Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Formenlehre. § 2
dere werden je nach der Beschaffenheit der zu vergleichenden
Dinge, liefert den Beweis dafür, dass diese Beziehungen nicht dem
Begriff der Gleichheit selbst angehören, sondern den Gegenstän-
den, auf welche derselbe Begriff der Gleichheit angewandt wird.
In der That von zwei gleich langen Strecken z. B. können wir nicht
sagen, dass sie an sich gleich sind, sondern nur dass ihre Länge
gleich sei, und diese Länge steht dann eben auch in der vollkom-
menen Beziehung der Gleichheit. Somit haben wir dem Begriff
der Gleichheit seine Einfachheit gerettet, und können denselben
dahin bestimmen, dass gleich dasjenige sei, von dem man stets
dasselbe aussagen kann oder allgemeiner, was in jedem Urtheile
sich gegenseitig substituirt werden kann *). Wie hierin zugleich
ausgesagt liegt, dass wenn zwei Formen einer dritten gleich sind,
sie auch selbst einander gleich sind, und dass das aus dem Gleichen
auf dieselbe Weise erzeugte wieder gleich sei, liegt am Tage.

§ 2. Der zweite Gegensatz, den wir hier in Betracht zu zie-
hen haben, ist der der Verknüpfung und Sonderung. Wenn zwei
Grössen oder Formen (welchen Namen wir als den allgemeineren
vorziehen, s. Einl. 3) unter sich verknüpft sind, so heissen sie
Glieder der Verknüpfung, die Form, welche durch die Ver-
knüpfung beider dargestellt wird, das Ergebniss der Verknüpfung.
Sollten beide Glieder unterschieden werden, so nennen wir das
eine das Vorderglied, das andere das Hinterglied. Als das
allgemeine Zeichen der Verknüpfung wählen wir das Zeichen *;
sind nun a und b die Glieder derselben, und zwar a das Vorder-
glied, b das Hinterglied, so bezeichnen wir das Ergebniss der Ver-
knüpfung mit (a * b); indem die Klammer hier ausdrücken soll,
dass die Verknüpfung nicht mehr in der Trennung ihrer Glieder
soll angeschaut werden, sondern als eine Einheit des Begriffs **).
Das Ergebniss der Verknüpfung kann wieder mit andern Formen ver-

*) Es soll dies keine philosophische Begriffsbestimmung sein, sondern nur
eine Verständigung über das Wort, damit nicht etwa verschiedenes darunter ver-
standen werde. Die philosophische Begriffsbestimmung würde vielmehr den
Gegensatz des Gleichen und Verschiedenen in seinem Fliessen und in seiner star-
ren Abgränzung zu ergreifen haben, wozu noch ein nicht unbeträchtlicher Apparat
von Begriffsbestimmungen erforderlich sein würde, der hier nicht hergehört.
**) Auf welche Weise nun diese Einheit bewirkt wird, und was dabei jedes-

Allgemeine Formenlehre. § 2
dere werden je nach der Beschaffenheit der zu vergleichenden
Dinge, liefert den Beweis dafür, dass diese Beziehungen nicht dem
Begriff der Gleichheit selbst angehören, sondern den Gegenstän-
den, auf welche derselbe Begriff der Gleichheit angewandt wird.
In der That von zwei gleich langen Strecken z. B. können wir nicht
sagen, dass sie an sich gleich sind, sondern nur dass ihre Länge
gleich sei, und diese Länge steht dann eben auch in der vollkom-
menen Beziehung der Gleichheit. Somit haben wir dem Begriff
der Gleichheit seine Einfachheit gerettet, und können denselben
dahin bestimmen, dass gleich dasjenige sei, von dem man stets
dasselbe aussagen kann oder allgemeiner, was in jedem Urtheile
sich gegenseitig substituirt werden kann *). Wie hierin zugleich
ausgesagt liegt, dass wenn zwei Formen einer dritten gleich sind,
sie auch selbst einander gleich sind, und dass das aus dem Gleichen
auf dieselbe Weise erzeugte wieder gleich sei, liegt am Tage.

