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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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die Nachrichten über unsere literarischen und wissenschaftlichen Autoritäten in
fremden Sprachen werden lesen müssen. Aus dem kürzlich von Armand
Sandes über die Philosophie Spinoza's und ihre Fortsetzung in Deutschland
veröffentlichten Werke erfahren wir zum ersten Male Schelling's Vorhaben
über die Publikation seiner Werke. Aus einem dort angeführten Briefe Neander's
sind nämlich folgende Bücher von Schelling zu erwarten, welche die Darstellung
seines neuen Systems vollständig enthalten sollen. 1) Die Einleitung in
Form einer Geschichte der Philosophie seit Descartes; 2) positive Philosophie;
") Philosophie der Offenbarung; 4) Philosophie der Mythologie; und S) Na¬
turphilosophie. Das erste dieser Werke ist bereits ganz vollendet, doch soll es
nur mit den folgenden dreien zusammen veröffentlicht werden; das fünfte soll
erst nach Schelling's Tod erscheinen. Diese Aufschlüsse über Schelling's Thä¬
tigkeit erhält man in Berlin aus einem in Paris erschienenen Buche- Der
große Philosoph, der gegen seine Hypochondrie den Sprudel in Carlsbad zu
Hülfe zu rufen denkt, scheint wenig Vertrauen zu den Berlinern zu haben.
Diejenigen, welche Schelling nicht persönlich kennen, erinnern wir an die kleine
Silhouette, welche Lewald von ihm gab. "Auch einen kleinen Mann bemerkte
ich oft," heißt es in dessen Panorama von München, "gewöhnlich im braunen
Ueberrocke, ein Band im Knopfloche, runden Hut, die Hände auf dem Rücken,
einen Regenschirm haltend. Es lag nichts Ueberraschendes in der Erscheinung
und doch etwas Anziehendes. Ich hatte mir den Mann oft angesehen, ohne
zu wissen, warum, und mir so sein Bild tief eingeprägt. Unter einer mäßigen
Stirn, von dünnem, grauem Haar umsäumt, zwei kleine graue Augen von
mattem Ausdrucke; doch lag Poesie in dem Blicke und dieß verrieth den Dich¬
ter mehr, als die Stirn den Denker verrathen hätte. Eine kleine, dünne Nase,
die man seit undenklichen Zeiten ü, I-" Koxolane zu nennen pflegt, d. h. die
Spitze etwas nach oben gekehrt, wie sie das Profil von Sokrates und Pitt
auszeichnete. Neben dieser Nase, auf der Wange, eine Warze. Der Raum
zwischen Nase und Mund breit, und dieser weit, schön gezogen, dabei weniger
thierisch, als beredt erscheinend, das Kinn endlich kurz, etwas hervorstehend.
Der Schritt dieses Mannes fest auftretend, sehr gleichmäßig. Dieß ist Schelling,
der in seinen Vorlesungen keinen Berliner hospitiren lassen
will, Jacobi öffentlich auf dem Katheder einen lmdövils schalt und Hegel'S
Philosophie ein Mondkalb nannte.,,




die Nachrichten über unsere literarischen und wissenschaftlichen Autoritäten in
fremden Sprachen werden lesen müssen. Aus dem kürzlich von Armand
Sandes über die Philosophie Spinoza's und ihre Fortsetzung in Deutschland
veröffentlichten Werke erfahren wir zum ersten Male Schelling's Vorhaben
über die Publikation seiner Werke. Aus einem dort angeführten Briefe Neander's
sind nämlich folgende Bücher von Schelling zu erwarten, welche die Darstellung
seines neuen Systems vollständig enthalten sollen. 1) Die Einleitung in
Form einer Geschichte der Philosophie seit Descartes; 2) positive Philosophie;
») Philosophie der Offenbarung; 4) Philosophie der Mythologie; und S) Na¬
turphilosophie. Das erste dieser Werke ist bereits ganz vollendet, doch soll es
nur mit den folgenden dreien zusammen veröffentlicht werden; das fünfte soll
erst nach Schelling's Tod erscheinen. Diese Aufschlüsse über Schelling's Thä¬
tigkeit erhält man in Berlin aus einem in Paris erschienenen Buche- Der
große Philosoph, der gegen seine Hypochondrie den Sprudel in Carlsbad zu
Hülfe zu rufen denkt, scheint wenig Vertrauen zu den Berlinern zu haben.
