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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Nach dem Tode der berühmten Sängerin sammelte er alle Abgüsse dieser
unheiligen Charge, und zerschlug sie.

Gehen wir weiter in diesem Pandemonium. Hier der Komiker Arnal.
Er lacht über eine Dummheit, wobei unter dem Publikum kein Mensch
lacht; der kleine Maler Lepaulle verkriecht sich mit dem Kopfe in ein Rat-
tenfell. Die Charge von Halevy wird durch ein schönes Rebus angedeutet,
wo ein A ein I in die Höhe hebt -- a leve i -- Halevi. Balzac ist
zweimal Dantans Zielscheibe gewesen, einmal wächst sein Kopf aus seinem
sprüchwörtlich gewordenen Spazierstocke heraus, ein anderes Bild stellt den
ganzen Körper des dicken Dichters dar, mit strafendem Ausdrucke epi¬
curäischer Selbstzufriedenheit. Dieß Bild ist fast Portrait. Mehrere Car-
ricaturen sind der Oeffentlichkeit nicht übergeben worden, was Dantan
überhaupt nur dann thut, wenn seine Opfer nichts dagegen einwenden,
unter andern die des berühmten Steinoperateurs Doctor Lescot, dem Ros¬
sini und Franconi ihre Genesung verdanken. Diese Charge ist auch im
Atelier mit einem Schleier verdeckt.

Ein berühmter Anatom, bei dem die Liebe zur Wissenschaft in Wahn¬
sinn ausartet, ist halbnackt auf seinen Sessel ausgestreckt, und sticht sich mit
dem Scalpel ins Fleisch, um die Fibern zu bewegen. Kann man wissen¬
schaftliche Leidenschaft energischer ausdrücken? --

Alphons Karr geht spazieren mit seinem Hund Freischütz unter dem
Arm. Mery liegt in der Sonne, wie ein Lazzaroni. Der Alterthümler
Dusammerard ist unter einem Haufen unbedeutender Antiken, alter Schuh-
nägel, abgetragener Hüte und bemüht sich das Mittelalter zu fabriciren.
Ponchard drückt sich vergeblich wider die Brust, um einen Ton herauszu¬
bringen. Eugen Sue's Nase ist so krumm, daß man sein linkes Auge und
seine linke Wange nicht mehr sehen kann. Alfred de Musset hat einen lan¬
gen Körper und hält ein Lorgnon mit den Augenwimpern fest.

Die aus England mitgebrachten Figuren haben mich wahrhaft in Er¬
staunen gesetzt. Es sind dieß eher Portraite als Chargen, belebt und ohne
Uebertreibung getroffen. Hier O'Connell aufrecht stehend mit ausgestrecktem
Arm und geballter Faust, welche schöne und edle Züge? Der wahre Volks-
tribun, heftig, zügellos und ungestüm. Neben ihm schläft Cobbett, aber er
wird bald aufwachen, auf die Tribüne stürmen, einige Worte hinpoltern,
und wieder auf seinen Platz gehen, wenigstens dem Anscheine nach ist ihm
alles gleichgültig, was um ihn her geschieht. Ebenso ist Lord Brougham,
der Herzog von Glocester, der König Georg IV. ernst aufgefaßt. Komisch
ist Wellington, der Marquis von Clanricarde, Lord Grey, Graf Dersep
und Nothschild. Neben Rothschild, dem Geldkönig der Juden, ist das

Nach dem Tode der berühmten Sängerin sammelte er alle Abgüsse dieser
unheiligen Charge, und zerschlug sie.

Gehen wir weiter in diesem Pandemonium. Hier der Komiker Arnal.
Er lacht über eine Dummheit, wobei unter dem Publikum kein Mensch
lacht; der kleine Maler Lepaulle verkriecht sich mit dem Kopfe in ein Rat-
tenfell. Die Charge von Halevy wird durch ein schönes Rebus angedeutet,
wo ein A ein I in die Höhe hebt — a leve i — Halevi. Balzac ist
zweimal Dantans Zielscheibe gewesen, einmal wächst sein Kopf aus seinem
sprüchwörtlich gewordenen Spazierstocke heraus, ein anderes Bild stellt den
ganzen Körper des dicken Dichters dar, mit strafendem Ausdrucke epi¬
curäischer Selbstzufriedenheit. Dieß Bild ist fast Portrait. Mehrere Car-
ricaturen sind der Oeffentlichkeit nicht übergeben worden, was Dantan
überhaupt nur dann thut, wenn seine Opfer nichts dagegen einwenden,
unter andern die des berühmten Steinoperateurs Doctor Lescot, dem Ros¬
sini und Franconi ihre Genesung verdanken. Diese Charge ist auch im
Atelier mit einem Schleier verdeckt.