§ 2. Der zweite Gegensatz, den wir hier in Betracht zu zie-
hen haben, ist der der Verknüpfung und Sonderung. Wenn zwei
Grössen oder Formen (welchen Namen wir als den allgemeineren
vorziehen, s. Einl. 3) unter sich verknüpft sind, so heissen sie
Glieder der Verknüpfung, die Form, welche durch die Ver-
knüpfung beider dargestellt wird, das Ergebniss der Verknüpfung.
Sollten beide Glieder unterschieden werden, so nennen wir das
eine das Vorderglied, das andere das Hinterglied. Als das
allgemeine Zeichen der Verknüpfung wählen wir das Zeichen ◠;
sind nun a und b die Glieder derselben, und zwar a das Vorder-
glied, b das Hinterglied, so bezeichnen wir das Ergebniss der Ver-
knüpfung mit (a ◠ b); indem die Klammer hier ausdrücken soll,
dass die Verknüpfung nicht mehr in der Trennung ihrer Glieder
soll angeschaut werden, sondern als eine Einheit des Begriffs **).
Das Ergebniss der Verknüpfung kann wieder mit andern Formen ver-

*) Es soll dies keine philosophische Begriffsbestimmung sein, sondern nur
eine Verständigung über das Wort, damit nicht etwa verschiedenes darunter ver-
standen werde. Die philosophische Begriffsbestimmung würde vielmehr den
Gegensatz des Gleichen und Verschiedenen in seinem Fliessen und in seiner star-
ren Abgränzung zu ergreifen haben, wozu noch ein nicht unbeträchtlicher Apparat
von Begriffsbestimmungen erforderlich sein würde, der hier nicht hergehört.
**) Auf welche Weise nun diese Einheit bewirkt wird, und was dabei jedes-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="2"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Formenlehre. § 2</fw><lb/>
dere werden je nach der Beschaffenheit der zu vergleichenden<lb/>
Dinge, liefert den Beweis dafür, dass diese Beziehungen nicht dem<lb/>
Begriff der Gleichheit selbst angehören, sondern den Gegenstän-<lb/>
den, auf welche derselbe Begriff der Gleichheit angewandt wird.<lb/>
In der That von zwei gleich langen Strecken z. B. können wir nicht<lb/>
sagen, dass sie an sich gleich sind, sondern nur dass ihre Länge<lb/>
gleich sei, und diese Länge steht dann eben auch in der vollkom-<lb/>
menen Beziehung der Gleichheit. Somit haben wir dem Begriff<lb/>
der Gleichheit seine Einfachheit gerettet, und können denselben<lb/>
dahin bestimmen, dass gleich dasjenige sei, von dem man stets<lb/>
dasselbe aussagen kann oder allgemeiner, was in jedem Urtheile<lb/>
sich gegenseitig substituirt werden kann <note place="foot" n="*)">Es soll dies keine philosophische Begriffsbestimmung sein, sondern nur<lb/>
eine Verständigung über das Wort, damit nicht etwa verschiedenes darunter ver-<lb/>
standen werde. Die philosophische Begriffsbestimmung würde vielmehr den<lb/>
Gegensatz des Gleichen und Verschiedenen in seinem Fliessen und in seiner star-<lb/>
ren Abgränzung zu ergreifen haben, wozu noch ein nicht unbeträchtlicher Apparat<lb/>
von Begriffsbestimmungen erforderlich sein würde, der hier nicht hergehört.</note>. Wie hierin zugleich<lb/>
ausgesagt liegt, dass wenn zwei Formen einer dritten gleich sind,<lb/>
sie auch selbst einander gleich sind, und dass das aus dem Gleichen<lb/>
auf dieselbe Weise erzeugte wieder gleich sei, liegt am Tage.</p><lb/>
        <p>§ 2. Der zweite Gegensatz, den wir hier in Betracht zu zie-<lb/>
hen haben, ist der der Verknüpfung und Sonderung. Wenn zwei<lb/>
Grössen oder Formen (welchen Namen wir als den allgemeineren<lb/>
vorziehen, s. Einl. 3) unter sich verknüpft sind, so heissen sie<lb/><hi rendition="#g">Glieder</hi> der Verknüpfung, die Form, welche durch die Ver-<lb/>
