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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Widerspiegelung deS Humors. Das aber, waS ihn immer aus
dem Strome ruhiger Entwicklung auftauchen läßt, was ihn immer
wieder aus der dunklen Tiefe des Gedankens in die lichte Er¬
scheinung deS farbenvollen Bildes aufschnellt, was ist eS an¬
ders, als -- sein poetischer Genius. Und darin ist er
Franke. Wohl liebt eS auch dieser deutsche Stamm, in die Tiefen
von Natur und Gottheit sich zu versenken, den finstern Räthseln deS
Bestehens nachzusinnen, nach dem Ausgang ins ewige Licht zu for¬
schen -- aber weniger im Element des reinen Gedankens, als im
Element der Anschauung, weniger auf dem Wege der Begriffs-, als
auf dem der Welt- und Lebens-Dialektik. Die Natur, die Geschichte,
das Herz geben ihm die lichten Bilder, in denen sich die Geheim--
nisse der Ewigkeiten auf die ihm vernehmliche Weise spiegeln. Ich
habe eS in den frühern Briefen über Schwaben und Franken ausein¬
andergesetzt, wie das Organ des fränkischen Genius vorzugsweise
die Fantasie ist, wie er darum minder für die Philosophie als
für die Poesie genaturt ist. Sein offener Sinn für alle Weiten
und Breiten der Natur ist der willige Diener für die huldreiche
Herrin. So hat Franken dem nachbarlichen Schwabenstamme keinen
Philosophen entgegenzustellen, aber es hat einen Göthe, einen I.
Paul, einen Fr. Rückert zum Ersatz. Sie alle sind in ihrer Art Philo¬
sophen und Denker, meistens nur zu viel für die Realitäten, welche
die Poesie verlangt. Aber Göthe wollte sich nie und nimmer ein
System vor seine freie Aussicht in Natur und Welt und Menschheit
"hinpfählen" lassen; Jean Paul und Rückert fliehen vor dem starren
Gedanken immer in das weiche, faßlichere Bild zurück. Der Natur¬
sinn, die Fantasie, der poetische Genius ist eS denn, der auch un¬
serem Feuerbach die philosophische Palme entreißt.

Darf ich den schwäbischen Philosophen Schelling, Hegel, Wag¬
ner die drei fränkischen Dichter Göthe, I. Paul und Rückert
gegenüberstellen, so mag ich auch sür Feuerbach eine in meinen frü¬
hern Briefen charakterisirte schwäbische Erscheinung entsprechend fin¬
den. Auch einen noch jungen Mann, der zwischen Philosophie und
Poesie in der Mitte steht, der, wenn er dichten will, denken muß und
wenn er denken will, dichtet, der Poet genug ist, um sich sein Phi¬
losophiren zu verderben, und Philosoph genug, um sich sein Dichten zu
zerstören. Ich meine den sonst freilich nicht so bedeutenden und originellen,


Widerspiegelung deS Humors. Das aber, waS ihn immer aus
dem Strome ruhiger Entwicklung auftauchen läßt, was ihn immer
wieder aus der dunklen Tiefe des Gedankens in die lichte Er¬
scheinung deS farbenvollen Bildes aufschnellt, was ist eS an¬
ders, als — sein poetischer Genius. Und darin ist er
Franke. Wohl liebt eS auch dieser deutsche Stamm, in die Tiefen
von Natur und Gottheit sich zu versenken, den finstern Räthseln deS
Bestehens nachzusinnen, nach dem Ausgang ins ewige Licht zu for¬
schen — aber weniger im Element des reinen Gedankens, als im
Element der Anschauung, weniger auf dem Wege der Begriffs-, als
auf dem der Welt- und Lebens-Dialektik. Die Natur, die Geschichte,
das Herz geben ihm die lichten Bilder, in denen sich die Geheim--
nisse der Ewigkeiten auf die ihm vernehmliche Weise spiegeln. Ich
habe eS in den frühern Briefen über Schwaben und Franken ausein¬
andergesetzt, wie das Organ des fränkischen Genius vorzugsweise
die Fantasie ist, wie er darum minder für die Philosophie als
für die Poesie genaturt ist. Sein offener Sinn für alle Weiten
und Breiten der Natur ist der willige Diener für die huldreiche
Herrin. So hat Franken dem nachbarlichen Schwabenstamme keinen
Philosophen entgegenzustellen, aber es hat einen Göthe, einen I.
Paul, einen Fr. Rückert zum Ersatz. Sie alle sind in ihrer Art Philo¬
sophen und Denker, meistens nur zu viel für die Realitäten, welche
die Poesie verlangt. Aber Göthe wollte sich nie und nimmer ein
System vor seine freie Aussicht in Natur und Welt und Menschheit
„hinpfählen" lassen; Jean Paul und Rückert fliehen vor dem starren
Gedanken immer in das weiche, faßlichere Bild zurück. Der Natur¬
sinn, die Fantasie, der poetische Genius ist eS denn, der auch un¬
serem Feuerbach die philosophische Palme entreißt.

