte; denn er war mehr taub als hörend, eben so blind als sehend. Er schien durch ein Ahnungsvermögen inne zu werden, was der Besuchende vorbrachte, so daß er nur selten in der Konversation abseits ging oder es an sich fehlen ließ. Wenn ein Wagen vor seinem schallenden Hörsaal vorbeirasselte, so mußte er auf diesen Lärmen, der alle seine Worte erstickte, durch ein allgemeines Stampfen der Zuhörerschaft aufmerksam gemacht werden, wo er dann inne hielt, bis das rauhe Pflaster sich beruhigte. Dies bewies, daß er sich selber nicht reden hörte, ein bemerkenswerther Fall bet einem ästhetischen Professor. Er hatte die Methode, wie viele Göttinger Docenten, Alles, was er lehren wollte, zweimal vorzubringen; während nun der Schüler den Geoanken aufs Papier hinfederte, gab ihm der Meister die nöthige Zeit, indem er in lauter Kreisen und Schlingen sich um den Gedanken drehte, und in beständigen Variationen des nämlichen Satzes sich erging. Im Umgang hatte Bouterweck daS Benehmen eines Hofmanns, und zwar eines solchen, der die Gunst und den Respect der Menge auf seine Weise immer neu anzuschüren versteht. Wendt, sein Nachfolger, mit seiner Leipziger Physiognomie, war auch eine Spielart von einem Hofmann, nur entging ihm die rechte Würde, das Ministerhafte; er vermeinte, mit dem Frack und Hofrath sei eS gethan, und so kam er über die Staffel der Prinzenhofmeister- lichkeit nicht weit hinaus. Auf unnachahmliche Weise haranguirte Bouterweck wohl mit einer blinkenden Thonpfeife die an schönen Sonn-und Feiertagen bei Tanz und Getränk im Walde bei Maria- Spring versammelte Menge, worunter immer einige Tische voll Honoratioren aus dem lateinischen Katalog waren. Behutsam und sicher spazierte er durch die gefüllten Neihensitze hin, vernahm die Grüße benickend, als ein Mann, der gewohnt ist, Huldigungen ge¬ recht zu finden, und der jeden Grad seiner Nackenbeugung mit dem empfindlichsten Quadranten beimißt. Ein baares Gegentheil dieses Professors war Schulze, der schlaue Logicus, der jedem Ankömmling die ersten syllogistischen Stiefeln anlegte. Jedermann hörte Schulze, den Mann, der von Zeit zu Zeit die Neuigkeit wiederholte, daß Er es gewesen, der Kant gestürzt! Berühmt waren seine Seelenkrankheiten, ein Jrrenhauö- panorama, i» welchem er die Lehren seiner Gegner unterzubringen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/348>, abgerufen am 23.07.2024.