Diejenigen, welche Schelling nicht persönlich kennen, erinnern wir an die kleine
Silhouette, welche Lewald von ihm gab. „Auch einen kleinen Mann bemerkte
ich oft," heißt es in dessen Panorama von München, „gewöhnlich im braunen
Ueberrocke, ein Band im Knopfloche, runden Hut, die Hände auf dem Rücken,
einen Regenschirm haltend. Es lag nichts Ueberraschendes in der Erscheinung
und doch etwas Anziehendes. Ich hatte mir den Mann oft angesehen, ohne
zu wissen, warum, und mir so sein Bild tief eingeprägt. Unter einer mäßigen
Stirn, von dünnem, grauem Haar umsäumt, zwei kleine graue Augen von
mattem Ausdrucke; doch lag Poesie in dem Blicke und dieß verrieth den Dich¬
ter mehr, als die Stirn den Denker verrathen hätte. Eine kleine, dünne Nase,
die man seit undenklichen Zeiten ü, I-» Koxolane zu nennen pflegt, d. h. die
Spitze etwas nach oben gekehrt, wie sie das Profil von Sokrates und Pitt
auszeichnete. Neben dieser Nase, auf der Wange, eine Warze. Der Raum
zwischen Nase und Mund breit, und dieser weit, schön gezogen, dabei weniger
thierisch, als beredt erscheinend, das Kinn endlich kurz, etwas hervorstehend.
Der Schritt dieses Mannes fest auftretend, sehr gleichmäßig. Dieß ist Schelling,
der in seinen Vorlesungen keinen Berliner hospitiren lassen
will, Jacobi öffentlich auf dem Katheder einen lmdövils schalt und Hegel'S
Philosophie ein Mondkalb nannte.,,




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[0251] die Nachrichten über unsere literarischen und wissenschaftlichen Autoritäten in fremden Sprachen werden lesen müssen. Aus dem kürzlich von Armand Sandes über die Philosophie Spinoza's und ihre Fortsetzung in Deutschland veröffentlichten Werke erfahren wir zum ersten Male Schelling's Vorhaben über die Publikation seiner Werke. Aus einem dort angeführten Briefe Neander's sind nämlich folgende Bücher von Schelling zu erwarten, welche die Darstellung seines neuen Systems vollständig enthalten sollen. 1) Die Einleitung in Form einer Geschichte der Philosophie seit Descartes; 2) positive Philosophie; ») Philosophie der Offenbarung; 4) Philosophie der Mythologie; und S) Na¬ turphilosophie. Das erste dieser Werke ist bereits ganz vollendet, doch soll es nur mit den folgenden dreien zusammen veröffentlicht werden; das fünfte soll erst nach Schelling's Tod erscheinen. Diese Aufschlüsse über Schelling's Thä¬ tigkeit erhält man in Berlin aus einem in Paris erschienenen Buche- Der große Philosoph, der gegen seine Hypochondrie den Sprudel in Carlsbad zu Hülfe zu rufen denkt, scheint wenig Vertrauen zu den Berlinern zu haben. Diejenigen, welche Schelling nicht persönlich kennen, erinnern wir an die kleine Silhouette, welche Lewald von ihm gab. „Auch einen kleinen Mann bemerkte ich oft," heißt es in dessen Panorama von München, „gewöhnlich im braunen Ueberrocke, ein Band im Knopfloche, runden Hut, die Hände auf dem Rücken, einen Regenschirm haltend. Es lag nichts Ueberraschendes in der Erscheinung und doch etwas Anziehendes. Ich hatte mir den Mann oft angesehen, ohne zu wissen, warum, und mir so sein Bild tief eingeprägt. Unter einer mäßigen Stirn, von dünnem, grauem Haar umsäumt, zwei kleine graue Augen von mattem Ausdrucke; doch lag Poesie in dem Blicke und dieß verrieth den Dich¬ ter mehr, als die Stirn den Denker verrathen hätte. Eine kleine, dünne Nase, die man seit undenklichen Zeiten ü, I-» Koxolane zu nennen pflegt, d. h. die Spitze etwas nach oben gekehrt, wie sie das Profil von Sokrates und Pitt auszeichnete. Neben dieser Nase, auf der Wange, eine Warze. Der Raum zwischen Nase und Mund breit, und dieser weit, schön gezogen, dabei weniger thierisch, als beredt erscheinend, das Kinn endlich kurz, etwas hervorstehend. Der Schritt dieses Mannes fest auftretend, sehr gleichmäßig. Dieß ist Schelling, der in seinen Vorlesungen keinen Berliner hospitiren lassen will, Jacobi öffentlich auf dem Katheder einen lmdövils schalt und Hegel'S Philosophie ein Mondkalb nannte.,,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/251>, abgerufen am 23.07.2024.