drücke, Anspielungen, neue Bilder, Beschreibungen, Ver- grösserungen, nachdrücklichere Redensarten, Folgerungen, Schlüsse, kurtz, alles das, was man Einfälle zu nennen pflegt, und die alle insgesamt aus einem solchen lebhafften Kopfe entstehen. Dergleichen Geister nun nennet man poetische Geister, und durch diese Gemüths-Krafft unterscheidet sich ihre Art zu dencken, von der ordentlichen, die allen Menschen gemein ist.
Wir wollen die Sache durch ein Exempel erleutern. Gesetzt, ein Geschicht-Schreiber wollte erzehlen, daß ein Land durch die drey bekannten Plagen, Krieg, Hunger und Pest angegriffen worden. Er wird solches etwa folgender Gestalt ins Werck richten: Nachdem der Krieg in dem gu- ten Reiche ein Ende genommen hatte, und die feindlichen Völcker abgezogen waren, folgte ein anderes Land-verderb- liches Ubel nach. Die verwüsteten Aecker trugen keine Früchte, weil niemand da war, der sie bauen wollte: und also entstand eine Theurung, die bey dem Armuth noth- wendig eine Hungers-Noth nach sich ziehen muste. Auch das war noch nicht alles. Eine pestilenzialische Seuche machte das Elend des geplagten Landes vollkommen, und beraubte es vollends seiner noch übrigen Einwohner. Das heißt nun meines Erachtens eine historische Schreibart, die das, was sie sagen will, deutlich und ordentlich, richtig und zierlich, nicht niederträchtig, aber auch nicht prächtig vor- trägt. Wie wird sich nun ein Poet in gleichem Falle aus- drücken? Amthor soll uns solches zeigen, oder hat es viel- mehr schon p. 324. seiner Gedichte gewiesen: Er schreibt:
Kaum hatte Mavors Raserey Den ungeschlachten Durst gekühlet, Und deine Felder durchgewühlet; So trat ihm ein Gefährte bey. Der Mangel ward vom Krieg gebohren; Weil in der Furchen ödem Grund, Mehr Blut als warmer Regen stund, Gieng aller Aecker Zier verlohren: Dein Elend soll vollkommen seyn, Zwey Feinde hatten dich bestritten:
Noch
Das XI. Capitel
druͤcke, Anſpielungen, neue Bilder, Beſchreibungen, Ver- groͤſſerungen, nachdruͤcklichere Redensarten, Folgerungen, Schluͤſſe, kurtz, alles das, was man Einfaͤlle zu nennen pflegt, und die alle insgeſamt aus einem ſolchen lebhafften Kopfe entſtehen. Dergleichen Geiſter nun nennet man poetiſche Geiſter, und durch dieſe Gemuͤths-Krafft unterſcheidet ſich ihre Art zu dencken, von der ordentlichen, die allen Menſchen gemein iſt.
Wir wollen die Sache durch ein Exempel erleutern. Geſetzt, ein Geſchicht-Schreiber wollte erzehlen, daß ein Land durch die drey bekannten Plagen, Krieg, Hunger und Peſt angegriffen worden. Er wird ſolches etwa folgender Geſtalt ins Werck richten: Nachdem der Krieg in dem gu- ten Reiche ein Ende genommen hatte, und die feindlichen Voͤlcker abgezogen waren, folgte ein anderes Land-verderb- liches Ubel nach. Die verwuͤſteten Aecker trugen keine Fruͤchte, weil niemand da war, der ſie bauen wollte: und alſo entſtand eine Theurung, die bey dem Armuth noth- wendig eine Hungers-Noth nach ſich ziehen muſte. Auch das war noch nicht alles. Eine peſtilenzialiſche Seuche machte das Elend des geplagten Landes vollkommen, und beraubte es vollends ſeiner noch uͤbrigen Einwohner. Das heißt nun meines Erachtens eine hiſtoriſche Schreibart, die das, was ſie ſagen will, deutlich und ordentlich, richtig und zierlich, nicht niedertraͤchtig, aber auch nicht praͤchtig vor- traͤgt. Wie wird ſich nun ein Poet in gleichem Falle aus- druͤcken? Amthor ſoll uns ſolches zeigen, oder hat es viel- mehr ſchon p. 324. ſeiner Gedichte gewieſen: Er ſchreibt:
Kaum hatte Mavors Raſerey Den ungeſchlachten Durſt gekuͤhlet, Und deine Felder durchgewuͤhlet; So trat ihm ein Gefaͤhrte bey. Der Mangel ward vom Krieg gebohren; Weil in der Furchen oͤdem Grund, Mehr Blut als warmer Regen ſtund, Gieng aller Aecker Zier verlohren: Dein Elend ſoll vollkommen ſeyn, Zwey Feinde hatten dich beſtritten:
Noch
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Das XI. Capitel
druͤcke, Anſpielungen, neue Bilder, Beſchreibungen, Ver-
groͤſſerungen, nachdruͤcklichere Redensarten, Folgerungen,
Schluͤſſe, kurtz, alles das, was man Einfaͤlle zu nennen pflegt,
und die alle insgeſamt aus einem ſolchen lebhafften Kopfe
entſtehen. Dergleichen Geiſter nun nennet man poetiſche
Geiſter, und durch dieſe Gemuͤths-Krafft unterſcheidet ſich
ihre Art zu dencken, von der ordentlichen, die allen Menſchen
gemein iſt.
Wir wollen die Sache durch ein Exempel erleutern.
Geſetzt, ein Geſchicht-Schreiber wollte erzehlen, daß ein
Land durch die drey bekannten Plagen, Krieg, Hunger und
Peſt angegriffen worden. Er wird ſolches etwa folgender
Geſtalt ins Werck richten: Nachdem der Krieg in dem gu-
ten Reiche ein Ende genommen hatte, und die feindlichen
Voͤlcker abgezogen waren, folgte ein anderes Land-verderb-
liches Ubel nach. Die verwuͤſteten Aecker trugen keine
Fruͤchte, weil niemand da war, der ſie bauen wollte: und
alſo entſtand eine Theurung, die bey dem Armuth noth-
wendig eine Hungers-Noth nach ſich ziehen muſte. Auch
das war noch nicht alles. Eine peſtilenzialiſche Seuche
machte das Elend des geplagten Landes vollkommen, und
beraubte es vollends ſeiner noch uͤbrigen Einwohner. Das
heißt nun meines Erachtens eine hiſtoriſche Schreibart, die
das, was ſie ſagen will, deutlich und ordentlich, richtig und
zierlich, nicht niedertraͤchtig, aber auch nicht praͤchtig vor-
traͤgt. Wie wird ſich nun ein Poet in gleichem Falle aus-
druͤcken? Amthor ſoll uns ſolches zeigen, oder hat es viel-
mehr ſchon p. 324. ſeiner Gedichte gewieſen: Er ſchreibt:
Kaum hatte Mavors Raſerey
Den ungeſchlachten Durſt gekuͤhlet,
Und deine Felder durchgewuͤhlet;
So trat ihm ein Gefaͤhrte bey.
Der Mangel ward vom Krieg gebohren;
Weil in der Furchen oͤdem Grund,
Mehr Blut als warmer Regen ſtund,
Gieng aller Aecker Zier verlohren:
Dein Elend ſoll vollkommen ſeyn,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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