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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Monaldeschi, wie der Grund- und Urmensch, in welchem Gut und Bös,
Geist, Seele und Willen, Bewußtseyn der Freiheit und Nothwendigkeit, die
Großheit und Kleinheit unserer Natur noch durcheinander schwanken, und
der nun abenteuerlich in die organisirte Gesellschaft mit ihrem bestimmten
Treiben und Streben hineinfällt, mit seinen Trieben, Leidenschaften, Affekten
und Gedanken vor die Festung der Sitten und Gewohnheiten, Gesetze, Vor¬
urtheile, Systeme, Intriguen, Philosopheme und Erfahrungen geworfen.
Wie kann neben einem solchen Wesen ein Santinelli, das Produkt aus der
Lache der Gesellschaft mit der degradirten Seele, als unter einem Nenner
begriffen, figuriren? Dieser Pursch also, der nicht das personifizirte Böse,
nicht ein Mensch der Antheil verdient, und auch nicht jene dämonische ge¬
heimwirkende, dunkelmächtige Person ist, wie wir solche in Viktor Hugo
finden, dürfte in dem Drama zusammenschrumpfen zum bloßen Verräther
und Executor. Ganz anders ist es mit der Königin. Sie gibt sich deutlich
als die negative Seite, als Antipode Monaldeschi's zu erkennen, und steht
am Ausgang, wo dieser am Eingang steht. Er wirft sich mit frischem,
alles wagenden Muthe in das Räderwerk der Gesellschaft, aus welchem die
Königin, welche durch ihre Geburt die erste Triebfeder derselben geworden
war, unmuthig und blasirt sich auszuscheiden sehnt. Ihr mangelt, wie ihm,
jene zähe geduldige Kraft der Beharrung und des Verfolgens bewußter Zwecke
durch die unangenehmen Hemmnisse etablirter Verhältnisse.

Er aber möchte die Welt nach seinem Kopfe zu modeln versuchen, sie findet
sich dagegen unmächtig, diesen Stoff zu beherrschen und geht, in einem
Individuum zu suchen, was sie in dem Staat, auf dem Throne nicht ge¬
funden hat, -- den Mikrokosmus, dem sie bald dienen, bald befehlen möchte.
Aber eine solche potenzirte Individualität kann ihr Monaldeschi nicht wer¬
den: denn diesen reizen die Dinge und die Herrschaft über Massen; er ist
darin ein Römer, ein Eroberer. Sein Herz kann er der reinen, holden,
uaiven Weiblichkeit einer Sylva weihen, ritterlich, wie die Chevaliers des
Mittelalters, die den Dank ihrer Thaten und Siege der Geliebten zu Füßen
legten, aber immer handeln und siegen, nicht in Armidas Zaubergärten sich
einbalsamiren lassen möchten. Sollte es nun möglich seyn, diese Individua¬
litäten, jede in ihrer Wahrheit und Geltung, dem Gemüthe der Zuschauer
näher zu bringen, als dieß der Dichter, in seiner Reflexion und den Ge¬
gensätzen befangen, gethan hat? Eine Ueberarbeitung des Drama's durch
den Dichter selbst wäre wünschenswerter als willkürliche Streichungen von--
wenn auch den begabtesten -- Regisseurs.

Die erste Aufführung in Stuttgart dauerte bei fortwährend gespannter
Aufmerksamkeit des Publikums von 6 bis 101/2 Uhr, welches viel hei¬
ßen will.

Einige Tage darauf wurde die Tragödie bei übervollem Hause wieder¬
holt; man hatte Zeit sein Urtheil zu läutern, das Schöne darin zu würdigen
und den verdienstvollen Bemühungen der Schauspieler die gebührende
Gerechtigkeit zu zollen. "Die Oberregie -- sagt dasselbe Blatt -- hat
an mehreren Rollen Abkürzungen vorgenommen, ohne jedoch dabei die
Nothwendigkeit eines geringeren Zeitaufwandes am Abend allein im Auge
zu haben, sondern mit weiser Erhaltung alles Wesentlichen. Trotz der Ab¬
kürzung endigte das Theater, welches um sechs Uhr begonnen hatte, erst