Ein berühmter Anatom, bei dem die Liebe zur Wissenschaft in Wahn¬
sinn ausartet, ist halbnackt auf seinen Sessel ausgestreckt, und sticht sich mit
dem Scalpel ins Fleisch, um die Fibern zu bewegen. Kann man wissen¬
schaftliche Leidenschaft energischer ausdrücken? —

Alphons Karr geht spazieren mit seinem Hund Freischütz unter dem
Arm. Mery liegt in der Sonne, wie ein Lazzaroni. Der Alterthümler
Dusammerard ist unter einem Haufen unbedeutender Antiken, alter Schuh-
nägel, abgetragener Hüte und bemüht sich das Mittelalter zu fabriciren.
Ponchard drückt sich vergeblich wider die Brust, um einen Ton herauszu¬
bringen. Eugen Sue's Nase ist so krumm, daß man sein linkes Auge und
seine linke Wange nicht mehr sehen kann. Alfred de Musset hat einen lan¬
gen Körper und hält ein Lorgnon mit den Augenwimpern fest.

Die aus England mitgebrachten Figuren haben mich wahrhaft in Er¬
staunen gesetzt. Es sind dieß eher Portraite als Chargen, belebt und ohne
Uebertreibung getroffen. Hier O'Connell aufrecht stehend mit ausgestrecktem
Arm und geballter Faust, welche schöne und edle Züge? Der wahre Volks-
tribun, heftig, zügellos und ungestüm. Neben ihm schläft Cobbett, aber er
wird bald aufwachen, auf die Tribüne stürmen, einige Worte hinpoltern,
und wieder auf seinen Platz gehen, wenigstens dem Anscheine nach ist ihm
alles gleichgültig, was um ihn her geschieht. Ebenso ist Lord Brougham,
der Herzog von Glocester, der König Georg IV. ernst aufgefaßt. Komisch
ist Wellington, der Marquis von Clanricarde, Lord Grey, Graf Dersep
und Nothschild. Neben Rothschild, dem Geldkönig der Juden, ist das

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[231/0239] Nach dem Tode der berühmten Sängerin sammelte er alle Abgüsse dieser unheiligen Charge, und zerschlug sie. Gehen wir weiter in diesem Pandemonium. Hier der Komiker Arnal. Er lacht über eine Dummheit, wobei unter dem Publikum kein Mensch lacht; der kleine Maler Lepaulle verkriecht sich mit dem Kopfe in ein Rat- tenfell. Die Charge von Halevy wird durch ein schönes Rebus angedeutet, wo ein A ein I in die Höhe hebt — a leve i — Halevi. Balzac ist zweimal Dantans Zielscheibe gewesen, einmal wächst sein Kopf aus seinem sprüchwörtlich gewordenen Spazierstocke heraus, ein anderes Bild stellt den ganzen Körper des dicken Dichters dar, mit strafendem Ausdrucke epi¬ curäischer Selbstzufriedenheit. Dieß Bild ist fast Portrait. Mehrere Car- ricaturen sind der Oeffentlichkeit nicht übergeben worden, was Dantan überhaupt nur dann thut, wenn seine Opfer nichts dagegen einwenden, unter andern die des berühmten Steinoperateurs Doctor Lescot, dem Ros¬ sini und Franconi ihre Genesung verdanken. Diese Charge ist auch im Atelier mit einem Schleier verdeckt. Ein berühmter Anatom, bei dem die Liebe zur Wissenschaft in Wahn¬ sinn ausartet, ist halbnackt auf seinen Sessel ausgestreckt, und sticht sich mit dem Scalpel ins Fleisch, um die Fibern zu bewegen. Kann man wissen¬ schaftliche Leidenschaft energischer ausdrücken? — Alphons Karr geht spazieren mit seinem Hund Freischütz unter dem Arm. Mery liegt in der Sonne, wie ein Lazzaroni. Der Alterthümler Dusammerard ist unter einem Haufen unbedeutender Antiken, alter Schuh- nägel, abgetragener Hüte und bemüht sich das Mittelalter zu fabriciren. Ponchard drückt sich vergeblich wider die Brust, um einen Ton herauszu¬ bringen. Eugen Sue's Nase ist so krumm, daß man sein linkes Auge und seine linke Wange nicht mehr sehen kann. Alfred de Musset hat einen lan¬ gen Körper und hält ein Lorgnon mit den Augenwimpern fest. Die aus England mitgebrachten Figuren haben mich wahrhaft in Er¬ staunen gesetzt. Es sind dieß eher Portraite als Chargen, belebt und ohne Uebertreibung getroffen. Hier O'Connell aufrecht stehend mit ausgestrecktem Arm und geballter Faust, welche schöne und edle Züge? Der wahre Volks- tribun, heftig, zügellos und ungestüm. Neben ihm schläft Cobbett, aber er wird bald aufwachen, auf die Tribüne stürmen, einige Worte hinpoltern, und wieder auf seinen Platz gehen, wenigstens dem Anscheine nach ist ihm alles gleichgültig, was um ihn her geschieht. Ebenso ist Lord Brougham, der Herzog von Glocester, der König Georg IV. ernst aufgefaßt. Komisch ist Wellington, der Marquis von Clanricarde, Lord Grey, Graf Dersep und Nothschild. Neben Rothschild, dem Geldkönig der Juden, ist das

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Art der Texterfassung: OCR.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/239>, abgerufen am 15.05.2024.