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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Jdyllen, Eclogen oder Schäfer-Gedichten.
und ihre güldene Freyheit allem Pracht der Städte weit vor-
ziehen. Da es aber angeht auch allegorische Eclogen zu ma-
chen: so kan man freylich auch unsre Könige und Fürsten in
Schäfer-Gedichte bringen. Virgil hat solches in seiner ersten
Ecloge gethan, wo er von Augusti Freygebigkeit gegen den
Schäfer Titirus handelt. Er redet daselbst durchgehends
von dem Käyser als von einem Gotte; weil er wohl sahe, daß
sich der Nahme eines Fürsten vor Schäfer nicht schickte.
Allein ich wollte lieber daß er diese so hoch getriebene Schmei-
cheley vermieden, und den Käyser als den reichsten, klügsten
und ansehnlichsten Schäfer in der gantzen Gegend beschrie-
ben hätte. Dieses würde eine weit angenehmere Abbildung
von demselben gemacht haben; Und wir haben um destomehr
Ursache unsre Regenten unter solchen Bildern vorzustellen,
da sie selbst in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beschrie-
ben werden.

Wegen der Nahmen in Schäfer-Gedichten fragt sichs,
ob man die alten griechischen brauchen, oder seinen Hirten
heutige, die auf dem Lande gewöhnlich sind, geben solle.
Richard Steele ist der letztern Meynung zugethan, und er
glaubt gar, man müsse die Schäfer-Gedichte in einer bäuri-
schen Mundart machen; so wie Theocritus sich im Griechi-
schen des Dorischen Dialects bedienet hat. Allein ich halte
es mit denen, die in den alten Schäfer-Nahmen was edlers
finden als in den heutigen. Diese würden zu verstehen geben,
daß man von itzigen Bauren, wie wir sie auf unsern Dörfern
haben, reden wolle; welche gewiß zu poetischen Eclogen viel
zu grob sind. Jene hergegen zeigen sogleich an, daß man von
gantz andern Schäfern als die heutigen sind, reden wolle. Mit
der Dorischen Mundart war es auch gantz ein anders, als mit
unsrer heutigen Bauer-Sprache. Jene hatte ihre gewisse
Regeln, und herrschte in einem grossen Theile von Griechen-
land sowohl in Städten als auf dem Lande. Unsre Bauer-
sprache aber ist auf allen Dörfern anders. Selbst die Nie-
dersächsische schicket sich nicht dazu, da sie selbst in Städten
sich alle zwey oder drey Meilen ändert, und also zu keiner Ge-
wißheit zu bringen ist. Wer indessen nur seines Ortes Bey-

fall
B b 5

Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
und ihre guͤldene Freyheit allem Pracht der Staͤdte weit vor-
ziehen. Da es aber angeht auch allegoriſche Eclogen zu ma-
chen: ſo kan man freylich auch unſre Koͤnige und Fuͤrſten in
Schaͤfer-Gedichte bringen. Virgil hat ſolches in ſeiner erſten
Ecloge gethan, wo er von Auguſti Freygebigkeit gegen den
Schaͤfer Titirus handelt. Er redet daſelbſt durchgehends
von dem Kaͤyſer als von einem Gotte; weil er wohl ſahe, daß
ſich der Nahme eines Fuͤrſten vor Schaͤfer nicht ſchickte.
Allein ich wollte lieber daß er dieſe ſo hoch getriebene Schmei-
cheley vermieden, und den Kaͤyſer als den reichſten, kluͤgſten
und anſehnlichſten Schaͤfer in der gantzen Gegend beſchrie-
ben haͤtte. Dieſes wuͤrde eine weit angenehmere Abbildung
von demſelben gemacht haben; Und wir haben um deſtomehr
Urſache unſre Regenten unter ſolchen Bildern vorzuſtellen,
da ſie ſelbſt in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beſchrie-
ben werden.

