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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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eben, daß ich schon seit längerer Zeit mich eines Wortes bediene,
dessen eigentliche Bedeutung unenträthselt, geheimnißumschleiert ist,
eines Wortes, das ein Schiboleth geworden ist für alle Parteien,
deren jede es nach Belieben anders ausspricht und anders versteht;
eines Wortes, um dessenwillen ganze Ströme von Blut geflossen und
das einer ganzen Menge von Systembauern zum schönen Vorwand
gedient hat, um ihre Ideen und ihre eigenen Personen der Welt
annehmbar zu machen, eines Wortes endlich, das man nur noch
scheu und ängstlich ausspricht, so sehr ist es mißbraucht worden, des
Wortes Volk. Denn wahrlich, wenn man nur einigermaßen den
Gang der Dinge in unserer Zeit kennt und über die ersten Täusch¬
ungen hinaus ist, muß man dann nicht jedesmal, so oft man aus
dem Munde eines unsrer vielen glänzenden Redner mit Begeisterung
das heilige Wort Volk kommen Hort, die Frage sich stellen: --
Was will der gute Mann eigentlich? Wo will er hinaus?

Denn bisher sind fast alle Systemfabrikanten, alle jene vorgeb-
lichen großen Wohlthäter des Volkes mehr oder minder dem Moliiue-
schen Don Juan ähnlich gewesen, der einem Armen, den er im Walde
antrifft, ein Goldstück als Almosen giebt, blos damit er dafür einen
Fluch ausspreche. So war auch hinter all den socialen Verbesser¬
ungen, hinter all den goldnen Bergen, welche jene Herren uns ver¬
sprochen haben, immer noch der Hinterhalt eines Wenn oder Aber
verborgen. Man mußte stets ihr ganzes Programm unterzeichnen,
gewissermaßen die von ihnen beliebte Konstitution beschwören, ehe
man in ihr Eldorado eingelassen wurde. Daher hat denn auch
das Volk meistentheils nicht einmal gewußt, daß diese Leute eristir-
ten und sich in ihrer Gnade rin ihm zu beschäftigen geruhten. Und
man thut daher auch, nach meiner Ansicht, Unrecht, sich mit diesen
Leuten in eine ernsthafte Discusston einzulassen: man brauchte für
sie nur ein Feenmährchen zu erfinden, das in Tausend und Einer
Nacht noch fehlt, und das folgendermaßen anfangen müßte: "Es
gab einmal ein Volk, wo Jedermann wenigstens 20,000 Thaler
besaß und wo selbst die am wenigsten vom Schicksal Begünstigten
Grafen oder Freiherrn waren. Dieses Volk nun war sehr un¬
glücklich....."

Wenn ich also den Wunsch ausspreche, es möge ein Mann
von eben so viel Herz als Talent es unternehmen, dem Strome jener


eben, daß ich schon seit längerer Zeit mich eines Wortes bediene,
dessen eigentliche Bedeutung unenträthselt, geheimnißumschleiert ist,
eines Wortes, das ein Schiboleth geworden ist für alle Parteien,
deren jede es nach Belieben anders ausspricht und anders versteht;
eines Wortes, um dessenwillen ganze Ströme von Blut geflossen und
das einer ganzen Menge von Systembauern zum schönen Vorwand
gedient hat, um ihre Ideen und ihre eigenen Personen der Welt
annehmbar zu machen, eines Wortes endlich, das man nur noch
scheu und ängstlich ausspricht, so sehr ist es mißbraucht worden, des
Wortes Volk. Denn wahrlich, wenn man nur einigermaßen den
Gang der Dinge in unserer Zeit kennt und über die ersten Täusch¬
ungen hinaus ist, muß man dann nicht jedesmal, so oft man aus
dem Munde eines unsrer vielen glänzenden Redner mit Begeisterung
das heilige Wort Volk kommen Hort, die Frage sich stellen: —
Was will der gute Mann eigentlich? Wo will er hinaus?

