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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ist, eine gute Prise Pariser; sodann theilt unser Wirth und Held
uns vielleicht ein Stück von seinen Thesen zur Reformation der
Hegel'schen Philosophie und Lutherischen Theologie mit -- o, die
Universität Wittenberg ist aufgehoben, der Professor, der an die
dortige Schloßkirche die fünfundneunzig Sätze der Reformation
annagelte, ist todt, L. Feuerbach ist nicht über den Privatdocenten
hinausgekommen, und Bruckberg hat zwar ein Schloß, aber keine
Kirche . . . was unsere Zeit so krank macht, Schlösser gibt eS wohl,
aber keine solche Kirche, von der das Wort des Lebens in alle
Weltlichkett wieder ausgehen könnte. Bauen wir eine Kirche, so
baut jetzt eiliger als je der Teufel eine Kapelle daneben; laßt sehen,
ob es besser komme. Jeder in seiner Art sehe, ob er helfen könne,
es besser zu machen. Feuerbach sucht eS in seiner Weise mit frischem
Quellwasser und verzehrenden Gedankenfeuer; kalt Wasser mag un¬
sere Zeit nicht leiden, eS muß lau, noch besser Dampf, also weder
Wasser noch Geist sein. Vielleicht, daß ein anderer, nicht so ver¬
neinender Geist, der ruhiger zu Wege geht, den Stab an die rechte
Stelle schlägt, wo die Wasser des neuen Lebens entspringen mögen.
Feuerbach ist der Mann nicht, vielleicht aber ist es überhaupt nicht
ein einzelner Mann, sicher aber wohl nicht eher die Zeit des Heiles,
als bis die Sturmflut des Unglücks wieder das versumpfte Leben
aufpeitscht, und die Menschheit, im Feuer der Trübsal von den Schlak-
Zen der Afterbildung gereinigt und geläutert wieder frisches, lauteres
Wasser aus Gott und seinem ewig festen Worte, das nur ergriffen
und verstanden sein will, um Geist und Leben zu sein, zu suchen
und zu finden weiß ...

Solche Gedanken tauchen in uns auf und nieder unter den
Anschauungen und Betrachtungen des heutigen Tages, der uns ei¬
nen so seltnen Mann vorgeführt hat. Ein Mann, ein Mensch im
vollen Sinne deS Wortes zu sein, das bleibt unserem Feuerbach;
fehlt ihm zu den fünf Sinnen nicht der Geist, zum Geist nicht die
Seele, die sich an allem Lebendigen, an Natur und Schöpfung er¬
füllt, erglüht er im Forschensdrange, ist Wissenschaft, Kunst, Sittlich¬
keit ihm heilig -- mag er die Religion nicht, weil er die Pfaffen
haßt, will er Gott nicht draußen wissen, weil er ihn in der Natur
und im Busen fühlt, schilt er die Bibel, um die Mystiker zu loben,
ist er in seiner Weise unchrtstlich, aber fromm, unbiblisch, aber reli-


ist, eine gute Prise Pariser; sodann theilt unser Wirth und Held
uns vielleicht ein Stück von seinen Thesen zur Reformation der
Hegel'schen Philosophie und Lutherischen Theologie mit — o, die
Universität Wittenberg ist aufgehoben, der Professor, der an die
dortige Schloßkirche die fünfundneunzig Sätze der Reformation
annagelte, ist todt, L. Feuerbach ist nicht über den Privatdocenten
hinausgekommen, und Bruckberg hat zwar ein Schloß, aber keine
Kirche . . . was unsere Zeit so krank macht, Schlösser gibt eS wohl,
aber keine solche Kirche, von der das Wort des Lebens in alle
Weltlichkett wieder ausgehen könnte. Bauen wir eine Kirche, so
baut jetzt eiliger als je der Teufel eine Kapelle daneben; laßt sehen,
ob es besser komme. Jeder in seiner Art sehe, ob er helfen könne,
es besser zu machen. Feuerbach sucht eS in seiner Weise mit frischem
Quellwasser und verzehrenden Gedankenfeuer; kalt Wasser mag un¬
sere Zeit nicht leiden, eS muß lau, noch besser Dampf, also weder
Wasser noch Geist sein. Vielleicht, daß ein anderer, nicht so ver¬
neinender Geist, der ruhiger zu Wege geht, den Stab an die rechte
Stelle schlägt, wo die Wasser des neuen Lebens entspringen mögen.
Feuerbach ist der Mann nicht, vielleicht aber ist es überhaupt nicht
ein einzelner Mann, sicher aber wohl nicht eher die Zeit des Heiles,
als bis die Sturmflut des Unglücks wieder das versumpfte Leben
aufpeitscht, und die Menschheit, im Feuer der Trübsal von den Schlak-
Zen der Afterbildung gereinigt und geläutert wieder frisches, lauteres
Wasser aus Gott und seinem ewig festen Worte, das nur ergriffen
und verstanden sein will, um Geist und Leben zu sein, zu suchen
und zu finden weiß ...