Wegen der Nahmen in Schaͤfer-Gedichten fragt ſichs,
ob man die alten griechiſchen brauchen, oder ſeinen Hirten
heutige, die auf dem Lande gewoͤhnlich ſind, geben ſolle.
Richard Steele iſt der letztern Meynung zugethan, und er
glaubt gar, man muͤſſe die Schaͤfer-Gedichte in einer baͤuri-
ſchen Mundart machen; ſo wie Theocritus ſich im Griechi-
ſchen des Doriſchen Dialects bedienet hat. Allein ich halte
es mit denen, die in den alten Schaͤfer-Nahmen was edlers
finden als in den heutigen. Dieſe wuͤrden zu verſtehen geben,
daß man von itzigen Bauren, wie wir ſie auf unſern Doͤrfern
haben, reden wolle; welche gewiß zu poetiſchen Eclogen viel
zu grob ſind. Jene hergegen zeigen ſogleich an, daß man von
gantz andern Schaͤfern als die heutigen ſind, reden wolle. Mit
der Doriſchen Mundart war es auch gantz ein anders, als mit
unſrer heutigen Bauer-Sprache. Jene hatte ihre gewiſſe
Regeln, und herrſchte in einem groſſen Theile von Griechen-
land ſowohl in Staͤdten als auf dem Lande. Unſre Bauer-
ſprache aber iſt auf allen Doͤrfern anders. Selbſt die Nie-
derſaͤchſiſche ſchicket ſich nicht dazu, da ſie ſelbſt in Staͤdten
ſich alle zwey oder drey Meilen aͤndert, und alſo zu keiner Ge-
wißheit zu bringen iſt. Wer indeſſen nur ſeines Ortes Bey-

fall
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[393/0421] Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten. und ihre guͤldene Freyheit allem Pracht der Staͤdte weit vor- ziehen. Da es aber angeht auch allegoriſche Eclogen zu ma- chen: ſo kan man freylich auch unſre Koͤnige und Fuͤrſten in Schaͤfer-Gedichte bringen. Virgil hat ſolches in ſeiner erſten Ecloge gethan, wo er von Auguſti Freygebigkeit gegen den Schaͤfer Titirus handelt. Er redet daſelbſt durchgehends von dem Kaͤyſer als von einem Gotte; weil er wohl ſahe, daß ſich der Nahme eines Fuͤrſten vor Schaͤfer nicht ſchickte. Allein ich wollte lieber daß er dieſe ſo hoch getriebene Schmei- cheley vermieden, und den Kaͤyſer als den reichſten, kluͤgſten und anſehnlichſten Schaͤfer in der gantzen Gegend beſchrie- ben haͤtte. Dieſes wuͤrde eine weit angenehmere Abbildung von demſelben gemacht haben; Und wir haben um deſtomehr Urſache unſre Regenten unter ſolchen Bildern vorzuſtellen, da ſie ſelbſt in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beſchrie- ben werden. Wegen der Nahmen in Schaͤfer-Gedichten fragt ſichs, ob man die alten griechiſchen brauchen, oder ſeinen Hirten heutige, die auf dem Lande gewoͤhnlich ſind, geben ſolle. Richard Steele iſt der letztern Meynung zugethan, und er glaubt gar, man muͤſſe die Schaͤfer-Gedichte in einer baͤuri- ſchen Mundart machen; ſo wie Theocritus ſich im Griechi- ſchen des Doriſchen Dialects bedienet hat. Allein ich halte es mit denen, die in den alten Schaͤfer-Nahmen was edlers finden als in den heutigen. Dieſe wuͤrden zu verſtehen geben, daß man von itzigen Bauren, wie wir ſie auf unſern Doͤrfern haben, reden wolle; welche gewiß zu poetiſchen Eclogen viel zu grob ſind. Jene hergegen zeigen ſogleich an, daß man von gantz andern Schaͤfern als die heutigen ſind, reden wolle. Mit der Doriſchen Mundart war es auch gantz ein anders, als mit unſrer heutigen Bauer-Sprache. Jene hatte ihre gewiſſe Regeln, und herrſchte in einem groſſen Theile von Griechen- land ſowohl in Staͤdten als auf dem Lande. Unſre Bauer- ſprache aber iſt auf allen Doͤrfern anders. Selbſt die Nie- derſaͤchſiſche ſchicket ſich nicht dazu, da ſie ſelbſt in Staͤdten ſich alle zwey oder drey Meilen aͤndert, und alſo zu keiner Ge- wißheit zu bringen iſt. Wer indeſſen nur ſeines Ortes Bey- fall B b 5

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/421>, abgerufen am 24.11.2024.