Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
und zu meiner nicht geringen Freude fand ich hier denselben Be-
griff der Summation der Punkte vor, zu dem mich der Gang der
Entwickelung geführt hatte, und war somit zu dem ersten, aber wie
die Folge lehrte, auch zu dem einzigen Berührungspunkte gelangt,
welchen die neue Analyse mit dem schon anderweitig bekannten
darbot. Da indessen der Begriff eines Produktes von Punkten in
jenem Werke gar nicht vorkommt, mit diesem Begriffe aber, indem
er mit dem der Summe in Kombination tritt, erst die Entfaltung
der neuen Analyse beginnt, so konnte ich auch von dorther keine
weitere Förderung meiner Aufgabe erwarten. Indem ich daher nun
daran ging, die so gefundenen Resultate zusammenhängend und von
Anfang an zu bearbeiten, so dass ich mich auch auf keinen in ir-
gend einem Zweige der Mathematik bewiesenen Satz zu berufen
gedachte, so ergab sich, dass die von mir aufgefundene Analyse
nicht, wie mir Anfangs schien, bloss auf dem Gebiete der Geometrie
sich bewegte; sondern ich gewahrte bald, dass ich hier auf das
Gebiet einer neuen Wissenschaft gelangt sei, von der die Geometrie
selbst nur eine specielle Anwendung sei. Schon lange war es mir
nämlich einleuchtend geworden, dass die Geometrie keinesweges
in dem Sinne wie die Arithmetik oder die Kombinationslehre als
ein Zweig der Mathematik anzusehen sei, vielmehr die Geometrie
schon auf ein in der Natur gegebenes (nämlich den Raum) sich be-
ziehe, und dass es daher einen Zweig der Mathematik geben müsse,
der in rein abstrakter Weise ähnliche Gesetze aus sich erzeuge, wie
sie in der Geometrie an den Raum gebunden erscheinen. Durch
die neue Analyse war die Möglichkeit, einen solchen rein abstrak-
ten Zweig der Mathematik auszubilden, gegeben; ja diese Analyse,
sobald sie, ohne irgend einen schon anderweitig erwiesenen Satz
vorauszusetzen, entwickelt wurde, und sich rein in der Abstraktion
bewegte, war diese Wissenschaft selbst. Der wesentliche Vortheil,
welcher durch diese Auffassung erreicht wurde, war der Form nach
der, dass nun alle Grundsätze, welche Raumesanschauungen aus-

Vorrede.
und zu meiner nicht geringen Freude fand ich hier denselben Be-
griff der Summation der Punkte vor, zu dem mich der Gang der
Entwickelung geführt hatte, und war somit zu dem ersten, aber wie
die Folge lehrte, auch zu dem einzigen Berührungspunkte gelangt,
welchen die neue Analyse mit dem schon anderweitig bekannten
darbot. Da indessen der Begriff eines Produktes von Punkten in
jenem Werke gar nicht vorkommt, mit diesem Begriffe aber, indem
er mit dem der Summe in Kombination tritt, erst die Entfaltung
der neuen Analyse beginnt, so konnte ich auch von dorther keine
weitere Förderung meiner Aufgabe erwarten. Indem ich daher nun
daran ging, die so gefundenen Resultate zusammenhängend und von
Anfang an zu bearbeiten, so dass ich mich auch auf keinen in ir-
gend einem Zweige der Mathematik bewiesenen Satz zu berufen
gedachte, so ergab sich, dass die von mir aufgefundene Analyse
nicht, wie mir Anfangs schien, bloss auf dem Gebiete der Geometrie
sich bewegte; sondern ich gewahrte bald, dass ich hier auf das
Gebiet einer neuen Wissenschaft gelangt sei, von der die Geometrie
selbst nur eine specielle Anwendung sei. Schon lange war es mir
nämlich einleuchtend geworden, dass die Geometrie keinesweges
in dem Sinne wie die Arithmetik oder die Kombinationslehre als
ein Zweig der Mathematik anzusehen sei, vielmehr die Geometrie
schon auf ein in der Natur gegebenes (nämlich den Raum) sich be-
ziehe, und dass es daher einen Zweig der Mathematik geben müsse,
der in rein abstrakter Weise ähnliche Gesetze aus sich erzeuge, wie
sie in der Geometrie an den Raum gebunden erscheinen. Durch
die neue Analyse war die Möglichkeit, einen solchen rein abstrak-
ten Zweig der Mathematik auszubilden, gegeben; ja diese Analyse,
sobald sie, ohne irgend einen schon anderweitig erwiesenen Satz
vorauszusetzen, entwickelt wurde, und sich rein in der Abstraktion
bewegte, war diese Wissenschaft selbst. Der wesentliche Vortheil,
welcher durch diese Auffassung erreicht wurde, war der Form nach
der, dass nun alle Grundsätze, welche Raumesanschauungen aus-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0013" n="IX"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede.</hi></fw><lb/>
und zu meiner nicht geringen Freude fand ich hier denselben Be-<lb/>
