Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Jedoch mir fällt was ein. Vielleicht ists euer Schertz? Jhr schenckt der Pallas wohl so wenig euer Hertz, Als mancher heilig ist, der Kopf und Nase hänget, Bis er sich unvermerckt in Christi Schaf-Stall dränget. Jhr richtet euch vielleicht nach unsrer Mode-Welt, Wo man der Titel Pracht vor unentbehrlich hält, Weil sie so trefflich wohl vor unsern Nahmen klingen; Gesetzt man wüste nichts ans Tages-Licht zu bringen, Dadurch man sie verdient. Die Weisheit sonderlich Theilt sie offt häufig aus, und sieht wohl neben sich Ein Schock Gekrönte stehn, davon fast sechs bis sieben Getrost entschlossen sind sich künftig drinn zu üben. Die andern insgesamt gestehens öffters frey, Daß Pallas ihnen kaum von Ansehn kennbar sey. Und was? Wie mancher ist, nachdem der Lehrer-Orden Jhn öffentlich geschmückt, noch kaum ihr Schüler worden? So, Freunde, nehmt ihr auch vielleicht den Titel an, Daß man euch künftig nur Magister nennen kan. Nicht, weil ihr Willens seyd zu schreiben und zu lesen, Bloß weil zu dieser Zeit die Mode so gewesen. Nein, Werthe! Nein, ich weiß, ihr seyd von andrer Art. Jhr habt in Pallas Dienst nicht Oel, nicht Schweiß gespart, Der Weisheit und Vernunft viel Jahre nachgespüret, Den Geist mit Wissenschafft und mancher Kunst gezieret, Und euch geschickt gemacht im Lehrer-Schmuck zu stehn, Und andern, als ein Licht im dunckeln, vor zu gehn. Jhr habt vorlängst erkannt, daß unser Christen-Glaube Das menschliche Geschlecht nicht der Vernunft beraube, Daß ein geübter Geist die Gottgelehrsamkeit, Viel besser fassen kan, und offt in kurtzer Zeit Noch
Jedoch mir faͤllt was ein. Vielleicht iſts euer Schertz? Jhr ſchenckt der Pallas wohl ſo wenig euer Hertz, Als mancher heilig iſt, der Kopf und Naſe haͤnget, Bis er ſich unvermerckt in Chriſti Schaf-Stall draͤnget. Jhr richtet euch vielleicht nach unſrer Mode-Welt, Wo man der Titel Pracht vor unentbehrlich haͤlt, Weil ſie ſo trefflich wohl vor unſern Nahmen klingen; Geſetzt man wuͤſte nichts ans Tages-Licht zu bringen, Dadurch man ſie verdient. Die Weisheit ſonderlich Theilt ſie offt haͤufig aus, und ſieht wohl neben ſich Ein Schock Gekroͤnte ſtehn, davon faſt ſechs bis ſieben Getroſt entſchloſſen ſind ſich kuͤnftig drinn zu uͤben. Die andern insgeſamt geſtehens oͤffters frey, Daß Pallas ihnen kaum von Anſehn kennbar ſey. Und was? Wie mancher iſt, nachdem der Lehrer-Orden Jhn oͤffentlich geſchmuͤckt, noch kaum ihr Schuͤler worden? So, Freunde, nehmt ihr auch vielleicht den Titel an, Daß man euch kuͤnftig nur Magiſter nennen kan. Nicht, weil ihr Willens ſeyd zu ſchreiben und zu leſen, Bloß weil zu dieſer Zeit die Mode ſo geweſen. Nein, Werthe! Nein, ich weiß, ihr ſeyd von andrer Art. Jhr habt in Pallas Dienſt nicht Oel, nicht Schweiß geſpart, Der Weisheit und Vernunft viel Jahre nachgeſpuͤret, Den Geiſt mit Wiſſenſchafft und mancher Kunſt gezieret, Und euch geſchickt gemacht im Lehrer-Schmuck zu ſtehn, Und andern, als ein Licht im dunckeln, vor zu gehn. Jhr habt vorlaͤngſt erkannt, daß unſer Chriſten-Glaube Das menſchliche Geſchlecht nicht der Vernunft beraube, Daß ein geuͤbter Geiſt die Gottgelehrſamkeit, Viel beſſer faſſen kan, und offt in kurtzer Zeit Noch
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Des II Theils V Capitel
Wie manchen Jrrthum ſchon die Weisheit ausgehecket,
Wenn man ſich gar zu ſehr in ihren Wuſt geſtecket;
Wenn Manes, Marcion, Neſtor’, Origenes,
Arius, Macedon, Novatus, Eutyches,
Celeſt’ und ſein Geſell Pelagius gelermet;
Da hat ja, wie man glaubt, bloß die Vernunft geſchwaͤrmet.
Was Abaͤlard, Servet, Socin, Arminius,
Crell, Grotius und Lock, Selden und Clericus,
Spinoſa, Connor, Brown, und Hobbes ausgeſonnen,
Was Whiſton neulich noch vor Thorheit angeſponnen,
Das alles bruͤtet ja der menſchliche Verſtand,
Deutſch, Weisheit; Griechiſch ſonſt Philoſophie genannt.
Jſt nun Minervens Kunſt ein Quell der Ketzereyen;
Wer wollte nicht den Putz von ihren Haͤnden ſcheuen?
Jedoch mir faͤllt was ein. Vielleicht iſts euer Schertz?
Jhr ſchenckt der Pallas wohl ſo wenig euer Hertz,
Als mancher heilig iſt, der Kopf und Naſe haͤnget,
Bis er ſich unvermerckt in Chriſti Schaf-Stall draͤnget.
Jhr richtet euch vielleicht nach unſrer Mode-Welt,
Wo man der Titel Pracht vor unentbehrlich haͤlt,
Weil ſie ſo trefflich wohl vor unſern Nahmen klingen;
Geſetzt man wuͤſte nichts ans Tages-Licht zu bringen,
Dadurch man ſie verdient. Die Weisheit ſonderlich
Theilt ſie offt haͤufig aus, und ſieht wohl neben ſich
Ein Schock Gekroͤnte ſtehn, davon faſt ſechs bis ſieben
Getroſt entſchloſſen ſind ſich kuͤnftig drinn zu uͤben.
Die andern insgeſamt geſtehens oͤffters frey,
Daß Pallas ihnen kaum von Anſehn kennbar ſey.
Und was? Wie mancher iſt, nachdem der Lehrer-Orden
Jhn oͤffentlich geſchmuͤckt, noch kaum ihr Schuͤler worden?
So, Freunde, nehmt ihr auch vielleicht den Titel an,
Daß man euch kuͤnftig nur Magiſter nennen kan.
Nicht, weil ihr Willens ſeyd zu ſchreiben und zu leſen,
Bloß weil zu dieſer Zeit die Mode ſo geweſen.
Nein, Werthe! Nein, ich weiß, ihr ſeyd von andrer Art.
Jhr habt in Pallas Dienſt nicht Oel, nicht Schweiß geſpart,
Der Weisheit und Vernunft viel Jahre nachgeſpuͤret,
Den Geiſt mit Wiſſenſchafft und mancher Kunſt gezieret,
Und euch geſchickt gemacht im Lehrer-Schmuck zu ſtehn,
Und andern, als ein Licht im dunckeln, vor zu gehn.
Jhr habt vorlaͤngſt erkannt, daß unſer Chriſten-Glaube
Das menſchliche Geſchlecht nicht der Vernunft beraube,
Daß ein geuͤbter Geiſt die Gottgelehrſamkeit,
Viel beſſer faſſen kan, und offt in kurtzer Zeit
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