Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Ladung als Tribut entrichten. Wer aber bei Nacht und Nebel heimlich sich
durchstahl, und später entdeckt wurde, der mußte schwer büßen, denn der
Niese hieb dem Unglücklichen die Hand ab. -- So herrschte er mit uner¬
hörter Grausamkeit lange über diese Lande. Da aber kam Brabo, ein rö¬
mischer Feldoberster, ein Busenfreund Cäsars, wie die Chroniken ausdrück¬
lich sagen, der zog dem riesigen Tyrannen entgegen, und obgleich er, wie
zu einer Thurmspitze zu ihm hinaufschauen mußte, wenn er ihm ins Ge¬
sicht schauen wollte, so kämpfte er doch so tapfer, und schlug dem Unge¬
heuer so behend gegen die Beine, daß Antigonus trotz der heftigen Schlage
seines großen Spießes zu Boden fiel, worauf ihm Brabo den Kopf abhieb.
Die Schiffer und Fischer, die dem Kampfe furchtsam aus der Ferne zugese¬
hen, kamen nun vor Freude herzugelaufen, und wollten den Brabo gleich
zum Könige machen. Dieser aber erbat sich zwei Bedingungen: zuerst solle
man das Land nach ihm, und dann den Ort, wo sie sich befänden, nach
der tapfern That benennen, die er vollzogen.

Das Volk stimmte ein und nannte das Land Brabant, und als Kö¬
nig Brabo des Niesen rechte Hand abgehauen und ins Wasser der Scheide
geworfen hatte, so rief man einstimmig: der Ort soll Hantwerpen (Hand¬
werfen) heißen. In Kurzem blühte, von keinem lästigen Zolle mehr gedrückt,
die Stadt Antwerpen auf, und hat, so wie das Land, den damals gege¬
benen Namen bis zur Stunde behalten.*)

Diese Sage benutzte einer unsrer jungen antwerpener Dichter, Th. van
Nyswyck, der sich unter den jungen Vorkämpfern für die vaterländische
Sprache und Literatur schon durch ein romantisches Epos: "Eppenslyn"
und ein früheres Werk: "Vermischte Aufsätze/, betitelt, bemerklich gemacht
hat, zu dem in der Ueberschrift angegebenen satyrischen Gedichte, welches
die Verehrer der flämischen Literatur um so mehr anziehen dürfte, da es
nicht nur manche gemüthliche Späße in flämischem Geiste, sondern auch die
Geschichte des Landes in den letzten 50 Jahren, unter dem Bilde längst
vergangener Zeiten, in nuce enthält.

Die Haupttendenz dieser Satyre ist in der Ueberschrift "Di[e] Volsklagen"
angedeutet, und die Idee, daß das Volk unter jeder Negierungsverfassuug
nicht aufhöre, sich zu beklagen, bildet die Essenz des Ganzen. In diesem
Sinne werden auch in der letzten Abtheilung, welche die Darstellung der
jetzigen Zeit enthält, die Klagen der Flamänder über die Zurücksetzung der

*) Die bekannte als richtig angenommene Etymologie ist: Antwerpen, An der Werst,
an d'werp.    Anmerk. d. Red.

Ladung als Tribut entrichten. Wer aber bei Nacht und Nebel heimlich sich
durchstahl, und später entdeckt wurde, der mußte schwer büßen, denn der
Niese hieb dem Unglücklichen die Hand ab. — So herrschte er mit uner¬
hörter Grausamkeit lange über diese Lande. Da aber kam Brabo, ein rö¬
mischer Feldoberster, ein Busenfreund Cäsars, wie die Chroniken ausdrück¬
lich sagen, der zog dem riesigen Tyrannen entgegen, und obgleich er, wie
zu einer Thurmspitze zu ihm hinaufschauen mußte, wenn er ihm ins Ge¬
sicht schauen wollte, so kämpfte er doch so tapfer, und schlug dem Unge¬
heuer so behend gegen die Beine, daß Antigonus trotz der heftigen Schlage
seines großen Spießes zu Boden fiel, worauf ihm Brabo den Kopf abhieb.
Die Schiffer und Fischer, die dem Kampfe furchtsam aus der Ferne zugese¬
hen, kamen nun vor Freude herzugelaufen, und wollten den Brabo gleich
zum Könige machen. Dieser aber erbat sich zwei Bedingungen: zuerst solle
man das Land nach ihm, und dann den Ort, wo sie sich befänden, nach
der tapfern That benennen, die er vollzogen.