Denn bisher sind fast alle Systemfabrikanten, alle jene vorgeb-
lichen großen Wohlthäter des Volkes mehr oder minder dem Moliiue-
schen Don Juan ähnlich gewesen, der einem Armen, den er im Walde
antrifft, ein Goldstück als Almosen giebt, blos damit er dafür einen
Fluch ausspreche. So war auch hinter all den socialen Verbesser¬
ungen, hinter all den goldnen Bergen, welche jene Herren uns ver¬
sprochen haben, immer noch der Hinterhalt eines Wenn oder Aber
verborgen. Man mußte stets ihr ganzes Programm unterzeichnen,
gewissermaßen die von ihnen beliebte Konstitution beschwören, ehe
man in ihr Eldorado eingelassen wurde. Daher hat denn auch
das Volk meistentheils nicht einmal gewußt, daß diese Leute eristir-
ten und sich in ihrer Gnade rin ihm zu beschäftigen geruhten. Und
man thut daher auch, nach meiner Ansicht, Unrecht, sich mit diesen
Leuten in eine ernsthafte Discusston einzulassen: man brauchte für
sie nur ein Feenmährchen zu erfinden, das in Tausend und Einer
Nacht noch fehlt, und das folgendermaßen anfangen müßte: „Es
gab einmal ein Volk, wo Jedermann wenigstens 20,000 Thaler
besaß und wo selbst die am wenigsten vom Schicksal Begünstigten
Grafen oder Freiherrn waren. Dieses Volk nun war sehr un¬
glücklich....."

Wenn ich also den Wunsch ausspreche, es möge ein Mann
von eben so viel Herz als Talent es unternehmen, dem Strome jener


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[0267] eben, daß ich schon seit längerer Zeit mich eines Wortes bediene, dessen eigentliche Bedeutung unenträthselt, geheimnißumschleiert ist, eines Wortes, das ein Schiboleth geworden ist für alle Parteien, deren jede es nach Belieben anders ausspricht und anders versteht; eines Wortes, um dessenwillen ganze Ströme von Blut geflossen und das einer ganzen Menge von Systembauern zum schönen Vorwand gedient hat, um ihre Ideen und ihre eigenen Personen der Welt annehmbar zu machen, eines Wortes endlich, das man nur noch scheu und ängstlich ausspricht, so sehr ist es mißbraucht worden, des Wortes Volk. Denn wahrlich, wenn man nur einigermaßen den Gang der Dinge in unserer Zeit kennt und über die ersten Täusch¬ ungen hinaus ist, muß man dann nicht jedesmal, so oft man aus dem Munde eines unsrer vielen glänzenden Redner mit Begeisterung das heilige Wort Volk kommen Hort, die Frage sich stellen: — Was will der gute Mann eigentlich? Wo will er hinaus? Denn bisher sind fast alle Systemfabrikanten, alle jene vorgeb- lichen großen Wohlthäter des Volkes mehr oder minder dem Moliiue- schen Don Juan ähnlich gewesen, der einem Armen, den er im Walde antrifft, ein Goldstück als Almosen giebt, blos damit er dafür einen Fluch ausspreche. So war auch hinter all den socialen Verbesser¬ ungen, hinter all den goldnen Bergen, welche jene Herren uns ver¬ sprochen haben, immer noch der Hinterhalt eines Wenn oder Aber verborgen. Man mußte stets ihr ganzes Programm unterzeichnen, gewissermaßen die von ihnen beliebte Konstitution beschwören, ehe man in ihr Eldorado eingelassen wurde. Daher hat denn auch das Volk meistentheils nicht einmal gewußt, daß diese Leute eristir- ten und sich in ihrer Gnade rin ihm zu beschäftigen geruhten. Und man thut daher auch, nach meiner Ansicht, Unrecht, sich mit diesen Leuten in eine ernsthafte Discusston einzulassen: man brauchte für sie nur ein Feenmährchen zu erfinden, das in Tausend und Einer Nacht noch fehlt, und das folgendermaßen anfangen müßte: „Es gab einmal ein Volk, wo Jedermann wenigstens 20,000 Thaler besaß und wo selbst die am wenigsten vom Schicksal Begünstigten Grafen oder Freiherrn waren. Dieses Volk nun war sehr un¬ glücklich....." Wenn ich also den Wunsch ausspreche, es möge ein Mann von eben so viel Herz als Talent es unternehmen, dem Strome jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/267>, abgerufen am 23.07.2024.