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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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doch wird die Belohnung nur für diejenigen aufgespart, die nur das ge¬
ringere Verdienst ausweisen können. Man wirft den schwachen Knechten
der Kunst Schätze zu, die ihre windigsten Kinder nicht in ihren kühnsten
Träumen für sich hoffen durften.

Ein obscurer Theatercoryphäe wendet bei seinen Belsazer'schen Gelagen
Summen auf, die hinreichen würden auf ein Jahr für die bescheidene Haus¬
haltung eines Beethoven, eines Schiller, eines Corneille, eines Mozart!
Welcher abgeschmackte Widerspruch!

Die Extreme berühren sich. Ehemals die Parias der Gesellschaft,
sind die Schauspieler jetzt ihre Auserwählten. Nicht zufrieden mit der Ih¬
nen zugestandenen Gleichheit der Lage und öffentlichen Achtung, verlan¬
gen sie Höheres, Außerordentliches. Eine Sängerin von einigem Rufe ver¬
achtet den Gehalt eines Ministers oder eines Marschalls von Frankreich,
als unter ihrem Verdienste. Schauspieler dritten und vierten Ranges be¬
ziehen in Frankreich die Gehalte eines Präfekten, eines Staatsraths, eines
Erzbischofs, und sind noch ungehalten darüber.

Ist der Schriftsteller, der für ein verdienstvolles Werk, das die Frucht
zahlreicher Nachtwachen ist, eine Verdienstmedaille von 1000 Franken an
Werth bekommt, ist der muthige Arzt, der die Stelle der Vorsehung in
unsern Spitälern vertritt, der geschickte Beamte, der ein Rad in unserer
Staatsmaschiene bewegt, der tapfere und unterrichtete Offizier, der sich für
einen Gehalt von jährlich 1800 Franken frohen Muthes tödten läßt, ein
viel schlechteres Mitglied der Gesellschaft, als die erste Sängerin von Tou¬
louse, oder der zärtliche Liebhaber in Dresden, oder der Intrigant von
Stuttgart, die 10 -- 15 -- 20,0000 Franken jährlich einnehmen, dafür,
daß sie falsch singen und die Verse unserer größten Meister radebrechen.

Gehen wir der Quelle des Mißbrauchs nach! Ein Sänger, dem die
Natur ein biegsames, helltönendes und umfangreiches Organ gegeben hat,
lernt einige Zeit in der Schule lesen, worauf man ihn in einen Ausschnitts-
laden, in eine Buchdruckerei als Lehrling, oder, wenn es hoch kommt,
einem Schulmeister als Gehülfen beigibt. Hier hat er Zeit den Tag über
zu trällern, und die Gassenhauer und Trinklieder vom "Gold welches nur
eine Chimäre ist", und von dem "Trobadour, der da folgt der Prinzessin
Spur" u. s. w., nach Belieben zu singen. Dabei agirt er mit der Elle,
mit dem Winkelhacken, mit dem Bakel. Die Freunde bewundern ihn, sie
behaupten er sei zum Theater geboren, und der Ruhm könne ihm nicht
ausbleiben. Zwar er kennt keine Note, uud er weiß nicht ob man den
Ton in der Kehle, im Gaumen oder in der Nase ansetzt. Aber da drüben
in dem kleinen Häuschen wohnt ein armer Geiger. Ein Chorist aus dem
Theater leiht ihm die Rolle des Fra Diavolo. Der Geiger spielt vor, der

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doch wird die Belohnung nur für diejenigen aufgespart, die nur das ge¬
ringere Verdienst ausweisen können. Man wirft den schwachen Knechten
der Kunst Schätze zu, die ihre windigsten Kinder nicht in ihren kühnsten
Träumen für sich hoffen durften.

Ein obscurer Theatercoryphäe wendet bei seinen Belsazer'schen Gelagen
Summen auf, die hinreichen würden auf ein Jahr für die bescheidene Haus¬
haltung eines Beethoven, eines Schiller, eines Corneille, eines Mozart!
Welcher abgeschmackte Widerspruch!

Die Extreme berühren sich. Ehemals die Parias der Gesellschaft,
sind die Schauspieler jetzt ihre Auserwählten. Nicht zufrieden mit der Ih¬
nen zugestandenen Gleichheit der Lage und öffentlichen Achtung, verlan¬
gen sie Höheres, Außerordentliches. Eine Sängerin von einigem Rufe ver¬
achtet den Gehalt eines Ministers oder eines Marschalls von Frankreich,
als unter ihrem Verdienste. Schauspieler dritten und vierten Ranges be¬
ziehen in Frankreich die Gehalte eines Präfekten, eines Staatsraths, eines
Erzbischofs, und sind noch ungehalten darüber.

