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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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den allgemeineren Kreisen des Lebens, die sich jetzt um uns schlingen, den Werth
des Nächsten, die Liebe zum Boden, zu Volk, zur Sprache, Geschichte und Sitte
festzuhalten weiß. Der Verkehr, welcher jetzt ganze Völker einander näher
bringt, die Gegenwärtigkeit, in welche alle Dinge treten, wird vielleicht eine
ganz neue sprachliche Entwickelung hervorrufen: die Sprache müßte ja den
Verkehrsmitteln, welche die Technik liefert, gewachsen sein. Doch steht nicht zu
befürchten, daß eine farblose, matte Allgemeinheit daraus zu Tage komme, ein
schmiegsamer Ausdruck der Allerweltlichkeit -- denn weiter schaut die beliebte
Weltliteratur nicht; sondern, durch den persönlichen Verkehr, tritt der Mensch
dem Menschen erst recht mit seiner ganzen eigenthümlichen Entschiedenheit, sei¬
nem unaustilgbaren Wesen, gegenüber. -- Für einen weitern Gesichtskreis
ist in diesem Betracht die Naturanlage solcher Vereinsländer, wie die Nieder¬
lande, die Schweiz u. a., von großer künstiger Wichtigkeit; und es ist ein nicht
zu mißkennender Grundzug in diesen Ländern der Mitte, daß sie den Sinn für
das Besondere und Heimathliche bewahren, als wollten sie dadurch andeuten,
daß sie, vermöge ihrer eigensten Kräfte, dem gewaltsamen Ueberfluthen eines
Elementes in das andere, sich entgegenzustellen im Stande sind. --

Es macht immer einen sonderbaren Eindruck, wenn man in Belgien,
einem Lande, welches sich nach Außen der völligen Unabhängigkeit, nach Innen
einer staatlichen und industriellen Entwickelung erfreut, die ganz sein eignes
Werk ist, in fremden Blättern, wie dieß so gern in französischen geschieht, so¬
gar die politische Existenz desselben zweifelhaft gemacht findet. In dem Ab¬
schluß oder Abbruch eines Handelstraktates glaubt man das künftige Geschick
eines Volkes voraussehen zu können; in dem Gebrauche der einen oder andern
Sprache für die öffentlichen Geschäfte sucht man Gründe, um die Interes¬
sen dieser oder jener Partei mit Hoffnung zu nähren. Ein Volk, das sich frei
fühlt, wird nichts anderes zu thun haben, als zu zeigen, was es ist, an den
Tag zu heben, was für geistige und historische Schätze in ihm ruhen. Wir
sehen Belgien, das jüngste Erzeugniß der europäischen Geschichte, als den Bo¬
den an, der, nicht bloß durch seine Lage, wie man oft sagt, sondern ebenso sehr
durch die innere Anlage der Bewohner, geeignet ist, die verschiedenen Charaktere
der drei Hauptvölker, die sich um dasselbe reihen, in nahe Berührung, in gei¬
stigen und materiellen Verkehr zu bringen. Dieser Verkehr wird dem Lande
eine reiche und blühende Bildung gewähren; und es kommt ihm selbst, durch
das Festhalten an seinem eignen Centrum und durch die Pflege der mannich-
fachen Culturkeime, die es enthält, entgegen.

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den allgemeineren Kreisen des Lebens, die sich jetzt um uns schlingen, den Werth
des Nächsten, die Liebe zum Boden, zu Volk, zur Sprache, Geschichte und Sitte
festzuhalten weiß. Der Verkehr, welcher jetzt ganze Völker einander näher
bringt, die Gegenwärtigkeit, in welche alle Dinge treten, wird vielleicht eine
ganz neue sprachliche Entwickelung hervorrufen: die Sprache müßte ja den
Verkehrsmitteln, welche die Technik liefert, gewachsen sein. Doch steht nicht zu
befürchten, daß eine farblose, matte Allgemeinheit daraus zu Tage komme, ein
schmiegsamer Ausdruck der Allerweltlichkeit — denn weiter schaut die beliebte
Weltliteratur nicht; sondern, durch den persönlichen Verkehr, tritt der Mensch
dem Menschen erst recht mit seiner ganzen eigenthümlichen Entschiedenheit, sei¬
nem unaustilgbaren Wesen, gegenüber. — Für einen weitern Gesichtskreis
ist in diesem Betracht die Naturanlage solcher Vereinsländer, wie die Nieder¬
lande, die Schweiz u. a., von großer künstiger Wichtigkeit; und es ist ein nicht
zu mißkennender Grundzug in diesen Ländern der Mitte, daß sie den Sinn für
das Besondere und Heimathliche bewahren, als wollten sie dadurch andeuten,
daß sie, vermöge ihrer eigensten Kräfte, dem gewaltsamen Ueberfluthen eines
Elementes in das andere, sich entgegenzustellen im Stande sind. —

