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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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gefährdet. Mehemed Ali hatte das Joch des Sultans abgeschüttelt, und
bedrohte ihn vor den Thoren von Constantinopel. Rußland ließ seine Ar¬
meen ausrücken, England rüstete seine Flotten, Oesterreich intervenirte und
Frankreich schlug alsbald vor, daß ein großer Congreß in Rom gehalten
werden solle.

Die Verhandlungen begannen, und unterdessen rüsteten alle Mächte.
Europa hatte das Ansehen eines großen Lagers. Die Nationalversammlung
trat zusammen, um 500 Millionen Franken zu votiren. Es geschah dieß
durch allgemeinen Zuruf, mit einer Uebereinstimmung, die wohl geeignet
war, Europa's Könige zum Nachdenken zu bewegen. Einige Deputirte
schlugen vor, Paris zu befestigen, und diese unheilvolle Meinung fing an
Fuß zu fassen, als eine Broschüre des Herrn Thiers erschien. Dieser
gewandte Schriftsteller behandelte die Frage von höheren Gesichtspunkten,
er bewies, daß Paris durch das Meer, den Rhein, die Alpen und die
Pyrenäen hinreichend befestigt sei. Er flößte Schaam in die feigen Seelen,
welche Frankreichs Stärke anderswo finden wollten, als in dem Muthe und
dem Patriotismus seiner Söhne. Er stellte Zahlen auf, und bewies, daß
eine halbe Milliarde rein verschleudert würde. Dann erklärte er, den Na¬
men der Freiheit anrufend, daß Paris, der Sammelplatz der Intelligenz
und des Genies, unter dem Schatten der Bastillen ausarten würde und
war nahe daran, jeden Deputaten des Hochverrathes anzuklagen, der für
eine solche Maaßregel stimmen würde. Durch die Broschüre des Herrn
Thiers wurde der Plan vernichtet, und der König von Frankreich verlieh
ihm als Zeichen seiner Zufriedenheit das Großkreuz der Ehrenlegion. "Der
Mann, der allein einen so großen Fehler hintertrieben hat, ließ er ihm sa¬
gen, hat einen nationalen Sieg errungen."

Unterdessen versammelte sich der Congreß zu Rom. Der König sandte
dahin ab die Herren Berryer, Herzog von Fitz-James, Marquis von
Dreuz-Breze, Marschall Soult und seinen Minister der auswärtigen
Angelegenheiten, Herrn von Chateaubriand. In der Halle der St. Pe¬
terskirche beschloß man die Vernichtung des Islams. Rußland erhielt die
Türkei, England erhielt Egypten, Preußen erhielt zur Entschädigung eine
Gebietsarrondirung, Frankreich erhielt Jerusalem und Palästina, aber,
immer großmüthig im Gefühl seiner Kraft, begehrte es darüber keine Ober¬
herrschaft. Es stellte den Orden der Johanniter von Jerusalem wieder her,
theilte ihn in eben so viel Zungen, als es Nationen in Europa giebt,
und machte ihn zum Hüter der heiligen Orte. Die Juden strömteil von
allen Enden herbei, und erwarben wieder ihre Nationalität, nachdem sie zu
den Füßen des heiligen Vaters bekannt hatten, daß der Sanhedrin von Je¬
rusalem den Messias gekreuzigt habe. Herr von Rothschild, der mit seinem

gefährdet. Mehemed Ali hatte das Joch des Sultans abgeschüttelt, und
bedrohte ihn vor den Thoren von Constantinopel. Rußland ließ seine Ar¬
meen ausrücken, England rüstete seine Flotten, Oesterreich intervenirte und
Frankreich schlug alsbald vor, daß ein großer Congreß in Rom gehalten
werden solle.

Die Verhandlungen begannen, und unterdessen rüsteten alle Mächte.
Europa hatte das Ansehen eines großen Lagers. Die Nationalversammlung
trat zusammen, um 500 Millionen Franken zu votiren. Es geschah dieß
durch allgemeinen Zuruf, mit einer Uebereinstimmung, die wohl geeignet
war, Europa's Könige zum Nachdenken zu bewegen. Einige Deputirte
schlugen vor, Paris zu befestigen, und diese unheilvolle Meinung fing an
Fuß zu fassen, als eine Broschüre des Herrn Thiers erschien. Dieser
gewandte Schriftsteller behandelte die Frage von höheren Gesichtspunkten,
er bewies, daß Paris durch das Meer, den Rhein, die Alpen und die
Pyrenäen hinreichend befestigt sei. Er flößte Schaam in die feigen Seelen,
welche Frankreichs Stärke anderswo finden wollten, als in dem Muthe und
dem Patriotismus seiner Söhne. Er stellte Zahlen auf, und bewies, daß
eine halbe Milliarde rein verschleudert würde. Dann erklärte er, den Na¬
men der Freiheit anrufend, daß Paris, der Sammelplatz der Intelligenz
und des Genies, unter dem Schatten der Bastillen ausarten würde und
war nahe daran, jeden Deputaten des Hochverrathes anzuklagen, der für
eine solche Maaßregel stimmen würde. Durch die Broschüre des Herrn
Thiers wurde der Plan vernichtet, und der König von Frankreich verlieh
ihm als Zeichen seiner Zufriedenheit das Großkreuz der Ehrenlegion. „Der
Mann, der allein einen so großen Fehler hintertrieben hat, ließ er ihm sa¬
gen, hat einen nationalen Sieg errungen.“