Monaldeschi, wie der Grund- und Urmensch, in welchem Gut und Bös,
Geist, Seele und Willen, Bewußtseyn der Freiheit und Nothwendigkeit, die
Großheit und Kleinheit unserer Natur noch durcheinander schwanken, und
der nun abenteuerlich in die organisirte Gesellschaft mit ihrem bestimmten
Treiben und Streben hineinfällt, mit seinen Trieben, Leidenschaften, Affekten
und Gedanken vor die Festung der Sitten und Gewohnheiten, Gesetze, Vor¬
urtheile, Systeme, Intriguen, Philosopheme und Erfahrungen geworfen.
Wie kann neben einem solchen Wesen ein Santinelli, das Produkt aus der
Lache der Gesellschaft mit der degradirten Seele, als unter einem Nenner
begriffen, figuriren? Dieser Pursch also, der nicht das personifizirte Böse,
nicht ein Mensch der Antheil verdient, und auch nicht jene dämonische ge¬
heimwirkende, dunkelmächtige Person ist, wie wir solche in Viktor Hugo
finden, dürfte in dem Drama zusammenschrumpfen zum bloßen Verräther
und Executor. Ganz anders ist es mit der Königin. Sie gibt sich deutlich
als die negative Seite, als Antipode Monaldeschi's zu erkennen, und steht
am Ausgang, wo dieser am Eingang steht. Er wirft sich mit frischem,
alles wagenden Muthe in das Räderwerk der Gesellschaft, aus welchem die
Königin, welche durch ihre Geburt die erste Triebfeder derselben geworden
war, unmuthig und blasirt sich auszuscheiden sehnt. Ihr mangelt, wie ihm,
jene zähe geduldige Kraft der Beharrung und des Verfolgens bewußter Zwecke
durch die unangenehmen Hemmnisse etablirter Verhältnisse.

Er aber möchte die Welt nach seinem Kopfe zu modeln versuchen, sie findet
sich dagegen unmächtig, diesen Stoff zu beherrschen und geht, in einem
Individuum zu suchen, was sie in dem Staat, auf dem Throne nicht ge¬
funden hat, — den Mikrokosmus, dem sie bald dienen, bald befehlen möchte.
Aber eine solche potenzirte Individualität kann ihr Monaldeschi nicht wer¬
den: denn diesen reizen die Dinge und die Herrschaft über Massen; er ist
darin ein Römer, ein Eroberer. Sein Herz kann er der reinen, holden,
uaiven Weiblichkeit einer Sylva weihen, ritterlich, wie die Chevaliers des
Mittelalters, die den Dank ihrer Thaten und Siege der Geliebten zu Füßen
legten, aber immer handeln und siegen, nicht in Armidas Zaubergärten sich
einbalsamiren lassen möchten. Sollte es nun möglich seyn, diese Individua¬
litäten, jede in ihrer Wahrheit und Geltung, dem Gemüthe der Zuschauer
näher zu bringen, als dieß der Dichter, in seiner Reflexion und den Ge¬
gensätzen befangen, gethan hat? Eine Ueberarbeitung des Drama's durch
den Dichter selbst wäre wünschenswerter als willkürliche Streichungen von—
wenn auch den begabtesten — Regisseurs.

Die erste Aufführung in Stuttgart dauerte bei fortwährend gespannter
Aufmerksamkeit des Publikums von 6 bis 10½ Uhr, welches viel hei¬
ßen will.

Einige Tage darauf wurde die Tragödie bei übervollem Hause wieder¬
holt; man hatte Zeit sein Urtheil zu läutern, das Schöne darin zu würdigen
und den verdienstvollen Bemühungen der Schauspieler die gebührende
Gerechtigkeit zu zollen. „Die Oberregie — sagt dasselbe Blatt — hat
an mehreren Rollen Abkürzungen vorgenommen, ohne jedoch dabei die
Nothwendigkeit eines geringeren Zeitaufwandes am Abend allein im Auge
zu haben, sondern mit weiser Erhaltung alles Wesentlichen. Trotz der Ab¬
kürzung endigte das Theater, welches um sechs Uhr begonnen hatte, erst

