sigkeiten nach Innen zurückdrängt, die inneren Gefäße zu einer höheren Thä¬ tigkeit steigert, alle Lebensäußerung aus ihrer Stumpfheit rüttelt? Ihr könnt nicht umhin, mir dieß alles zugestehen zu müssen und meine aus der Praxis und der Erfahrung abgeleitete Verfahrungsart zu billigen. Aber nun will ich Mann der Praxis, an Euch, Ihr Männer der Theorie, eine Frage rich¬ ten, die Ihr beantworten sollt. Wie kommt es, daß alle diese Wirkungen der Kälte gerade an das Wasser gebunden sind? Wie kommt es, daß die Kälte, an und für sich, in ihrem freien Zustande, nicht dieselben Resultate her¬ vorbringt? Warum sind diese Heilkräfte des kalten Wassers so nothwendig an die Form des Flüssigen gebunden? Hierauf könnt Ihr nur in Ausflüch¬ ten antworten; die eigentliche Auflösung dieses Naturräthsels habt Ihr trotz Eurer vielgepriesenen Theorieen doch noch nicht gefunden. -- Somit habt Ihr auch gar keine Ursache, in den theoretischen Mantel Eurer Vornehmheit Euch zu wickeln und so stolz an dem practisch beweisenden Laien, an dem Manne der That, vorüberzugehen.
Wenn nun aber die medizinische Wissenschaft über die Kräfte des Sü߬ wassers und deren Gränzen, noch nicht ins Reine gekommen ist, so hat sie dagegen um desto bestimmter die Einwirkungen der See-Elemente zu berech¬ nen gewußt. Es gibt kein zweites Heilmittel, welches Körper und Seele mit gleicher Kraft erfaßt, wie das Meerbad. Hier tritt die Arznei aus ih¬ rer beschränkten, nur auf den Leib sich erstreckenden Macht heraus, sie wird Poesie; sie ergreift das Gefühl, die Phantasie des Kranken und zwingt sie, ihren Zwecken zu dienen. Gibt es eine erschütterndere Empfindung als die eines Menschen, der nie das Meer gesehen und nun plötzlich in seine Mitte versetzt wird, seine Wellen an seine Brust schlagen läßt, den weiten, unermeßlichen Horizont über seinem Haupte, die räthselhafte, dunkle Bran¬ dung zu seinen Füßen, und er in der Mitte des Elementes, nackt, im Na¬ turzustande, und doch sicher wie ein Geschöpf dieses Meeres, wie ein Baum, den man aus dem nebeligen Boden des Nordens entwurzelt und in ein üp¬ piges Thal des Orients, in eine ganz neue Welt mit fremden Gesetzen ge¬ pflanzt hat.
Ich habe Ostende eines der vorzüglichsten Seebäder genannt; es ist hier nicht der Ort, dieses auf wissenschaftlichem Wege zu beweisen, und auf eine Angabe der chemischen Mischung der verschiedenen Salze, des stärke¬ ren oder schwächeren Wellenschlages und dessen Wirkungen detaillirt einzu¬ gehen. Wir erwarten in dieser Beziehung eine Schrift von dem vortreff¬ lichen Doctor Rieken, der in der medizinischen Literatur durch sein beachtungs¬ werthes Werk über die Mineralquellen zu Hambach und Schwollen bekannt ist. Wir begnügen uns, den Beweis auf practischem Wege zu führen.
Schon daß die Ankunft in Ostende nicht auf dem ermüdenden Wege
sigkeiten nach Innen zurückdrängt, die inneren Gefäße zu einer höheren Thä¬ tigkeit steigert, alle Lebensäußerung aus ihrer Stumpfheit rüttelt? Ihr könnt nicht umhin, mir dieß alles zugestehen zu müssen und meine aus der Praxis und der Erfahrung abgeleitete Verfahrungsart zu billigen. Aber nun will ich Mann der Praxis, an Euch, Ihr Männer der Theorie, eine Frage rich¬ ten, die Ihr beantworten sollt. Wie kommt es, daß alle diese Wirkungen der Kälte gerade an das Wasser gebunden sind? Wie kommt es, daß die Kälte, an und für sich, in ihrem freien Zustande, nicht dieselben Resultate her¬ vorbringt? Warum sind diese Heilkräfte des kalten Wassers so nothwendig an die Form des Flüssigen gebunden? Hierauf könnt Ihr nur in Ausflüch¬ ten antworten; die eigentliche Auflösung dieses Naturräthsels habt Ihr trotz Eurer vielgepriesenen Theorieen doch noch nicht gefunden. — Somit habt Ihr auch gar keine Ursache, in den theoretischen Mantel Eurer Vornehmheit Euch zu wickeln und so stolz an dem practisch beweisenden Laien, an dem Manne der That, vorüberzugehen.
