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Grabbe, Christian Dietrich: Napoleon oder Die hundert Tage. Frankfurt (Main), 1831.

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Napoleon.
Hat Rußlands Alexander so ganz vergessen, wie
er auf dem Niemen sich beugte? Hat der Preu-
ßenkönig --
Bertrand.
O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch
Deine Schlachten die schönste Rose im Schnee des
Nordlands. Ich habe sie erblickt und das Auge
ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.
Napoleon.
Konnt' ich davor? -- Weswegen blühte sie im
Gleise meines Siegeswagens? Das Geschick trieb
seine Räder zermalmend über noch viel härtere
Herzen: Pichegrü, d'Enghien, Moreau --
Bertrand.
Du, selbst so Gewaltiger, glaubst ein Geschick?
Napoleon.
Ja, es stand bei mir in Corsica, meiner meer-
umbraus'ten Wiege, und wird auch meinen Sarg
umbrausen. In Moskaus Flammen, nachdem ich
lange es vergessen, sah ich es mit seinen Fittichen
sich wieder über mich erheben. -- Nicht Völker
oder Krieger haben mich bezwungen -- Das Schick-
sal war es. -- Was ist dir?

Napoleon.
Hat Rußlands Alexander ſo ganz vergeſſen, wie
er auf dem Niemen ſich beugte? Hat der Preu-
ßenkönig —
Bertrand.
O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch
Deine Schlachten die ſchönſte Roſe im Schnee des
Nordlands. Ich habe ſie erblickt und das Auge
ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.
Napoleon.
Konnt’ ich davor? — Weswegen blühte ſie im
Gleiſe meines Siegeswagens? Das Geſchick trieb
ſeine Räder zermalmend über noch viel härtere
Herzen: Pichegrü, d’Enghien, Moreau —
Bertrand.
Du, ſelbſt ſo Gewaltiger, glaubſt ein Geſchick?
Napoleon.
Ja, es ſtand bei mir in Corſica, meiner meer-
umbrauſ’ten Wiege, und wird auch meinen Sarg
umbrauſen. In Moskaus Flammen, nachdem ich
lange es vergeſſen, ſah ich es mit ſeinen Fittichen
ſich wieder über mich erheben. — Nicht Völker
oder Krieger haben mich bezwungen — Das Schick-
ſal war es. — Was iſt dir?

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[66/0074] Napoleon. Hat Rußlands Alexander ſo ganz vergeſſen, wie er auf dem Niemen ſich beugte? Hat der Preu- ßenkönig — Bertrand. O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch Deine Schlachten die ſchönſte Roſe im Schnee des Nordlands. Ich habe ſie erblickt und das Auge ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr. Napoleon. Konnt’ ich davor? — Weswegen blühte ſie im Gleiſe meines Siegeswagens? Das Geſchick trieb ſeine Räder zermalmend über noch viel härtere Herzen: Pichegrü, d’Enghien, Moreau — Bertrand. Du, ſelbſt ſo Gewaltiger, glaubſt ein Geſchick? Napoleon. Ja, es ſtand bei mir in Corſica, meiner meer- umbrauſ’ten Wiege, und wird auch meinen Sarg umbrauſen. In Moskaus Flammen, nachdem ich lange es vergeſſen, ſah ich es mit ſeinen Fittichen ſich wieder über mich erheben. — Nicht Völker oder Krieger haben mich bezwungen — Das Schick- ſal war es. — Was iſt dir?

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Zitationshilfe: Grabbe, Christian Dietrich: Napoleon oder Die hundert Tage. Frankfurt (Main), 1831, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grabbe_napoleon_1831/74>, abgerufen am 04.05.2024.