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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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hatte, und es gar nicht zu verschmähen schien, sich beträchtliche Autorrechte
auszahlen zu lassen für Werke, die er nicht verfaßt hatte, faßte den Ent¬
schluß, die deutsche Muse zu bearbeiten, nachdem er von der italienischen
allen Nutzen gezogen, welchen er von letzterer erwarten zu dürfen glaubte.
Er machte sich an eine Uebersetzung des Freischützen, und ließ ihn, Robin
des bois getauft, im Jahre 1824 auf dem Odeontheater aufführen. Das
französische Publikum sträubte sich anfangs etwas Weniges gegen die
Neuerungen im Auffluge des Weber'schen Genius, allein die unzähligen
Schönheiten in der Partitur errangen endlich den Sieg, und zwar so, daß
150 fast ununterbrochene, auf einander folgende Vorstellungen die Zuhörer¬
schaft des Odeon nicht zu ermüden vermochten. Man muß aber auch zu¬
geben, daß Castil-Blase kein Mittel unversucht gelassen, ein solches Resultat
zu erzielen. Als Redakteur einer sehr geistreichen und überaus geschätzten
Musik-Chronik, für die das Journal des Debats volle 18 Jahre hin-
durch bereits seine Spalten offen gestellt hatte, wußte er mit vieler Gewandt¬
heit seine Popularität als Kritiker zu benutzen, um seinen Uebersetzungen gut
durchzuhelfen. Nachdem er Rossini und dessen Arbeiten bis zum Ermüden
in den Himmel gehoben hatte, so lange er nämlich das Repertorium dieses
berühmten Meisters benutzen konnte, warf er sich mit einem Male als dessen
Gegner auf, um, sobald der Plan zur Uebersetzung des Freischützen in
ihm reif war, Webern und den deutschen Styl an deren Stelle emporzu¬
heben. In der Nähe beschaut, war die Spekulation gar nicht übel, und
lohnte reichlich der Mühe, daß man mit sich selbst und Andern wegen ihrer
Benutzung in Widerspruch gerieth.

Die Partitur des Barbier von Sevilla, welche der Theaterprinzipal
zu Rom Rossini um 1800 Franken abgekauft hatte, brachte Hrn. Castil-
Blase vermittelst den Vorstellungen auf den Bühnen in Paris und in den
Provinzen über 50,000 Franken ein, mit Einbegriff nämlich des Debits
der Musik vom Barbier; so hat denn auch der einzige Jägerchor in Robin
de bois, der mit den Worten: "Chasseur diligent" anhebt, dem Uebersetzer
mehr eingetragen, als unserm Weber seine ganze Partitur.

Weber's erste Arbeit nach dem Freischützen war Preciosa, für
welches Schauspiel er die Ouvertüre, eine Melodram-Scene und Chöre
schrieb. Er war Willens, sich sofort an eine andere imposante Arbeit zu
machen, allein durch den Tod Schubert's, eines ausgezeichneten Musikers,
der die Sorgen der Geschäftsführung am Dresdener Theater mit ihm
getheilt hatte, wurden seine Beschäftigungen abermals vermehrt, und dies
hinderte ihn an der Ausführung seines Vorsatzes. Schon schmeichelte er
sich damit, daß er eine erwünschte Gelegenheit gefunden habe, Gansbacher,
einem seiner früheren Mitschüler, zu der durch Schubert's Ableben erledigten

hatte, und es gar nicht zu verschmähen schien, sich beträchtliche Autorrechte
auszahlen zu lassen für Werke, die er nicht verfaßt hatte, faßte den Ent¬
schluß, die deutsche Muse zu bearbeiten, nachdem er von der italienischen
allen Nutzen gezogen, welchen er von letzterer erwarten zu dürfen glaubte.
Er machte sich an eine Uebersetzung des Freischützen, und ließ ihn, Robin
des bois getauft, im Jahre 1824 auf dem Odeontheater aufführen. Das
französische Publikum sträubte sich anfangs etwas Weniges gegen die
Neuerungen im Auffluge des Weber'schen Genius, allein die unzähligen
Schönheiten in der Partitur errangen endlich den Sieg, und zwar so, daß
150 fast ununterbrochene, auf einander folgende Vorstellungen die Zuhörer¬
schaft des Odeon nicht zu ermüden vermochten. Man muß aber auch zu¬
geben, daß Castil-Blase kein Mittel unversucht gelassen, ein solches Resultat
zu erzielen. Als Redakteur einer sehr geistreichen und überaus geschätzten
Musik-Chronik, für die das Journal des Débats volle 18 Jahre hin-
durch bereits seine Spalten offen gestellt hatte, wußte er mit vieler Gewandt¬
heit seine Popularität als Kritiker zu benutzen, um seinen Uebersetzungen gut
durchzuhelfen. Nachdem er Rossini und dessen Arbeiten bis zum Ermüden
in den Himmel gehoben hatte, so lange er nämlich das Repertorium dieses
berühmten Meisters benutzen konnte, warf er sich mit einem Male als dessen
Gegner auf, um, sobald der Plan zur Uebersetzung des Freischützen in
ihm reif war, Webern und den deutschen Styl an deren Stelle emporzu¬
heben. In der Nähe beschaut, war die Spekulation gar nicht übel, und
lohnte reichlich der Mühe, daß man mit sich selbst und Andern wegen ihrer
Benutzung in Widerspruch gerieth.