Ist der Schriftsteller, der für ein verdienstvolles Werk, das die Frucht
zahlreicher Nachtwachen ist, eine Verdienstmedaille von 1000 Franken an
Werth bekommt, ist der muthige Arzt, der die Stelle der Vorsehung in
unsern Spitälern vertritt, der geschickte Beamte, der ein Rad in unserer
Staatsmaschiene bewegt, der tapfere und unterrichtete Offizier, der sich für
einen Gehalt von jährlich 1800 Franken frohen Muthes tödten läßt, ein
viel schlechteres Mitglied der Gesellschaft, als die erste Sängerin von Tou¬
louse, oder der zärtliche Liebhaber in Dresden, oder der Intrigant von
Stuttgart, die 10 — 15 — 20,0000 Franken jährlich einnehmen, dafür,
daß sie falsch singen und die Verse unserer größten Meister radebrechen.

Gehen wir der Quelle des Mißbrauchs nach! Ein Sänger, dem die
Natur ein biegsames, helltönendes und umfangreiches Organ gegeben hat,
lernt einige Zeit in der Schule lesen, worauf man ihn in einen Ausschnitts-
laden, in eine Buchdruckerei als Lehrling, oder, wenn es hoch kommt,
einem Schulmeister als Gehülfen beigibt. Hier hat er Zeit den Tag über
zu trällern, und die Gassenhauer und Trinklieder vom „Gold welches nur
eine Chimäre ist“, und von dem „Trobadour, der da folgt der Prinzessin
Spur“ u. s. w., nach Belieben zu singen. Dabei agirt er mit der Elle,
mit dem Winkelhacken, mit dem Bakel. Die Freunde bewundern ihn, sie
behaupten er sei zum Theater geboren, und der Ruhm könne ihm nicht
ausbleiben. Zwar er kennt keine Note, uud er weiß nicht ob man den
Ton in der Kehle, im Gaumen oder in der Nase ansetzt. Aber da drüben
in dem kleinen Häuschen wohnt ein armer Geiger. Ein Chorist aus dem
Theater leiht ihm die Rolle des Fra Diavolo. Der Geiger spielt vor, der

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[135/0143] doch wird die Belohnung nur für diejenigen aufgespart, die nur das ge¬ ringere Verdienst ausweisen können. Man wirft den schwachen Knechten der Kunst Schätze zu, die ihre windigsten Kinder nicht in ihren kühnsten Träumen für sich hoffen durften. Ein obscurer Theatercoryphäe wendet bei seinen Belsazer'schen Gelagen Summen auf, die hinreichen würden auf ein Jahr für die bescheidene Haus¬ haltung eines Beethoven, eines Schiller, eines Corneille, eines Mozart! Welcher abgeschmackte Widerspruch! Die Extreme berühren sich. Ehemals die Parias der Gesellschaft, sind die Schauspieler jetzt ihre Auserwählten. Nicht zufrieden mit der Ih¬ nen zugestandenen Gleichheit der Lage und öffentlichen Achtung, verlan¬ gen sie Höheres, Außerordentliches. Eine Sängerin von einigem Rufe ver¬ achtet den Gehalt eines Ministers oder eines Marschalls von Frankreich, als unter ihrem Verdienste. Schauspieler dritten und vierten Ranges be¬ ziehen in Frankreich die Gehalte eines Präfekten, eines Staatsraths, eines Erzbischofs, und sind noch ungehalten darüber. Ist der Schriftsteller, der für ein verdienstvolles Werk, das die Frucht zahlreicher Nachtwachen ist, eine Verdienstmedaille von 1000 Franken an Werth bekommt, ist der muthige Arzt, der die Stelle der Vorsehung in unsern Spitälern vertritt, der geschickte Beamte, der ein Rad in unserer Staatsmaschiene bewegt, der tapfere und unterrichtete Offizier, der sich für einen Gehalt von jährlich 1800 Franken frohen Muthes tödten läßt, ein viel schlechteres Mitglied der Gesellschaft, als die erste Sängerin von Tou¬ louse, oder der zärtliche Liebhaber in Dresden, oder der Intrigant von Stuttgart, die 10 — 15 — 20,0000 Franken jährlich einnehmen, dafür, daß sie falsch singen und die Verse unserer größten Meister radebrechen. Gehen wir der Quelle des Mißbrauchs nach! Ein Sänger, dem die Natur ein biegsames, helltönendes und umfangreiches Organ gegeben hat, lernt einige Zeit in der Schule lesen, worauf man ihn in einen Ausschnitts- laden, in eine Buchdruckerei als Lehrling, oder, wenn es hoch kommt, einem Schulmeister als Gehülfen beigibt. Hier hat er Zeit den Tag über zu trällern, und die Gassenhauer und Trinklieder vom „Gold welches nur eine Chimäre ist“, und von dem „Trobadour, der da folgt der Prinzessin Spur“ u. s. w., nach Belieben zu singen. Dabei agirt er mit der Elle, mit dem Winkelhacken, mit dem Bakel. Die Freunde bewundern ihn, sie behaupten er sei zum Theater geboren, und der Ruhm könne ihm nicht ausbleiben. Zwar er kennt keine Note, uud er weiß nicht ob man den Ton in der Kehle, im Gaumen oder in der Nase ansetzt. Aber da drüben in dem kleinen Häuschen wohnt ein armer Geiger. Ein Chorist aus dem Theater leiht ihm die Rolle des Fra Diavolo. Der Geiger spielt vor, der 18*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/143>, abgerufen am 17.05.2024.