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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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er noch ein guter Patriot und hat Weltkenntniß. Ich habe eine glückliche Stunde mit
ihm verbracht und die ganze Nacht darauf nicht geschlafen.

Eine Frage beschäftigte mich sehr, als ich den Rhein herabfuhr. Wie kömmt es,
daß die schönsten Städte grade auf dem linken Rheinufer liegen. Für einen Gelehrten
gäbe das Stoff und Gelegenheit zu einem dicken Buche.

Es sind gerade drei Monate als ich Paris verließ; instinktmäßig trieb michs nach
Deutschland. Andere mögen nach Italien, nach der Schweiz reisen. Ich suche weder
Berge, noch schöne malerische Punkte, noch Alterthümer, Menschen suche ich, und in
ihnen Geist, und im Geiste Bewegung; denn die Bewegung ist das Element des Geistes,
ist seine Ruhe, so wie das Wiegen dem Kinde, so wie der Fisch mir in dem Heben
und Schweben der Welle sich ergötzt und sich behaglich fühlt. Wo Menschen und Geist
sind, da ist alles schön, ein Stück Holz, ein Galgen wird zum Tempel, zur Fahne
der Menschheit, wenn ein Jesus daran stirbt. Der Mensch heiligt Alles; Gott wäre
Gott nicht, hätte er nicht den Menschen erschaffen, damit er ihn lobe, mit ihm aber
auch streite und kämpfe. Ja, es scheint vielmehr, als schuf er ihn nur, um mit ihm
zu kämpfen, was so schön und so oft in der Bibel angedeutet ist.

Die politischen Diskussionen über Frankreich, haben in Deutschland einen unsicheren
Boden, wahrscheinlich wegen der phrasenhaften Correspondenzartikel, womit die deut¬
schen Journale von hier aus, fast von lauter Handlangern, angefüllt sind, man sieht
weder die Lage Frankreichs, noch die soziale Bewegung darin mit rechten Augen, und
hält die Debats für ein Orakel. Ich habe es oft schon gesagt, daß die wahren In¬
teressen Frankreichs gar kein Organ haben, weil die großen Journale alle egoistischen
Zwecken dienen.

Man machte Deutschland bisher den Vorwurf, daß es unpraktisch und träumerisch
sei. Wie fand ich es verändert. Mir wurde vor lauter Praxis und Industrie schwind¬
lig. Ich gehöre zu den Poeten, über die sich List mit schneidender Ironie lustig macht.
Aber nachdem ich drei Monate dort war, wurde ich ein ganz anderer Mensch. -- Ich
sprach von nichts als von Baumwolle, vom Zollverein, von der Landwehr, von einer
deutschen Flotte, von den Eisenbahnaktien, von Holland, weg war die Poesie, verschwun¬
den die Literatur, verdammt die Kunst, verstoßen die Musik, vergessen die schönen Mäd¬
chen am Rhein, ich war ganz Baumwolle. Wie schmeckte Ihnen die Küche in Frank¬
furt? fragte mich Einer. Ach, versetzte ich, fürchten Sie nichts, die Deutschen
werden den Franzosen nicht die geringste Conzession machen, um das Schlachtvieh einzu¬
führen. Die Consumation des Fleisches ist enorm seit der Rhein-Schleppschiff-
Dampffahrt
-- ich sprach dies ganz richtig aus.

In Elberfeld, die schönste Stadt, die ich auf meiner Reise gesehen, sagte mir ein
Bibelverkäufer, den ich barsch abwies: Mensch, wenn Du Dich erzürnen willst, war¬
te noch eine halbe Stunde! Ein herrlicher Spruch; ich werde diesen Spruch in Zukunft
so anwenden: Mensch, willst Du langweilige Notizen schreiben, warte noch eine halbe
Stunde!



er noch ein guter Patriot und hat Weltkenntniß. Ich habe eine glückliche Stunde mit
ihm verbracht und die ganze Nacht darauf nicht geschlafen.

Eine Frage beschäftigte mich sehr, als ich den Rhein herabfuhr. Wie kömmt es,
daß die schönsten Städte grade auf dem linken Rheinufer liegen. Für einen Gelehrten
gäbe das Stoff und Gelegenheit zu einem dicken Buche.

Es sind gerade drei Monate als ich Paris verließ; instinktmäßig trieb michs nach
Deutschland. Andere mögen nach Italien, nach der Schweiz reisen. Ich suche weder
Berge, noch schöne malerische Punkte, noch Alterthümer, Menschen suche ich, und in
ihnen Geist, und im Geiste Bewegung; denn die Bewegung ist das Element des Geistes,
ist seine Ruhe, so wie das Wiegen dem Kinde, so wie der Fisch mir in dem Heben
und Schweben der Welle sich ergötzt und sich behaglich fühlt. Wo Menschen und Geist
sind, da ist alles schön, ein Stück Holz, ein Galgen wird zum Tempel, zur Fahne
der Menschheit, wenn ein Jesus daran stirbt. Der Mensch heiligt Alles; Gott wäre
Gott nicht, hätte er nicht den Menschen erschaffen, damit er ihn lobe, mit ihm aber
auch streite und kämpfe. Ja, es scheint vielmehr, als schuf er ihn nur, um mit ihm
zu kämpfen, was so schön und so oft in der Bibel angedeutet ist.

Die politischen Diskussionen über Frankreich, haben in Deutschland einen unsicheren
Boden, wahrscheinlich wegen der phrasenhaften Correspondenzartikel, womit die deut¬
schen Journale von hier aus, fast von lauter Handlangern, angefüllt sind, man sieht
weder die Lage Frankreichs, noch die soziale Bewegung darin mit rechten Augen, und
hält die Debats für ein Orakel. Ich habe es oft schon gesagt, daß die wahren In¬
teressen Frankreichs gar kein Organ haben, weil die großen Journale alle egoistischen
Zwecken dienen.

Man machte Deutschland bisher den Vorwurf, daß es unpraktisch und träumerisch
sei. Wie fand ich es verändert. Mir wurde vor lauter Praxis und Industrie schwind¬
lig. Ich gehöre zu den Poeten, über die sich List mit schneidender Ironie lustig macht.
Aber nachdem ich drei Monate dort war, wurde ich ein ganz anderer Mensch. — Ich
sprach von nichts als von Baumwolle, vom Zollverein, von der Landwehr, von einer
deutschen Flotte, von den Eisenbahnaktien, von Holland, weg war die Poesie, verschwun¬
den die Literatur, verdammt die Kunst, verstoßen die Musik, vergessen die schönen Mäd¬
chen am Rhein, ich war ganz Baumwolle. Wie schmeckte Ihnen die Küche in Frank¬
furt? fragte mich Einer. Ach, versetzte ich, fürchten Sie nichts, die Deutschen
werden den Franzosen nicht die geringste Conzession machen, um das Schlachtvieh einzu¬
führen. Die Consumation des Fleisches ist enorm seit der Rhein-Schleppschiff-
Dampffahrt
— ich sprach dies ganz richtig aus.

In Elberfeld, die schönste Stadt, die ich auf meiner Reise gesehen, sagte mir ein
Bibelverkäufer, den ich barsch abwies: Mensch, wenn Du Dich erzürnen willst, war¬
te noch eine halbe Stunde! Ein herrlicher Spruch; ich werde diesen Spruch in Zukunft
so anwenden: Mensch, willst Du langweilige Notizen schreiben, warte noch eine halbe
Stunde!



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/138>, abgerufen am 21.11.2024.