und gesagt habe, für was er das Papier gehalten, habe man ihm die Sen¬ tenz vorgelesen, in welcher er zu einer Geldbuße verurtheilt worden sei.
So, fährt er fort, kann man uns, und wenn wir ganz unschuldig sind, zum Tode verurtheilen. Wie mancher gute flämische Mann sitzt im Raspelhaus, und spinnt im Zuchthause, der von seinem Prozesse Nichts ver¬ standen hat! Unter Brabo konnte man das Volk doch wenigstens verstehn, wenn es Etwas verlangte. Jetzt aber hat der Wallone die Ueberhand und lacht uns aus, dabei drücken seine Runkelrüben den Handel nieder.
Die Bittschrift, die gute flämische Muttersprache, liegt zolldick bestaubt und unbeachtet da, und fragt Jemand ein zweites Mal, woran es fehle, so erhält er die Antwort:
Oh bah! Messieurs c'est du flamand, - D'ailleurs nous n'avons pas le tems, Que le diable l'emporte!
Mit dieser und noch anderen Klagen schließt der dritte und letzte Ge¬ sang, welchem übrigens eine Art Epilog angefügt ist.
Ich habe in diesem Bericht mit Absicht das Deutsche dem Flämischen gegenüber gestellt. Mag schon manches Wort der Einen oder der Andern allein zugehören, der Geist der Sprache ist derselbe, die Construktion u. s. w. ist gleich, und so mögen sie sich einander nähren; die gebildete Mutter kann der lange vernachläßigten Tochter manche Lehre zukommen lassen, wogegen diese manches naturkräftige, aus Sorglosigkeit verlorne Wort der vielleicht etwas zu koketten Mutter wiedererstatten wird.
Der Deutsche wird bald wahrnehmen, wie wenig Mühe es kostet, sich in die wenigen abweichenden Formen hinein zu arbeiten uud die veränder¬ ten Wörter auf's Deutsche zurückzuführen.
Bei einiger Gewöhnuug muß man auch diese biedere, naive Kern¬ sprache lieb gewinnen, die für den Anfänger und den ersten Anschein, be¬ sonders im Pathetischen mehr an's Komische streift, da man wegen der Aehnlichkeit mit dem Plattdeutschen leicht an Parodie erinnert wird. Die Gewöhnung hebt dieses auf, und man wird entzückt durch die poetischen Schilderungen, hingerissen durch den Schwung der Rede, wie er z. B. in dem Löwen von Flandern von Conscienze sich darstellt.
Julius Fester.
und gesagt habe, für was er das Papier gehalten, habe man ihm die Sen¬ tenz vorgelesen, in welcher er zu einer Geldbuße verurtheilt worden sei.
So, fährt er fort, kann man uns, und wenn wir ganz unschuldig sind, zum Tode verurtheilen. Wie mancher gute flämische Mann sitzt im Raspelhaus, und spinnt im Zuchthause, der von seinem Prozesse Nichts ver¬ standen hat! Unter Brabo konnte man das Volk doch wenigstens verstehn, wenn es Etwas verlangte. Jetzt aber hat der Wallone die Ueberhand und lacht uns aus, dabei drücken seine Runkelrüben den Handel nieder.
Die Bittschrift, die gute flämische Muttersprache, liegt zolldick bestaubt und unbeachtet da, und fragt Jemand ein zweites Mal, woran es fehle, so erhält er die Antwort:
Oh bah! Messieurs c'est du flamand, - D'ailleurs nous n'avons pas le tems, Que le diable l'emporte!
Mit dieser und noch anderen Klagen schließt der dritte und letzte Ge¬ sang, welchem übrigens eine Art Epilog angefügt ist.
Ich habe in diesem Bericht mit Absicht das Deutsche dem Flämischen gegenüber gestellt. Mag schon manches Wort der Einen oder der Andern allein zugehören, der Geist der Sprache ist derselbe, die Construktion u. s. w. ist gleich, und so mögen sie sich einander nähren; die gebildete Mutter kann der lange vernachläßigten Tochter manche Lehre zukommen lassen, wogegen diese manches naturkräftige, aus Sorglosigkeit verlorne Wort der vielleicht etwas zu koketten Mutter wiedererstatten wird.
Der Deutsche wird bald wahrnehmen, wie wenig Mühe es kostet, sich in die wenigen abweichenden Formen hinein zu arbeiten uud die veränder¬ ten Wörter auf's Deutsche zurückzuführen.
Bei einiger Gewöhnuug muß man auch diese biedere, naive Kern¬ sprache lieb gewinnen, die für den Anfänger und den ersten Anschein, be¬ sonders im Pathetischen mehr an's Komische streift, da man wegen der Aehnlichkeit mit dem Plattdeutschen leicht an Parodie erinnert wird. Die Gewöhnung hebt dieses auf, und man wird entzückt durch die poetischen Schilderungen, hingerissen durch den Schwung der Rede, wie er z. B. in dem Löwen von Flandern von Conscienze sich darstellt.
Julius Fester.
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und gesagt habe, für was er das Papier gehalten, habe man ihm die Sen¬
tenz vorgelesen, in welcher er zu einer Geldbuße verurtheilt worden sei.
So, fährt er fort, kann man uns, und wenn wir ganz unschuldig
sind, zum Tode verurtheilen. Wie mancher gute flämische Mann sitzt im
Raspelhaus, und spinnt im Zuchthause, der von seinem Prozesse Nichts ver¬
standen hat! Unter Brabo konnte man das Volk doch wenigstens verstehn,
wenn es Etwas verlangte. Jetzt aber hat der Wallone die Ueberhand und
lacht uns aus, dabei drücken seine Runkelrüben den Handel nieder.
Die Bittschrift, die gute flämische Muttersprache, liegt zolldick bestaubt
und unbeachtet da, und fragt Jemand ein zweites Mal, woran es fehle,
so erhält er die Antwort:
Oh bah! Messieurs c'est du flamand, -
D'ailleurs nous n'avons pas le tems,
Que le diable l'emporte!
Mit dieser und noch anderen Klagen schließt der dritte und letzte Ge¬
sang, welchem übrigens eine Art Epilog angefügt ist.
Ich habe in diesem Bericht mit Absicht das Deutsche dem Flämischen
gegenüber gestellt. Mag schon manches Wort der Einen oder der Andern
allein zugehören, der Geist der Sprache ist derselbe, die Construktion u. s. w.
ist gleich, und so mögen sie sich einander nähren; die gebildete Mutter kann
der lange vernachläßigten Tochter manche Lehre zukommen lassen, wogegen
diese manches naturkräftige, aus Sorglosigkeit verlorne Wort der vielleicht
etwas zu koketten Mutter wiedererstatten wird.
Der Deutsche wird bald wahrnehmen, wie wenig Mühe es kostet, sich
in die wenigen abweichenden Formen hinein zu arbeiten uud die veränder¬
ten Wörter auf's Deutsche zurückzuführen.
Bei einiger Gewöhnuug muß man auch diese biedere, naive Kern¬
sprache lieb gewinnen, die für den Anfänger und den ersten Anschein, be¬
sonders im Pathetischen mehr an's Komische streift, da man wegen der
Aehnlichkeit mit dem Plattdeutschen leicht an Parodie erinnert wird. Die
Gewöhnung hebt dieses auf, und man wird entzückt durch die poetischen
Schilderungen, hingerissen durch den Schwung der Rede, wie er z. B. in
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Julius Fester.
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/227>, abgerufen am 23.07.2024.
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