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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Cantaten.
Die Tugend.
Du irrest, liebes Kind,
Du irrest sehr in diesem Stücke,
Jch bin so grausam nicht gesinnt.
Jch hasse zwar der Geilheit Laster-Stricke,
Durch welche dieß verdammte Weib
Der wilden Jugend Fuß umschlinget;
Biß daß sie endlich Seel und Leib
Jn tausendfaches Unglück bringet.
Allein die Liebe rechter Art
Hat dessen Arm, der alles lencket,
So wohl als mich, den Sterblichen geschencket.
Sie scheut nicht meine Gegenwart,
Und meine Glut schlägt offt mit ihren Flammen,
Gantz lieblich zusammen.
Folge nur den sanften Trieben,
Die dein zartes Hertz gespürt.
Wenn dich ihre Flamme rührt,
O so laß nur deine Sinnen,
Eine Seele lieb gewinnen,
Die sich durch die Tugend ziert;
Und die must du ewig lieben.
Folge nur den sanften Trieben,
Die dein zartes Hertz gespürt.
Die Natur.
Nun hörst du ja, die Tugend selbst stimmt ein.
Wirst du der Liebe denn gantz wiederspenstig seyn?
Arie.
Ersticke nicht länger das wallende Wesen,
Das meine Hand dir eingepflantzt.
Die Schamhafftigkeit.
Der Tugend-Spruch ist zwar von grosser Krafft,
Und sollte mich fast überwinden:
Allein, ich fürchte doch die starcke Leidenschafft,
Und weiß mich nicht darein zu finden.
Die Natur.
Ersticke nicht länger das wallende Wesen,
Das meine Hand dir eingepflantzt.
Die Schamhafftigkeit.
Die Liebe scheint sehr Unruh-voll
Und ungestüm zu seyn.
Jch wollte wohl; - - doch nein!
Jch weiß nicht, was ich machen soll?
Die
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Von Cantaten.
Die Tugend.
Du irreſt, liebes Kind,
Du irreſt ſehr in dieſem Stuͤcke,
Jch bin ſo grauſam nicht geſinnt.
Jch haſſe zwar der Geilheit Laſter-Stricke,
Durch welche dieß verdammte Weib
Der wilden Jugend Fuß umſchlinget;
Biß daß ſie endlich Seel und Leib
Jn tauſendfaches Ungluͤck bringet.
Allein die Liebe rechter Art
Hat deſſen Arm, der alles lencket,
So wohl als mich, den Sterblichen geſchencket.
Sie ſcheut nicht meine Gegenwart,
Und meine Glut ſchlaͤgt offt mit ihren Flammen,
Gantz lieblich zuſammen.
Folge nur den ſanften Trieben,
Die dein zartes Hertz geſpuͤrt.
Wenn dich ihre Flamme ruͤhrt,
O ſo laß nur deine Sinnen,
Eine Seele lieb gewinnen,
Die ſich durch die Tugend ziert;
Und die muſt du ewig lieben.
Folge nur den ſanften Trieben,
Die dein zartes Hertz geſpuͤrt.
Die Natur.
Nun hoͤrſt du ja, die Tugend ſelbſt ſtimmt ein.
Wirſt du der Liebe denn gantz wiederſpenſtig ſeyn?
Arie.
Erſticke nicht laͤnger das wallende Weſen,
Das meine Hand dir eingepflantzt.
Die Schamhafftigkeit.
Der Tugend-Spruch iſt zwar von groſſer Krafft,
Und ſollte mich faſt uͤberwinden:
Allein, ich fuͤrchte doch die ſtarcke Leidenſchafft,
Und weiß mich nicht darein zu finden.
Die Natur.
Erſticke nicht laͤnger das wallende Weſen,
Das meine Hand dir eingepflantzt.
Die Schamhafftigkeit.
Die Liebe ſcheint ſehr Unruh-voll
Und ungeſtuͤm zu ſeyn.
Jch wollte wohl; ‒ ‒ doch nein!
Jch weiß nicht, was ich machen ſoll?
Die
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[373/0401] Von Cantaten. Die Tugend. Du irreſt, liebes Kind, Du irreſt ſehr in dieſem Stuͤcke, Jch bin ſo grauſam nicht geſinnt. Jch haſſe zwar der Geilheit Laſter-Stricke, Durch welche dieß verdammte Weib Der wilden Jugend Fuß umſchlinget; Biß daß ſie endlich Seel und Leib Jn tauſendfaches Ungluͤck bringet. Allein die Liebe rechter Art Hat deſſen Arm, der alles lencket, So wohl als mich, den Sterblichen geſchencket. Sie ſcheut nicht meine Gegenwart, Und meine Glut ſchlaͤgt offt mit ihren Flammen, Gantz lieblich zuſammen. Folge nur den ſanften Trieben, Die dein zartes Hertz geſpuͤrt. Wenn dich ihre Flamme ruͤhrt, O ſo laß nur deine Sinnen, Eine Seele lieb gewinnen, Die ſich durch die Tugend ziert; Und die muſt du ewig lieben. Folge nur den ſanften Trieben, Die dein zartes Hertz geſpuͤrt. Die Natur. Nun hoͤrſt du ja, die Tugend ſelbſt ſtimmt ein. Wirſt du der Liebe denn gantz wiederſpenſtig ſeyn? Arie. Erſticke nicht laͤnger das wallende Weſen, Das meine Hand dir eingepflantzt. Die Schamhafftigkeit. Der Tugend-Spruch iſt zwar von groſſer Krafft, Und ſollte mich faſt uͤberwinden: Allein, ich fuͤrchte doch die ſtarcke Leidenſchafft, Und weiß mich nicht darein zu finden. Die Natur. Erſticke nicht laͤnger das wallende Weſen, Das meine Hand dir eingepflantzt. Die Schamhafftigkeit. Die Liebe ſcheint ſehr Unruh-voll Und ungeſtuͤm zu ſeyn. Jch wollte wohl; ‒ ‒ doch nein! Jch weiß nicht, was ich machen ſoll? Die A a 3

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/401>, abgerufen am 22.11.2024.