Solche Gedanken tauchen in uns auf und nieder unter den
Anschauungen und Betrachtungen des heutigen Tages, der uns ei¬
nen so seltnen Mann vorgeführt hat. Ein Mann, ein Mensch im
vollen Sinne deS Wortes zu sein, das bleibt unserem Feuerbach;
fehlt ihm zu den fünf Sinnen nicht der Geist, zum Geist nicht die
Seele, die sich an allem Lebendigen, an Natur und Schöpfung er¬
füllt, erglüht er im Forschensdrange, ist Wissenschaft, Kunst, Sittlich¬
keit ihm heilig — mag er die Religion nicht, weil er die Pfaffen
haßt, will er Gott nicht draußen wissen, weil er ihn in der Natur
und im Busen fühlt, schilt er die Bibel, um die Mystiker zu loben,
ist er in seiner Weise unchrtstlich, aber fromm, unbiblisch, aber reli-


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[0034] ist, eine gute Prise Pariser; sodann theilt unser Wirth und Held uns vielleicht ein Stück von seinen Thesen zur Reformation der Hegel'schen Philosophie und Lutherischen Theologie mit — o, die Universität Wittenberg ist aufgehoben, der Professor, der an die dortige Schloßkirche die fünfundneunzig Sätze der Reformation annagelte, ist todt, L. Feuerbach ist nicht über den Privatdocenten hinausgekommen, und Bruckberg hat zwar ein Schloß, aber keine Kirche . . . was unsere Zeit so krank macht, Schlösser gibt eS wohl, aber keine solche Kirche, von der das Wort des Lebens in alle Weltlichkett wieder ausgehen könnte. Bauen wir eine Kirche, so baut jetzt eiliger als je der Teufel eine Kapelle daneben; laßt sehen, ob es besser komme. Jeder in seiner Art sehe, ob er helfen könne, es besser zu machen. Feuerbach sucht eS in seiner Weise mit frischem Quellwasser und verzehrenden Gedankenfeuer; kalt Wasser mag un¬ sere Zeit nicht leiden, eS muß lau, noch besser Dampf, also weder Wasser noch Geist sein. Vielleicht, daß ein anderer, nicht so ver¬ neinender Geist, der ruhiger zu Wege geht, den Stab an die rechte Stelle schlägt, wo die Wasser des neuen Lebens entspringen mögen. Feuerbach ist der Mann nicht, vielleicht aber ist es überhaupt nicht ein einzelner Mann, sicher aber wohl nicht eher die Zeit des Heiles, als bis die Sturmflut des Unglücks wieder das versumpfte Leben aufpeitscht, und die Menschheit, im Feuer der Trübsal von den Schlak- Zen der Afterbildung gereinigt und geläutert wieder frisches, lauteres Wasser aus Gott und seinem ewig festen Worte, das nur ergriffen und verstanden sein will, um Geist und Leben zu sein, zu suchen und zu finden weiß ... Solche Gedanken tauchen in uns auf und nieder unter den Anschauungen und Betrachtungen des heutigen Tages, der uns ei¬ nen so seltnen Mann vorgeführt hat. Ein Mann, ein Mensch im vollen Sinne deS Wortes zu sein, das bleibt unserem Feuerbach; fehlt ihm zu den fünf Sinnen nicht der Geist, zum Geist nicht die Seele, die sich an allem Lebendigen, an Natur und Schöpfung er¬ füllt, erglüht er im Forschensdrange, ist Wissenschaft, Kunst, Sittlich¬ keit ihm heilig — mag er die Religion nicht, weil er die Pfaffen haßt, will er Gott nicht draußen wissen, weil er ihn in der Natur und im Busen fühlt, schilt er die Bibel, um die Mystiker zu loben, ist er in seiner Weise unchrtstlich, aber fromm, unbiblisch, aber reli-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/34>, abgerufen am 23.07.2024.