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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sten Fabriken möglich macht, blieb den Alten Alles unzugänglich
wozu irgend eine bedeutende Kraft oder irgend ein complicirteren
Werkzeug nöthig war. Nur wozu keine kostspieligen Maschinen und
keine accurat gearbeiteten Werkzeuge erforderlich waren, nur hierin
hatten sie es zur Vollkommenheit gebracht. So haben sie eigentlich
auch nie irgend eine schon geprägte Münze gehabt.

Dagegen müssen wir aber auch eingestehen, daß, eine je größere
Ausdehnung das Manufactur- und Fabrikwesen in Europa erhält,
desto mehr auch -- und dies ist unausbleiblich nothwendig -- alle
individuelle Industrie verschwindet und verkümmert. Der isolirto
Mensch, und sei er auch noch so genial, wird bei uns von den gro¬
ßen Capitalien und den durch sie erzeugten Kräften erdrückt, die dem
gewöhnlichen Geschäftsbetriebe zu Gebote stehen: er nimmt sich da¬
her auch nicht die Mühe zu denken oder seine Hände zu einer di¬
rekten Production zu üben. Was würde auch in der That der ge¬
schickteste Schreiber heute gewinnen, wenn er einen Wettkampf mir
der Drucker- oder Lithographenklasse eingehen sollte? Oder was ver¬
mag selbst der Schnellläufer Mensen Ernst gegen den Dampf? Und
ist nicht der englische Werkstuhl der Ruin der besten flamändischen
Spinnerin? So mögen auch z. B. die geringsten chinesischen Arbeiter
handgeschickter fein, oder die des Alterthums es gewesen sein, als
unsere besten in Europa ; aber sie waren und sind nichts gegen die .
kleinste unserer Maschinen.




Wenn die Alten in Bezug auf Philosophie, Literatur, Archi-
tectur und Bildhauerkunst -- denn ihre Malerei kenne" wir ja nur
aus Berichten -- unsere Lehrer und Meister waren, so haben wir
einerseits in Bezug auf gewerbliche und gemeinnützige Thätigkeit
und Kunst sie weit überflügelt und fern hinter uns gelassen, wäh¬
rend wir andrerseits in Bezug auf schöne Künste uns mis gelehrige
Schüler erwiesen haben, und so nah als möglich, wenn auch nicht
an das unerreichbare Ideal des Vollkvmmnen, doch an unsere llassi.
sehen Meister herangetreten sind.

So lange dieses Letztere nicht der Fall gewesen war, konnte
man die Meinung ausstellen, es drehe das Leben der Menschheit sich


sten Fabriken möglich macht, blieb den Alten Alles unzugänglich
wozu irgend eine bedeutende Kraft oder irgend ein complicirteren
Werkzeug nöthig war. Nur wozu keine kostspieligen Maschinen und
keine accurat gearbeiteten Werkzeuge erforderlich waren, nur hierin
hatten sie es zur Vollkommenheit gebracht. So haben sie eigentlich
auch nie irgend eine schon geprägte Münze gehabt.

Dagegen müssen wir aber auch eingestehen, daß, eine je größere
Ausdehnung das Manufactur- und Fabrikwesen in Europa erhält,
desto mehr auch — und dies ist unausbleiblich nothwendig — alle
individuelle Industrie verschwindet und verkümmert. Der isolirto
Mensch, und sei er auch noch so genial, wird bei uns von den gro¬
ßen Capitalien und den durch sie erzeugten Kräften erdrückt, die dem
gewöhnlichen Geschäftsbetriebe zu Gebote stehen: er nimmt sich da¬
her auch nicht die Mühe zu denken oder seine Hände zu einer di¬
rekten Production zu üben. Was würde auch in der That der ge¬
schickteste Schreiber heute gewinnen, wenn er einen Wettkampf mir
der Drucker- oder Lithographenklasse eingehen sollte? Oder was ver¬
mag selbst der Schnellläufer Mensen Ernst gegen den Dampf? Und
ist nicht der englische Werkstuhl der Ruin der besten flamändischen
Spinnerin? So mögen auch z. B. die geringsten chinesischen Arbeiter
handgeschickter fein, oder die des Alterthums es gewesen sein, als
unsere besten in Europa ; aber sie waren und sind nichts gegen die .
kleinste unserer Maschinen.




Wenn die Alten in Bezug auf Philosophie, Literatur, Archi-
tectur und Bildhauerkunst — denn ihre Malerei kenne» wir ja nur
aus Berichten — unsere Lehrer und Meister waren, so haben wir
einerseits in Bezug auf gewerbliche und gemeinnützige Thätigkeit
und Kunst sie weit überflügelt und fern hinter uns gelassen, wäh¬
rend wir andrerseits in Bezug auf schöne Künste uns mis gelehrige
Schüler erwiesen haben, und so nah als möglich, wenn auch nicht
an das unerreichbare Ideal des Vollkvmmnen, doch an unsere llassi.
sehen Meister herangetreten sind.

So lange dieses Letztere nicht der Fall gewesen war, konnte
man die Meinung ausstellen, es drehe das Leben der Menschheit sich


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[0311] sten Fabriken möglich macht, blieb den Alten Alles unzugänglich wozu irgend eine bedeutende Kraft oder irgend ein complicirteren Werkzeug nöthig war. Nur wozu keine kostspieligen Maschinen und keine accurat gearbeiteten Werkzeuge erforderlich waren, nur hierin hatten sie es zur Vollkommenheit gebracht. So haben sie eigentlich auch nie irgend eine schon geprägte Münze gehabt. Dagegen müssen wir aber auch eingestehen, daß, eine je größere Ausdehnung das Manufactur- und Fabrikwesen in Europa erhält, desto mehr auch — und dies ist unausbleiblich nothwendig — alle individuelle Industrie verschwindet und verkümmert. Der isolirto Mensch, und sei er auch noch so genial, wird bei uns von den gro¬ ßen Capitalien und den durch sie erzeugten Kräften erdrückt, die dem gewöhnlichen Geschäftsbetriebe zu Gebote stehen: er nimmt sich da¬ her auch nicht die Mühe zu denken oder seine Hände zu einer di¬ rekten Production zu üben. Was würde auch in der That der ge¬ schickteste Schreiber heute gewinnen, wenn er einen Wettkampf mir der Drucker- oder Lithographenklasse eingehen sollte? Oder was ver¬ mag selbst der Schnellläufer Mensen Ernst gegen den Dampf? Und ist nicht der englische Werkstuhl der Ruin der besten flamändischen Spinnerin? So mögen auch z. B. die geringsten chinesischen Arbeiter handgeschickter fein, oder die des Alterthums es gewesen sein, als unsere besten in Europa ; aber sie waren und sind nichts gegen die . kleinste unserer Maschinen. Wenn die Alten in Bezug auf Philosophie, Literatur, Archi- tectur und Bildhauerkunst — denn ihre Malerei kenne» wir ja nur aus Berichten — unsere Lehrer und Meister waren, so haben wir einerseits in Bezug auf gewerbliche und gemeinnützige Thätigkeit und Kunst sie weit überflügelt und fern hinter uns gelassen, wäh¬ rend wir andrerseits in Bezug auf schöne Künste uns mis gelehrige Schüler erwiesen haben, und so nah als möglich, wenn auch nicht an das unerreichbare Ideal des Vollkvmmnen, doch an unsere llassi. sehen Meister herangetreten sind. So lange dieses Letztere nicht der Fall gewesen war, konnte man die Meinung ausstellen, es drehe das Leben der Menschheit sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/311>, abgerufen am 26.08.2024.