Das Volk stimmte ein und nannte das Land Brabant, und als Kö¬
nig Brabo des Niesen rechte Hand abgehauen und ins Wasser der Scheide
geworfen hatte, so rief man einstimmig: der Ort soll Hantwerpen (Hand¬
werfen) heißen. In Kurzem blühte, von keinem lästigen Zolle mehr gedrückt,
die Stadt Antwerpen auf, und hat, so wie das Land, den damals gege¬
benen Namen bis zur Stunde behalten.*)

Diese Sage benutzte einer unsrer jungen antwerpener Dichter, Th. van
Nyswyck, der sich unter den jungen Vorkämpfern für die vaterländische
Sprache und Literatur schon durch ein romantisches Epos: „Eppenslyn"
und ein früheres Werk: „Vermischte Aufsätze/, betitelt, bemerklich gemacht
hat, zu dem in der Ueberschrift angegebenen satyrischen Gedichte, welches
die Verehrer der flämischen Literatur um so mehr anziehen dürfte, da es
nicht nur manche gemüthliche Späße in flämischem Geiste, sondern auch die
Geschichte des Landes in den letzten 50 Jahren, unter dem Bilde längst
vergangener Zeiten, in nuce enthält.

Die Haupttendenz dieser Satyre ist in der Ueberschrift 〟Di[e] Volsklagen〟
angedeutet, und die Idee, daß das Volk unter jeder Negierungsverfassuug
nicht aufhöre, sich zu beklagen, bildet die Essenz des Ganzen. In diesem
Sinne werden auch in der letzten Abtheilung, welche die Darstellung der
jetzigen Zeit enthält, die Klagen der Flamänder über die Zurücksetzung der