Unterdessen versammelte sich der Congreß zu Rom. Der König sandte
dahin ab die Herren Berryer, Herzog von Fitz-James, Marquis von
Dreuz-Brezé, Marschall Soult und seinen Minister der auswärtigen
Angelegenheiten, Herrn von Chateaubriand. In der Halle der St. Pe¬
terskirche beschloß man die Vernichtung des Islams. Rußland erhielt die
Türkei, England erhielt Egypten, Preußen erhielt zur Entschädigung eine
Gebietsarrondirung, Frankreich erhielt Jerusalem und Palästina, aber,
immer großmüthig im Gefühl seiner Kraft, begehrte es darüber keine Ober¬
herrschaft. Es stellte den Orden der Johanniter von Jerusalem wieder her,
theilte ihn in eben so viel Zungen, als es Nationen in Europa giebt,
und machte ihn zum Hüter der heiligen Orte. Die Juden strömteil von
allen Enden herbei, und erwarben wieder ihre Nationalität, nachdem sie zu
den Füßen des heiligen Vaters bekannt hatten, daß der Sanhedrin von Je¬
rusalem den Messias gekreuzigt habe. Herr von Rothschild, der mit seinem

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[192/0200] gefährdet. Mehemed Ali hatte das Joch des Sultans abgeschüttelt, und bedrohte ihn vor den Thoren von Constantinopel. Rußland ließ seine Ar¬ meen ausrücken, England rüstete seine Flotten, Oesterreich intervenirte und Frankreich schlug alsbald vor, daß ein großer Congreß in Rom gehalten werden solle. Die Verhandlungen begannen, und unterdessen rüsteten alle Mächte. Europa hatte das Ansehen eines großen Lagers. Die Nationalversammlung trat zusammen, um 500 Millionen Franken zu votiren. Es geschah dieß durch allgemeinen Zuruf, mit einer Uebereinstimmung, die wohl geeignet war, Europa's Könige zum Nachdenken zu bewegen. Einige Deputirte schlugen vor, Paris zu befestigen, und diese unheilvolle Meinung fing an Fuß zu fassen, als eine Broschüre des Herrn Thiers erschien. Dieser gewandte Schriftsteller behandelte die Frage von höheren Gesichtspunkten, er bewies, daß Paris durch das Meer, den Rhein, die Alpen und die Pyrenäen hinreichend befestigt sei. Er flößte Schaam in die feigen Seelen, welche Frankreichs Stärke anderswo finden wollten, als in dem Muthe und dem Patriotismus seiner Söhne. Er stellte Zahlen auf, und bewies, daß eine halbe Milliarde rein verschleudert würde. Dann erklärte er, den Na¬ men der Freiheit anrufend, daß Paris, der Sammelplatz der Intelligenz und des Genies, unter dem Schatten der Bastillen ausarten würde und war nahe daran, jeden Deputaten des Hochverrathes anzuklagen, der für eine solche Maaßregel stimmen würde. Durch die Broschüre des Herrn Thiers wurde der Plan vernichtet, und der König von Frankreich verlieh ihm als Zeichen seiner Zufriedenheit das Großkreuz der Ehrenlegion. „Der Mann, der allein einen so großen Fehler hintertrieben hat, ließ er ihm sa¬ gen, hat einen nationalen Sieg errungen.“ Unterdessen versammelte sich der Congreß zu Rom. Der König sandte dahin ab die Herren Berryer, Herzog von Fitz-James, Marquis von Dreuz-Brezé, Marschall Soult und seinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Chateaubriand. In der Halle der St. Pe¬ terskirche beschloß man die Vernichtung des Islams. Rußland erhielt die Türkei, England erhielt Egypten, Preußen erhielt zur Entschädigung eine Gebietsarrondirung, Frankreich erhielt Jerusalem und Palästina, aber, immer großmüthig im Gefühl seiner Kraft, begehrte es darüber keine Ober¬ herrschaft. Es stellte den Orden der Johanniter von Jerusalem wieder her, theilte ihn in eben so viel Zungen, als es Nationen in Europa giebt, und machte ihn zum Hüter der heiligen Orte. Die Juden strömteil von allen Enden herbei, und erwarben wieder ihre Nationalität, nachdem sie zu den Füßen des heiligen Vaters bekannt hatten, daß der Sanhedrin von Je¬ rusalem den Messias gekreuzigt habe. Herr von Rothschild, der mit seinem

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/200>, abgerufen am 17.05.2024.