Die Partitur des Barbier von Sevilla, welche der Theaterprinzipal
zu Rom Rossini um 1800 Franken abgekauft hatte, brachte Hrn. Castil-
Blase vermittelst den Vorstellungen auf den Bühnen in Paris und in den
Provinzen über 50,000 Franken ein, mit Einbegriff nämlich des Debits
der Musik vom Barbier; so hat denn auch der einzige Jägerchor in Robin
de bois, der mit den Worten: „Chasseur diligent“ anhebt, dem Uebersetzer
mehr eingetragen, als unserm Weber seine ganze Partitur.

Weber's erste Arbeit nach dem Freischützen war Preciosa, für
welches Schauspiel er die Ouvertüre, eine Melodram-Scene und Chöre
schrieb. Er war Willens, sich sofort an eine andere imposante Arbeit zu
machen, allein durch den Tod Schubert's, eines ausgezeichneten Musikers,
der die Sorgen der Geschäftsführung am Dresdener Theater mit ihm
getheilt hatte, wurden seine Beschäftigungen abermals vermehrt, und dies
hinderte ihn an der Ausführung seines Vorsatzes. Schon schmeichelte er
sich damit, daß er eine erwünschte Gelegenheit gefunden habe, Gansbacher,
einem seiner früheren Mitschüler, zu der durch Schubert's Ableben erledigten

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[302/0310] hatte, und es gar nicht zu verschmähen schien, sich beträchtliche Autorrechte auszahlen zu lassen für Werke, die er nicht verfaßt hatte, faßte den Ent¬ schluß, die deutsche Muse zu bearbeiten, nachdem er von der italienischen allen Nutzen gezogen, welchen er von letzterer erwarten zu dürfen glaubte. Er machte sich an eine Uebersetzung des Freischützen, und ließ ihn, Robin des bois getauft, im Jahre 1824 auf dem Odeontheater aufführen. Das französische Publikum sträubte sich anfangs etwas Weniges gegen die Neuerungen im Auffluge des Weber'schen Genius, allein die unzähligen Schönheiten in der Partitur errangen endlich den Sieg, und zwar so, daß 150 fast ununterbrochene, auf einander folgende Vorstellungen die Zuhörer¬ schaft des Odeon nicht zu ermüden vermochten. Man muß aber auch zu¬ geben, daß Castil-Blase kein Mittel unversucht gelassen, ein solches Resultat zu erzielen. Als Redakteur einer sehr geistreichen und überaus geschätzten Musik-Chronik, für die das Journal des Débats volle 18 Jahre hin- durch bereits seine Spalten offen gestellt hatte, wußte er mit vieler Gewandt¬ heit seine Popularität als Kritiker zu benutzen, um seinen Uebersetzungen gut durchzuhelfen. Nachdem er Rossini und dessen Arbeiten bis zum Ermüden in den Himmel gehoben hatte, so lange er nämlich das Repertorium dieses berühmten Meisters benutzen konnte, warf er sich mit einem Male als dessen Gegner auf, um, sobald der Plan zur Uebersetzung des Freischützen in ihm reif war, Webern und den deutschen Styl an deren Stelle emporzu¬ heben. In der Nähe beschaut, war die Spekulation gar nicht übel, und lohnte reichlich der Mühe, daß man mit sich selbst und Andern wegen ihrer Benutzung in Widerspruch gerieth. Die Partitur des Barbier von Sevilla, welche der Theaterprinzipal zu Rom Rossini um 1800 Franken abgekauft hatte, brachte Hrn. Castil- Blase vermittelst den Vorstellungen auf den Bühnen in Paris und in den Provinzen über 50,000 Franken ein, mit Einbegriff nämlich des Debits der Musik vom Barbier; so hat denn auch der einzige Jägerchor in Robin de bois, der mit den Worten: „Chasseur diligent“ anhebt, dem Uebersetzer mehr eingetragen, als unserm Weber seine ganze Partitur. Weber's erste Arbeit nach dem Freischützen war Preciosa, für welches Schauspiel er die Ouvertüre, eine Melodram-Scene und Chöre schrieb. Er war Willens, sich sofort an eine andere imposante Arbeit zu machen, allein durch den Tod Schubert's, eines ausgezeichneten Musikers, der die Sorgen der Geschäftsführung am Dresdener Theater mit ihm getheilt hatte, wurden seine Beschäftigungen abermals vermehrt, und dies hinderte ihn an der Ausführung seines Vorsatzes. Schon schmeichelte er sich damit, daß er eine erwünschte Gelegenheit gefunden habe, Gansbacher, einem seiner früheren Mitschüler, zu der durch Schubert's Ableben erledigten

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/310>, abgerufen am 17.05.2024.