*) Die bekannte als richtig angenommene Etymologie ist: Antwerpen, An der Werst,
an d'werp.    Anmerk. d. Red.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179601" facs="#f0218" n="210"/>
Ladung als Tribut entrichten. Wer aber bei Nacht und Nebel heimlich sich<lb/>
durchstahl, und später entdeckt wurde, der mußte schwer büßen, denn der<lb/>
Niese hieb dem Unglücklichen die Hand ab. &#x2014; So herrschte er mit uner¬<lb/>
hörter Grausamkeit lange über diese Lande. Da aber kam Brabo, ein rö¬<lb/>
mischer Feldoberster, ein Busenfreund Cäsars, wie die Chroniken ausdrück¬<lb/>
lich sagen, der zog dem riesigen Tyrannen entgegen, und obgleich er, wie<lb/>
zu einer Thurmspitze zu ihm hinaufschauen mußte, wenn er ihm ins Ge¬<lb/>
sicht schauen wollte, so kämpfte er doch so tapfer, und schlug dem Unge¬<lb/>
heuer so behend gegen die Beine, daß Antigonus trotz der heftigen Schlage<lb/>
seines großen Spießes zu Boden fiel, worauf ihm Brabo den Kopf abhieb.<lb/>
Die Schiffer und Fischer, die dem Kampfe furchtsam aus der Ferne zugese¬<lb/>
hen, kamen nun vor Freude herzugelaufen, und wollten den Brabo gleich<lb/>
zum Könige machen. Dieser aber erbat sich zwei Bedingungen: zuerst solle<lb/>
man das Land nach ihm, und dann den Ort, wo sie sich befänden, nach<lb/>
der tapfern That benennen, die er vollzogen.</p><lb/>
          <p>Das Volk stimmte ein und nannte das Land Brabant, und als Kö¬<lb/>
nig Brabo des Niesen rechte Hand abgehauen und ins Wasser der Scheide<lb/>
geworfen hatte, so rief man einstimmig: der Ort soll Hantwerpen (Hand¬<lb/>
werfen) heißen. In Kurzem blühte, von keinem lästigen Zolle mehr gedrückt,<lb/>
die Stadt Antwerpen auf, und hat, so wie das Land, den damals gege¬<lb/>
benen Namen bis zur Stunde behalten.<note place="foot" n="*)">Die bekannte als richtig angenommene Etymologie ist: Antwerpen, An der Werst,<lb/>
an d'werp. <space dim="horizontal"/><bibl><author><hi rendition="#g">Anmerk. d. Red.</hi></author></bibl><lb/></note></p><lb/>
          <p>Diese Sage benutzte einer unsrer jungen antwerpener Dichter, Th. van<lb/>
Nyswyck, der sich unter den jungen Vorkämpfern für die vaterländische<lb/>
Sprache und Literatur schon durch ein romantisches Epos: &#x201E;Eppenslyn"<lb/>
und ein früheres Werk: &#x201E;Vermischte Aufsätze/, betitelt, bemerklich gemacht<lb/>
hat, zu dem in der Ueberschrift angegebenen satyrischen Gedichte, welches<lb/>
die Verehrer der flämischen Literatur um so mehr anziehen dürfte, da es<lb/>
nicht nur manche gemüthliche Späße in flämischem Geiste, sondern auch die<lb/>
Geschichte des Landes in den letzten 50 Jahren, unter dem Bilde längst<lb/>
vergangener Zeiten, <hi rendition="#aq">in nuce</hi> enthält.</p><lb/>
          <p>Die Haupttendenz dieser Satyre ist in der Ueberschrift &#x301F;Di<supplied>e</supplied> Volsklagen&#x301F;<lb/>
angedeutet, und die Idee, daß das Volk unter jeder Negierungsverfassuug<lb/>
nicht aufhöre, sich zu beklagen, bildet die Essenz des Ganzen. In diesem<lb/>
Sinne werden auch in der letzten Abtheilung, welche die Darstellung der<lb/>
jetzigen Zeit enthält, die Klagen der Flamänder über die Zurücksetzung der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0218] Ladung als Tribut entrichten. Wer aber bei Nacht und Nebel heimlich sich durchstahl, und später entdeckt wurde, der mußte schwer büßen, denn der Niese hieb dem Unglücklichen die Hand ab. — So herrschte er mit uner¬ hörter Grausamkeit lange über diese Lande. Da aber kam Brabo, ein rö¬ mischer Feldoberster, ein Busenfreund Cäsars, wie die Chroniken ausdrück¬ lich sagen, der zog dem riesigen Tyrannen entgegen, und obgleich er, wie zu einer Thurmspitze zu ihm hinaufschauen mußte, wenn er ihm ins Ge¬ sicht schauen wollte, so kämpfte er doch so tapfer, und schlug dem Unge¬ heuer so behend gegen die Beine, daß Antigonus trotz der heftigen Schlage seines großen Spießes zu Boden fiel, worauf ihm Brabo den Kopf abhieb. Die Schiffer und Fischer, die dem Kampfe furchtsam aus der Ferne zugese¬ hen, kamen nun vor Freude herzugelaufen, und wollten den Brabo gleich zum Könige machen. Dieser aber erbat sich zwei Bedingungen: zuerst solle man das Land nach ihm, und dann den Ort, wo sie sich befänden, nach der tapfern That benennen, die er vollzogen. Das Volk stimmte ein und nannte das Land Brabant, und als Kö¬ nig Brabo des Niesen rechte Hand abgehauen und ins Wasser der Scheide geworfen hatte, so rief man einstimmig: der Ort soll Hantwerpen (Hand¬ werfen) heißen. In Kurzem blühte, von keinem lästigen Zolle mehr gedrückt, die Stadt Antwerpen auf, und hat, so wie das Land, den damals gege¬ benen Namen bis zur Stunde behalten. *) Diese Sage benutzte einer unsrer jungen antwerpener Dichter, Th. van Nyswyck, der sich unter den jungen Vorkämpfern für die vaterländische Sprache und Literatur schon durch ein romantisches Epos: „Eppenslyn" und ein früheres Werk: „Vermischte Aufsätze/, betitelt, bemerklich gemacht hat, zu dem in der Ueberschrift angegebenen satyrischen Gedichte, welches die Verehrer der flämischen Literatur um so mehr anziehen dürfte, da es nicht nur manche gemüthliche Späße in flämischem Geiste, sondern auch die Geschichte des Landes in den letzten 50 Jahren, unter dem Bilde längst vergangener Zeiten, in nuce enthält. Die Haupttendenz dieser Satyre ist in der Ueberschrift 〟Die Volsklagen〟 angedeutet, und die Idee, daß das Volk unter jeder Negierungsverfassuug nicht aufhöre, sich zu beklagen, bildet die Essenz des Ganzen. In diesem Sinne werden auch in der letzten Abtheilung, welche die Darstellung der jetzigen Zeit enthält, die Klagen der Flamänder über die Zurücksetzung der *) Die bekannte als richtig angenommene Etymologie ist: Antwerpen, An der Werst, an d'werp. Anmerk. d. Red.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/218>, abgerufen am 21.11.2024.