Darf ich den schwäbischen Philosophen Schelling, Hegel, Wag¬
ner die drei fränkischen Dichter Göthe, I. Paul und Rückert
gegenüberstellen, so mag ich auch sür Feuerbach eine in meinen frü¬
hern Briefen charakterisirte schwäbische Erscheinung entsprechend fin¬
den. Auch einen noch jungen Mann, der zwischen Philosophie und
Poesie in der Mitte steht, der, wenn er dichten will, denken muß und
wenn er denken will, dichtet, der Poet genug ist, um sich sein Phi¬
losophiren zu verderben, und Philosoph genug, um sich sein Dichten zu
zerstören. Ich meine den sonst freilich nicht so bedeutenden und originellen,


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[0028] Widerspiegelung deS Humors. Das aber, waS ihn immer aus dem Strome ruhiger Entwicklung auftauchen läßt, was ihn immer wieder aus der dunklen Tiefe des Gedankens in die lichte Er¬ scheinung deS farbenvollen Bildes aufschnellt, was ist eS an¬ ders, als — sein poetischer Genius. Und darin ist er Franke. Wohl liebt eS auch dieser deutsche Stamm, in die Tiefen von Natur und Gottheit sich zu versenken, den finstern Räthseln deS Bestehens nachzusinnen, nach dem Ausgang ins ewige Licht zu for¬ schen — aber weniger im Element des reinen Gedankens, als im Element der Anschauung, weniger auf dem Wege der Begriffs-, als auf dem der Welt- und Lebens-Dialektik. Die Natur, die Geschichte, das Herz geben ihm die lichten Bilder, in denen sich die Geheim-- nisse der Ewigkeiten auf die ihm vernehmliche Weise spiegeln. Ich habe eS in den frühern Briefen über Schwaben und Franken ausein¬ andergesetzt, wie das Organ des fränkischen Genius vorzugsweise die Fantasie ist, wie er darum minder für die Philosophie als für die Poesie genaturt ist. Sein offener Sinn für alle Weiten und Breiten der Natur ist der willige Diener für die huldreiche Herrin. So hat Franken dem nachbarlichen Schwabenstamme keinen Philosophen entgegenzustellen, aber es hat einen Göthe, einen I. Paul, einen Fr. Rückert zum Ersatz. Sie alle sind in ihrer Art Philo¬ sophen und Denker, meistens nur zu viel für die Realitäten, welche die Poesie verlangt. Aber Göthe wollte sich nie und nimmer ein System vor seine freie Aussicht in Natur und Welt und Menschheit „hinpfählen" lassen; Jean Paul und Rückert fliehen vor dem starren Gedanken immer in das weiche, faßlichere Bild zurück. Der Natur¬ sinn, die Fantasie, der poetische Genius ist eS denn, der auch un¬ serem Feuerbach die philosophische Palme entreißt. Darf ich den schwäbischen Philosophen Schelling, Hegel, Wag¬ ner die drei fränkischen Dichter Göthe, I. Paul und Rückert gegenüberstellen, so mag ich auch sür Feuerbach eine in meinen frü¬ hern Briefen charakterisirte schwäbische Erscheinung entsprechend fin¬ den. Auch einen noch jungen Mann, der zwischen Philosophie und Poesie in der Mitte steht, der, wenn er dichten will, denken muß und wenn er denken will, dichtet, der Poet genug ist, um sich sein Phi¬ losophiren zu verderben, und Philosoph genug, um sich sein Dichten zu zerstören. Ich meine den sonst freilich nicht so bedeutenden und originellen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/28>, abgerufen am 23.07.2024.