Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.Lelewel auf dem Marktplatze zu Brüssel. Wo Egmont einst geblutet, wo Horns Haupt gefallen, Wo jetzt im Licht der Freiheit die Niederländer wallen, Dort steht in dumpfem Sinnen ein Greis, das Auge stier, Als dacht' er jener Thaten, die einst geschahen hier. Es zieh'n ihm tiefe Furchen vom Aug' zum Mund herab, Sie scheinen aller Wünsche und aller Hoffnung Grab. Ein Greis in armer Hülle, den Nacken tief gebückt, Als hätten Weltenstürme das Leben ihm zerknickt. "Die Ihr an dieser Stätte das Leben ausgegossen, "Ihr Helden, deren Blute der Freiheitsbaum entsprossen, "Die Ihr auf diese Lande hernieder schaut verklärt; "Nur Ihr begreift das Wehe das meine Brust verzehrt." "Wie Ihr hab' ich gesprochen für meines Volkes Rechte, "Wie Ihr trug ich das Banner der Freiheit im Gefechte; "Heil Euch! Ihr starbt -- und schufet des Volkes Morgenroth, "Weh mir, ich leb' und athme, -- mein armes Volk ist todt." So steht der Greis allnächtlich im trüben Mondeslichte Prof. A. Lebermuth.Und sinnet nach, den Räthseln, im Rad der Weltgeschichte; Mitleidig schaut der Wanderer den nächtlichen Gesell Und seufzt: Dort steht er wieder der alte Lelewel!*) *) Der berühmte Polenführer lebt in Brüssel in rührender Trauer und tiefster Zurückgezogen¬
heit, in der strengsten Entsagung aller Lebensfreuden. Die Theilnahme und Dienstaner¬ bietungen, die ihm von den bedeutendsten Männern zukamen, bescheiden aber fest zurück¬ weisend, beschränkt er sich bloß; auf den Ertrag seiner numismatischen Forschungen, auf welchem Gebiete er bekanntlich einer der ersten Gelehrten Europas ist. Mehre historische Arbeiten über polnische Geschichte, die er fragmentarisch niedergeschrieben hat, bewahrt er geheimnißvoll und widersteht allen, Drängen seiner Landsleute sie zu publiziren. Von sei¬ nem früheren wichtigen Arbeiten hat er auf der Flucht nichts gerettet; und bei der völ¬ ligen Abgeschiedenheit der polnischen Flüchtlinge von ihrem Vaterlande, ist er von allen seinen Papieren getrennt. Lelewel auf dem Marktplatze zu Brüssel. Wo Egmont einst geblutet, wo Horns Haupt gefallen, Wo jetzt im Licht der Freiheit die Niederländer wallen, Dort steht in dumpfem Sinnen ein Greis, das Auge stier, Als dacht' er jener Thaten, die einst geschahen hier. Es zieh'n ihm tiefe Furchen vom Aug' zum Mund herab, Sie scheinen aller Wünsche und aller Hoffnung Grab. Ein Greis in armer Hülle, den Nacken tief gebückt, Als hätten Weltenstürme das Leben ihm zerknickt. „Die Ihr an dieser Stätte das Leben ausgegossen, „Ihr Helden, deren Blute der Freiheitsbaum entsprossen, „Die Ihr auf diese Lande hernieder schaut verklärt; „Nur Ihr begreift das Wehe das meine Brust verzehrt.“ „Wie Ihr hab' ich gesprochen für meines Volkes Rechte, „Wie Ihr trug ich das Banner der Freiheit im Gefechte; „Heil Euch! Ihr starbt — und schufet des Volkes Morgenroth, „Weh mir, ich leb' und athme, — mein armes Volk ist todt.“ So steht der Greis allnächtlich im trüben Mondeslichte Prof. A. Lebermuth.Und sinnet nach, den Räthseln, im Rad der Weltgeschichte; Mitleidig schaut der Wanderer den nächtlichen Gesell Und seufzt: Dort steht er wieder der alte Lelewel!*) *) Der berühmte Polenführer lebt in Brüssel in rührender Trauer und tiefster Zurückgezogen¬
heit, in der strengsten Entsagung aller Lebensfreuden. Die Theilnahme und Dienstaner¬ bietungen, die ihm von den bedeutendsten Männern zukamen, bescheiden aber fest zurück¬ weisend, beschränkt er sich bloß; auf den Ertrag seiner numismatischen Forschungen, auf welchem Gebiete er bekanntlich einer der ersten Gelehrten Europas ist. Mehre historische Arbeiten über polnische Geschichte, die er fragmentarisch niedergeschrieben hat, bewahrt er geheimnißvoll und widersteht allen, Drängen seiner Landsleute sie zu publiziren. Von sei¬ nem früheren wichtigen Arbeiten hat er auf der Flucht nichts gerettet; und bei der völ¬ ligen Abgeschiedenheit der polnischen Flüchtlinge von ihrem Vaterlande, ist er von allen seinen Papieren getrennt. <TEI> <text> <body> <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179543" n="152" facs="#f0160"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#g">Lelewel<lb/> auf dem Marktplatze zu Brüssel.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem" n="1"> <l>Wo <hi rendition="#g">Egmont</hi> einst geblutet, wo <hi rendition="#g">Horns</hi> Haupt gefallen,<lb/> Wo jetzt im Licht der Freiheit die Niederländer wallen,<lb/> Dort steht in dumpfem Sinnen ein Greis, das Auge stier,<lb/> Als dacht' er jener Thaten, die einst geschahen hier.