knüpfung beider dargestellt wird, das <hi rendition="#g">Ergebniss</hi> der Verknüpfung.<lb/>
Sollten beide Glieder unterschieden werden, so nennen wir das<lb/>
eine das <hi rendition="#g">Vorderglied,</hi> das andere das <hi rendition="#g">Hinterglied.</hi> Als das<lb/>
allgemeine Zeichen der Verknüpfung wählen wir das Zeichen &#x25E0;;<lb/>
sind nun a und b die Glieder derselben, und zwar a das Vorder-<lb/>
glied, b das Hinterglied, so bezeichnen wir das Ergebniss der Ver-<lb/>
knüpfung mit (a &#x25E0; b); indem die Klammer hier ausdrücken soll,<lb/>
dass die Verknüpfung nicht mehr in der Trennung ihrer Glieder<lb/>
soll angeschaut werden, sondern als eine Einheit des Begriffs <note xml:id="a38" next="#b38" place="foot" n="**)">Auf welche Weise nun diese Einheit bewirkt wird, und was dabei jedes-</note>.<lb/>
Das Ergebniss der Verknüpfung kann wieder mit andern Formen ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0038] Allgemeine Formenlehre. § 2 dere werden je nach der Beschaffenheit der zu vergleichenden Dinge, liefert den Beweis dafür, dass diese Beziehungen nicht dem Begriff der Gleichheit selbst angehören, sondern den Gegenstän- den, auf welche derselbe Begriff der Gleichheit angewandt wird. In der That von zwei gleich langen Strecken z. B. können wir nicht sagen, dass sie an sich gleich sind, sondern nur dass ihre Länge gleich sei, und diese Länge steht dann eben auch in der vollkom- menen Beziehung der Gleichheit. Somit haben wir dem Begriff der Gleichheit seine Einfachheit gerettet, und können denselben dahin bestimmen, dass gleich dasjenige sei, von dem man stets dasselbe aussagen kann oder allgemeiner, was in jedem Urtheile sich gegenseitig substituirt werden kann *). Wie hierin zugleich ausgesagt liegt, dass wenn zwei Formen einer dritten gleich sind, sie auch selbst einander gleich sind, und dass das aus dem Gleichen auf dieselbe Weise erzeugte wieder gleich sei, liegt am Tage. § 2. Der zweite Gegensatz, den wir hier in Betracht zu zie- hen haben, ist der der Verknüpfung und Sonderung. Wenn zwei Grössen oder Formen (welchen Namen wir als den allgemeineren vorziehen, s. Einl. 3) unter sich verknüpft sind, so heissen sie Glieder der Verknüpfung, die Form, welche durch die Ver- knüpfung beider dargestellt wird, das Ergebniss der Verknüpfung. Sollten beide Glieder unterschieden werden, so nennen wir das eine das Vorderglied, das andere das Hinterglied. Als das allgemeine Zeichen der Verknüpfung wählen wir das Zeichen ◠; sind nun a und b die Glieder derselben, und zwar a das Vorder- glied, b das Hinterglied, so bezeichnen wir das Ergebniss der Ver- knüpfung mit (a ◠ b); indem die Klammer hier ausdrücken soll, dass die Verknüpfung nicht mehr in der Trennung ihrer Glieder soll angeschaut werden, sondern als eine Einheit des Begriffs **). Das Ergebniss der Verknüpfung kann wieder mit andern Formen ver- *) Es soll dies keine philosophische Begriffsbestimmung sein, sondern nur eine Verständigung über das Wort, damit nicht etwa verschiedenes darunter ver- standen werde. Die philosophische Begriffsbestimmung würde vielmehr den Gegensatz des Gleichen und Verschiedenen in seinem Fliessen und in seiner star- ren Abgränzung zu ergreifen haben, wozu noch ein nicht unbeträchtlicher Apparat von Begriffsbestimmungen erforderlich sein würde, der hier nicht hergehört. **) Auf welche Weise nun diese Einheit bewirkt wird, und was dabei jedes-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/38
Zitationshilfe: Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/38>, abgerufen am 20.04.2024.