Es macht immer einen sonderbaren Eindruck, wenn man in Belgien,
einem Lande, welches sich nach Außen der völligen Unabhängigkeit, nach Innen
einer staatlichen und industriellen Entwickelung erfreut, die ganz sein eignes
Werk ist, in fremden Blättern, wie dieß so gern in französischen geschieht, so¬
gar die politische Existenz desselben zweifelhaft gemacht findet. In dem Ab¬
schluß oder Abbruch eines Handelstraktates glaubt man das künftige Geschick
eines Volkes voraussehen zu können; in dem Gebrauche der einen oder andern
Sprache für die öffentlichen Geschäfte sucht man Gründe, um die Interes¬
sen dieser oder jener Partei mit Hoffnung zu nähren. Ein Volk, das sich frei
fühlt, wird nichts anderes zu thun haben, als zu zeigen, was es ist, an den
Tag zu heben, was für geistige und historische Schätze in ihm ruhen. Wir
sehen Belgien, das jüngste Erzeugniß der europäischen Geschichte, als den Bo¬
den an, der, nicht bloß durch seine Lage, wie man oft sagt, sondern ebenso sehr
durch die innere Anlage der Bewohner, geeignet ist, die verschiedenen Charaktere
der drei Hauptvölker, die sich um dasselbe reihen, in nahe Berührung, in gei¬
stigen und materiellen Verkehr zu bringen. Dieser Verkehr wird dem Lande
eine reiche und blühende Bildung gewähren; und es kommt ihm selbst, durch
das Festhalten an seinem eignen Centrum und durch die Pflege der mannich-
fachen Culturkeime, die es enthält, entgegen.

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[55/0063] den allgemeineren Kreisen des Lebens, die sich jetzt um uns schlingen, den Werth des Nächsten, die Liebe zum Boden, zu Volk, zur Sprache, Geschichte und Sitte festzuhalten weiß. Der Verkehr, welcher jetzt ganze Völker einander näher bringt, die Gegenwärtigkeit, in welche alle Dinge treten, wird vielleicht eine ganz neue sprachliche Entwickelung hervorrufen: die Sprache müßte ja den Verkehrsmitteln, welche die Technik liefert, gewachsen sein. Doch steht nicht zu befürchten, daß eine farblose, matte Allgemeinheit daraus zu Tage komme, ein schmiegsamer Ausdruck der Allerweltlichkeit — denn weiter schaut die beliebte Weltliteratur nicht; sondern, durch den persönlichen Verkehr, tritt der Mensch dem Menschen erst recht mit seiner ganzen eigenthümlichen Entschiedenheit, sei¬ nem unaustilgbaren Wesen, gegenüber. — Für einen weitern Gesichtskreis ist in diesem Betracht die Naturanlage solcher Vereinsländer, wie die Nieder¬ lande, die Schweiz u. a., von großer künstiger Wichtigkeit; und es ist ein nicht zu mißkennender Grundzug in diesen Ländern der Mitte, daß sie den Sinn für das Besondere und Heimathliche bewahren, als wollten sie dadurch andeuten, daß sie, vermöge ihrer eigensten Kräfte, dem gewaltsamen Ueberfluthen eines Elementes in das andere, sich entgegenzustellen im Stande sind. — Es macht immer einen sonderbaren Eindruck, wenn man in Belgien, einem Lande, welches sich nach Außen der völligen Unabhängigkeit, nach Innen einer staatlichen und industriellen Entwickelung erfreut, die ganz sein eignes Werk ist, in fremden Blättern, wie dieß so gern in französischen geschieht, so¬ gar die politische Existenz desselben zweifelhaft gemacht findet. In dem Ab¬ schluß oder Abbruch eines Handelstraktates glaubt man das künftige Geschick eines Volkes voraussehen zu können; in dem Gebrauche der einen oder andern Sprache für die öffentlichen Geschäfte sucht man Gründe, um die Interes¬ sen dieser oder jener Partei mit Hoffnung zu nähren. Ein Volk, das sich frei fühlt, wird nichts anderes zu thun haben, als zu zeigen, was es ist, an den Tag zu heben, was für geistige und historische Schätze in ihm ruhen. Wir sehen Belgien, das jüngste Erzeugniß der europäischen Geschichte, als den Bo¬ den an, der, nicht bloß durch seine Lage, wie man oft sagt, sondern ebenso sehr durch die innere Anlage der Bewohner, geeignet ist, die verschiedenen Charaktere der drei Hauptvölker, die sich um dasselbe reihen, in nahe Berührung, in gei¬ stigen und materiellen Verkehr zu bringen. Dieser Verkehr wird dem Lande eine reiche und blühende Bildung gewähren; und es kommt ihm selbst, durch das Festhalten an seinem eignen Centrum und durch die Pflege der mannich- fachen Culturkeime, die es enthält, entgegen. Sch. 8*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/63>, abgerufen am 17.05.2024.