</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="2"> <l>Es zieh'n ihm tiefe Furchen vom Aug' zum Mund herab,<lb/> Sie scheinen aller Wünsche und aller Hoffnung Grab.<lb/> Ein Greis in armer Hülle, den Nacken tief gebückt,<lb/> Als hätten Weltenstürme das Leben ihm zerknickt.</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="3"> <l>„Die Ihr an dieser Stätte das Leben ausgegossen,<lb/> „Ihr Helden, <choice><sic>derem</sic><corr>deren</corr></choice> Blute der Freiheitsbaum entsprossen,<lb/> „Die Ihr auf diese Lande hernieder schaut verklärt;<lb/> „Nur Ihr begreift das Wehe das meine Brust verzehrt.“</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="4"> <l>„Wie Ihr hab' ich gesprochen für meines Volkes Rechte,<lb/> „Wie Ihr trug ich das Banner der Freiheit im Gefechte;<lb/> „Heil Euch! Ihr <hi rendition="#g">starbt</hi> — und schufet des Volkes Morgenroth,<lb/> „Weh mir, ich leb' und athme, — mein armes Volk ist todt.“</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="5"> <l>So steht der Greis allnächtlich im trüben Mondeslichte<lb/> Und sinnet nach, den Räthseln, im Rad der Weltgeschichte;<lb/> Mitleidig schaut der Wanderer den nächtlichen Gesell<lb/> Und seufzt: Dort steht er wieder der alte <hi rendition="#g">Lelewel</hi>!<note place="foot" n="*)">Der berühmte Polenführer lebt in Brüssel in rührender Trauer und tiefster Zurückgezogen¬<lb/> heit, in der strengsten Entsagung aller Lebensfreuden. Die Theilnahme und Dienstaner¬<lb/> bietungen, die ihm von den bedeutendsten Männern zukamen, bescheiden aber fest zurück¬<lb/> weisend, beschränkt er sich bloß; auf den Ertrag seiner numismatischen Forschungen, auf<lb/> welchem Gebiete er bekanntlich einer der ersten Gelehrten Europas ist. Mehre historische<lb/> Arbeiten über polnische Geschichte, die er fragmentarisch niedergeschrieben hat, bewahrt er<lb/> geheimnißvoll und widersteht allen, Drängen seiner Landsleute sie zu publiziren. Von sei¬<lb/> nem früheren wichtigen Arbeiten hat er auf der Flucht nichts gerettet; und bei der völ¬<lb/> ligen Abgeschiedenheit der polnischen Flüchtlinge von ihrem Vaterlande, ist er von allen<lb/> seinen Papieren getrennt.</note></l> </lg><lb/> <bibl> <author> <hi rendition="#right">Prof. A. <hi rendition="#g">Lebermuth</hi>.</hi> </author> </bibl><lb/> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [152/0160]
Lelewel
auf dem Marktplatze zu Brüssel.
Wo Egmont einst geblutet, wo Horns Haupt gefallen,
Wo jetzt im Licht der Freiheit die Niederländer wallen,
Dort steht in dumpfem Sinnen ein Greis, das Auge stier,
Als dacht' er jener Thaten, die einst geschahen hier.
Es zieh'n ihm tiefe Furchen vom Aug' zum Mund herab,
Sie scheinen aller Wünsche und aller Hoffnung Grab.
Ein Greis in armer Hülle, den Nacken tief gebückt,
Als hätten Weltenstürme das Leben ihm zerknickt.
„Die Ihr an dieser Stätte das Leben ausgegossen,
„Ihr Helden, deren Blute der Freiheitsbaum entsprossen,
„Die Ihr auf diese Lande hernieder schaut verklärt;
„Nur Ihr begreift das Wehe das meine Brust verzehrt.“
„Wie Ihr hab' ich gesprochen für meines Volkes Rechte,
„Wie Ihr trug ich das Banner der Freiheit im Gefechte;
„Heil Euch! Ihr starbt — und schufet des Volkes Morgenroth,
„Weh mir, ich leb' und athme, — mein armes Volk ist todt.“
So steht der Greis allnächtlich im trüben Mondeslichte
Und sinnet nach, den Räthseln, im Rad der Weltgeschichte;
Mitleidig schaut der Wanderer den nächtlichen Gesell
Und seufzt: Dort steht er wieder der alte Lelewel! *)
Prof. A. Lebermuth.
*) Der berühmte Polenführer lebt in Brüssel in rührender Trauer und tiefster Zurückgezogen¬
heit, in der strengsten Entsagung aller Lebensfreuden. Die Theilnahme und Dienstaner¬
bietungen, die ihm von den bedeutendsten Männern zukamen, bescheiden aber fest zurück¬
weisend, beschränkt er sich bloß; auf den Ertrag seiner numismatischen Forschungen, auf
welchem Gebiete er bekanntlich einer der ersten Gelehrten Europas ist. Mehre historische
Arbeiten über polnische Geschichte, die er fragmentarisch niedergeschrieben hat, bewahrt er
geheimnißvoll und widersteht allen, Drängen seiner Landsleute sie zu publiziren. Von sei¬
nem früheren wichtigen Arbeiten hat er auf der Flucht nichts gerettet; und bei der völ¬
ligen Abgeschiedenheit der polnischen Flüchtlinge von ihrem Vaterlande, ist er von allen
seinen Papieren getrennt.
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(2013-11-19T17:23:38Z)
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