griff der Summation der Punkte vor, zu dem mich der Gang der<lb/>
Entwickelung geführt hatte, und war somit zu dem ersten, aber wie<lb/>
die Folge lehrte, auch zu dem einzigen Berührungspunkte gelangt,<lb/>
welchen die neue Analyse mit dem schon anderweitig bekannten<lb/>
darbot. Da indessen der Begriff eines Produktes von Punkten in<lb/>
jenem Werke gar nicht vorkommt, mit diesem Begriffe aber, indem<lb/>
er mit dem der Summe in Kombination tritt, erst die Entfaltung<lb/>
der neuen Analyse beginnt, so konnte ich auch von dorther keine<lb/>
weitere Förderung meiner Aufgabe erwarten. Indem ich daher nun<lb/>
daran ging, die so gefundenen Resultate zusammenhängend und von<lb/>
Anfang an zu bearbeiten, so dass ich mich auch auf keinen in ir-<lb/>
gend einem Zweige der Mathematik bewiesenen Satz zu berufen<lb/>
gedachte, so ergab sich, dass die von mir aufgefundene Analyse<lb/>
nicht, wie mir Anfangs schien, bloss auf dem Gebiete der Geometrie<lb/>
sich bewegte; sondern ich gewahrte bald, dass ich hier auf das<lb/>
Gebiet einer neuen Wissenschaft gelangt sei, von der die Geometrie<lb/>
selbst nur eine specielle Anwendung sei. Schon lange war es mir<lb/>
nämlich einleuchtend geworden, dass die Geometrie keinesweges<lb/>
in dem Sinne wie die Arithmetik oder die Kombinationslehre als<lb/>
ein Zweig der Mathematik anzusehen sei, vielmehr die Geometrie<lb/>
schon auf ein in der Natur gegebenes (nämlich den Raum) sich be-<lb/>
ziehe, und dass es daher einen Zweig der Mathematik geben müsse,<lb/>
der in rein abstrakter Weise ähnliche Gesetze aus sich erzeuge, wie<lb/>
sie in der Geometrie an den Raum gebunden erscheinen. Durch<lb/>
die neue Analyse war die Möglichkeit, einen solchen rein abstrak-<lb/>
ten Zweig der Mathematik auszubilden, gegeben; ja diese Analyse,<lb/>
sobald sie, ohne irgend einen schon anderweitig erwiesenen Satz<lb/>
vorauszusetzen, entwickelt wurde, und sich rein in der Abstraktion<lb/>
bewegte, war diese Wissenschaft selbst. Der wesentliche Vortheil,<lb/>
welcher durch diese Auffassung erreicht wurde, war der Form nach<lb/>
der, dass nun alle Grundsätze, welche Raumesanschauungen aus-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IX/0013] Vorrede. und zu meiner nicht geringen Freude fand ich hier denselben Be- griff der Summation der Punkte vor, zu dem mich der Gang der Entwickelung geführt hatte, und war somit zu dem ersten, aber wie die Folge lehrte, auch zu dem einzigen Berührungspunkte gelangt, welchen die neue Analyse mit dem schon anderweitig bekannten darbot. Da indessen der Begriff eines Produktes von Punkten in jenem Werke gar nicht vorkommt, mit diesem Begriffe aber, indem er mit dem der Summe in Kombination tritt, erst die Entfaltung der neuen Analyse beginnt, so konnte ich auch von dorther keine weitere Förderung meiner Aufgabe erwarten. Indem ich daher nun daran ging, die so gefundenen Resultate zusammenhängend und von Anfang an zu bearbeiten, so dass ich mich auch auf keinen in ir- gend einem Zweige der Mathematik bewiesenen Satz zu berufen gedachte, so ergab sich, dass die von mir aufgefundene Analyse nicht, wie mir Anfangs schien, bloss auf dem Gebiete der Geometrie sich bewegte; sondern ich gewahrte bald, dass ich hier auf das Gebiet einer neuen Wissenschaft gelangt sei, von der die Geometrie selbst nur eine specielle Anwendung sei. Schon lange war es mir nämlich einleuchtend geworden, dass die Geometrie keinesweges in dem Sinne wie die Arithmetik oder die Kombinationslehre als ein Zweig der Mathematik anzusehen sei, vielmehr die Geometrie schon auf ein in der Natur gegebenes (nämlich den Raum) sich be- ziehe, und dass es daher einen Zweig der Mathematik geben müsse, der in rein abstrakter Weise ähnliche Gesetze aus sich erzeuge, wie sie in der Geometrie an den Raum gebunden erscheinen. Durch die neue Analyse war die Möglichkeit, einen solchen rein abstrak- ten Zweig der Mathematik auszubilden, gegeben; ja diese Analyse, sobald sie, ohne irgend einen schon anderweitig erwiesenen Satz vorauszusetzen, entwickelt wurde, und sich rein in der Abstraktion bewegte, war diese Wissenschaft selbst. Der wesentliche Vortheil, welcher durch diese Auffassung erreicht wurde, war der Form nach der, dass nun alle Grundsätze, welche Raumesanschauungen aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/13
Zitationshilfe: Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/13>, abgerufen am 26.04.2024.