Wenn nun aber die medizinische Wissenschaft über die Kräfte des Sü߬ wassers und deren Gränzen, noch nicht ins Reine gekommen ist, so hat sie dagegen um desto bestimmter die Einwirkungen der See-Elemente zu berech¬ nen gewußt. Es gibt kein zweites Heilmittel, welches Körper und Seele mit gleicher Kraft erfaßt, wie das Meerbad. Hier tritt die Arznei aus ih¬ rer beschränkten, nur auf den Leib sich erstreckenden Macht heraus, sie wird Poesie; sie ergreift das Gefühl, die Phantasie des Kranken und zwingt sie, ihren Zwecken zu dienen. Gibt es eine erschütterndere Empfindung als die eines Menschen, der nie das Meer gesehen und nun plötzlich in seine Mitte versetzt wird, seine Wellen an seine Brust schlagen läßt, den weiten, unermeßlichen Horizont über seinem Haupte, die räthselhafte, dunkle Bran¬ dung zu seinen Füßen, und er in der Mitte des Elementes, nackt, im Na¬ turzustande, und doch sicher wie ein Geschöpf dieses Meeres, wie ein Baum, den man aus dem nebeligen Boden des Nordens entwurzelt und in ein üp¬ piges Thal des Orients, in eine ganz neue Welt mit fremden Gesetzen ge¬ pflanzt hat.
Ich habe Ostende eines der vorzüglichsten Seebäder genannt; es ist hier nicht der Ort, dieses auf wissenschaftlichem Wege zu beweisen, und auf eine Angabe der chemischen Mischung der verschiedenen Salze, des stärke¬ ren oder schwächeren Wellenschlages und dessen Wirkungen detaillirt einzu¬ gehen. Wir erwarten in dieser Beziehung eine Schrift von dem vortreff¬ lichen Doctor Rieken, der in der medizinischen Literatur durch sein beachtungs¬ werthes Werk über die Mineralquellen zu Hambach und Schwollen bekannt ist. Wir begnügen uns, den Beweis auf practischem Wege zu führen.
Schon daß die Ankunft in Ostende nicht auf dem ermüdenden Wege
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[13/0021]
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tigkeit steigert, alle Lebensäußerung aus ihrer Stumpfheit rüttelt? Ihr könnt
nicht umhin, mir dieß alles zugestehen zu müssen und meine aus der Praxis
und der Erfahrung abgeleitete Verfahrungsart zu billigen. Aber nun will
ich Mann der Praxis, an Euch, Ihr Männer der Theorie, eine Frage rich¬
ten, die Ihr beantworten sollt. Wie kommt es, daß alle diese Wirkungen
der Kälte gerade an das Wasser gebunden sind? Wie kommt es, daß die
Kälte, an und für sich, in ihrem freien Zustande, nicht dieselben Resultate her¬
vorbringt? Warum sind diese Heilkräfte des kalten Wassers so nothwendig
an die Form des Flüssigen gebunden? Hierauf könnt Ihr nur in Ausflüch¬
ten antworten; die eigentliche Auflösung dieses Naturräthsels habt Ihr trotz
Eurer vielgepriesenen Theorieen doch noch nicht gefunden. — Somit habt
Ihr auch gar keine Ursache, in den theoretischen Mantel Eurer Vornehmheit
Euch zu wickeln und so stolz an dem practisch beweisenden Laien, an dem
Manne der That, vorüberzugehen.
Wenn nun aber die medizinische Wissenschaft über die Kräfte des Sü߬
wassers und deren Gränzen, noch nicht ins Reine gekommen ist, so hat sie
dagegen um desto bestimmter die Einwirkungen der See-Elemente zu berech¬
nen gewußt. Es gibt kein zweites Heilmittel, welches Körper und Seele
mit gleicher Kraft erfaßt, wie das Meerbad. Hier tritt die Arznei aus ih¬
rer beschränkten, nur auf den Leib sich erstreckenden Macht heraus, sie wird
Poesie; sie ergreift das Gefühl, die Phantasie des Kranken und zwingt
sie, ihren Zwecken zu dienen. Gibt es eine erschütterndere Empfindung als
die eines Menschen, der nie das Meer gesehen und nun plötzlich in seine
Mitte versetzt wird, seine Wellen an seine Brust schlagen läßt, den weiten,
unermeßlichen Horizont über seinem Haupte, die räthselhafte, dunkle Bran¬
dung zu seinen Füßen, und er in der Mitte des Elementes, nackt, im Na¬
turzustande, und doch sicher wie ein Geschöpf dieses Meeres, wie ein Baum,
den man aus dem nebeligen Boden des Nordens entwurzelt und in ein üp¬
piges Thal des Orients, in eine ganz neue Welt mit fremden Gesetzen ge¬
pflanzt hat.
Ich habe Ostende eines der vorzüglichsten Seebäder genannt; es ist
hier nicht der Ort, dieses auf wissenschaftlichem Wege zu beweisen, und auf
eine Angabe der chemischen Mischung der verschiedenen Salze, des stärke¬
ren oder schwächeren Wellenschlages und dessen Wirkungen detaillirt einzu¬
gehen. Wir erwarten in dieser Beziehung eine Schrift von dem vortreff¬
lichen Doctor Rieken, der in der medizinischen Literatur durch sein beachtungs¬
werthes Werk über die Mineralquellen zu Hambach und Schwollen bekannt
ist. Wir begnügen uns, den Beweis auf practischem Wege zu führen.
Schon daß die Ankunft in Ostende nicht auf dem ermüdenden Wege
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(2013-11-19T17:23:38Z)
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(2013-11-19T17:23:38Z)
Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/21>, abgerufen am 16.02.2025.
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