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[249/0257] Monaldeschi, wie der Grund- und Urmensch, in welchem Gut und Bös, Geist, Seele und Willen, Bewußtseyn der Freiheit und Nothwendigkeit, die Großheit und Kleinheit unserer Natur noch durcheinander schwanken, und der nun abenteuerlich in die organisirte Gesellschaft mit ihrem bestimmten Treiben und Streben hineinfällt, mit seinen Trieben, Leidenschaften, Affekten und Gedanken vor die Festung der Sitten und Gewohnheiten, Gesetze, Vor¬ urtheile, Systeme, Intriguen, Philosopheme und Erfahrungen geworfen. Wie kann neben einem solchen Wesen ein Santinelli, das Produkt aus der Lache der Gesellschaft mit der degradirten Seele, als unter einem Nenner begriffen, figuriren? Dieser Pursch also, der nicht das personifizirte Böse, nicht ein Mensch der Antheil verdient, und auch nicht jene dämonische ge¬ heimwirkende, dunkelmächtige Person ist, wie wir solche in Viktor Hugo finden, dürfte in dem Drama zusammenschrumpfen zum bloßen Verräther und Executor. Ganz anders ist es mit der Königin. Sie gibt sich deutlich als die negative Seite, als Antipode Monaldeschi's zu erkennen, und steht am Ausgang, wo dieser am Eingang steht. Er wirft sich mit frischem, alles wagenden Muthe in das Räderwerk der Gesellschaft, aus welchem die Königin, welche durch ihre Geburt die erste Triebfeder derselben geworden war, unmuthig und blasirt sich auszuscheiden sehnt. Ihr mangelt, wie ihm, jene zähe geduldige Kraft der Beharrung und des Verfolgens bewußter Zwecke durch die unangenehmen Hemmnisse etablirter Verhältnisse. Er aber möchte die Welt nach seinem Kopfe zu modeln versuchen, sie findet sich dagegen unmächtig, diesen Stoff zu beherrschen und geht, in einem Individuum zu suchen, was sie in dem Staat, auf dem Throne nicht ge¬ funden hat, — den Mikrokosmus, dem sie bald dienen, bald befehlen möchte. Aber eine solche potenzirte Individualität kann ihr Monaldeschi nicht wer¬ den: denn diesen reizen die Dinge und die Herrschaft über Massen; er ist darin ein Römer, ein Eroberer. Sein Herz kann er der reinen, holden, uaiven Weiblichkeit einer Sylva weihen, ritterlich, wie die Chevaliers des Mittelalters, die den Dank ihrer Thaten und Siege der Geliebten zu Füßen legten, aber immer handeln und siegen, nicht in Armidas Zaubergärten sich einbalsamiren lassen möchten. Sollte es nun möglich seyn, diese Individua¬ litäten, jede in ihrer Wahrheit und Geltung, dem Gemüthe der Zuschauer näher zu bringen, als dieß der Dichter, in seiner Reflexion und den Ge¬ gensätzen befangen, gethan hat? Eine Ueberarbeitung des Drama's durch den Dichter selbst wäre wünschenswerter als willkürliche Streichungen von— wenn auch den begabtesten — Regisseurs. Die erste Aufführung in Stuttgart dauerte bei fortwährend gespannter Aufmerksamkeit des Publikums von 6 bis 10½ Uhr, welches viel hei¬ ßen will. Einige Tage darauf wurde die Tragödie bei übervollem Hause wieder¬ holt; man hatte Zeit sein Urtheil zu läutern, das Schöne darin zu würdigen und den verdienstvollen Bemühungen der Schauspieler die gebührende Gerechtigkeit zu zollen. „Die Oberregie — sagt dasselbe Blatt — hat an mehreren Rollen Abkürzungen vorgenommen, ohne jedoch dabei die Nothwendigkeit eines geringeren Zeitaufwandes am Abend allein im Auge zu haben, sondern mit weiser Erhaltung alles Wesentlichen. Trotz der Ab¬ kürzung endigte das Theater, welches um sechs Uhr begonnen hatte, erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/257>, abgerufen am 25.11.2024.