Jch selber bin mir gram, mir knorrt der gantze Leib, Daß ich jusqu' a present muß leben ohne Weib. Was hab ich nicht gethan? was hab ich nicht erlitten O Cloris, dein amour und Schönheit zu erbitten? Weil dein Eclat so weit die andern übergeht, Als wenn ein Diamant bey einem Kiesel steht. Soleil de notre tems! O Auszug aller Tugend! O himmlischer Tresor! etc. etc. Dies war die güldne Kunst zu reden und zu schreiben, Nun denck ihm einer nach, wenn dieses sollte bleiben, So wie der Anfang war, bey jederman gemein; Welch eine Sprache sollt in Deutschland endlich seyn? So hat die Barbarey sonst das Latein zerstücket, Und Gothisch, Wendisch, Deutsch mit Macht hinein geflicket. Dadurch kam allererst der Mischmasch auf die Welt, Den Franckreich, Welschland selbst und Spanien behält. Der Gentlemann hat auch sein Theil davon bekommen, Ein Wörtlein hier und da, von allem was genommen; Und eben dieses wär den Deutschen auch geschehn, Wenn nicht mit allem Ernst da wäre zugesehn, Der Lapperey gewehrt, das gute Deutsch erzwungen, Das nichts erbetteln darf von fremder Völcker Zungen. etc. etc.
Er fährt noch weiter fort, und stellet sogar einen Geistlichen vor, der das Evangelium vom Hauptmanne zu Capernaum in einer solchen neumodischen Sprache auf der Cantzel vorge- tragen, welches wohl werth ist gelesen zu werden. Dieser Rachelius selbst ist in diesem Stücke so gewissenhafft, daß er in der Vorrede zu seinen zehn Satiren (in 12. vom Jahr 1700) ausdrücklich erinnert: daß er zwey oder drey lateini- sche, vielleicht auch soviel französische Wörter mit eingescho- ben, nicht unwissend, daß solches im Deutschen kein geringer Soloecismus ist. Er habe es aber mit Fleiß gethan, derer zu spotten, die sich auf solche Weise hervorthun wollten, wie es auch die Lateiner mit denen gemacht, die halb lateinisch, halb griechisch haben reden wollen. Was könnte ich nicht noch aus Laurenbergs plattdeutschen Schertzgedichten vor Zeug- nisse anführen, wenn es nöthig wäre, eine so ausgemachte Sache noch weitläuftiger zu erweisen.
Ein deutscher Poet bleibt also bey seiner reinen Mutter- sprache, und behänget seine Gedichte mit keinen gestohlnen
Lum-
N
Von poetiſchen Worten.
Jch ſelber bin mir gram, mir knorrt der gantze Leib, Daß ich jusqu’ à preſent muß leben ohne Weib. Was hab ich nicht gethan? was hab ich nicht erlitten O Cloris, dein amour und Schoͤnheit zu erbitten? Weil dein Eclat ſo weit die andern uͤbergeht, Als wenn ein Diamant bey einem Kieſel ſteht. Soleil de notre tems! O Auszug aller Tugend! O himmliſcher Treſor! ꝛc. ꝛc. Dies war die guͤldne Kunſt zu reden und zu ſchreiben, Nun denck ihm einer nach, wenn dieſes ſollte bleiben, So wie der Anfang war, bey jederman gemein; Welch eine Sprache ſollt in Deutſchland endlich ſeyn? So hat die Barbarey ſonſt das Latein zerſtuͤcket, Und Gothiſch, Wendiſch, Deutſch mit Macht hinein geflicket. Dadurch kam allererſt der Miſchmaſch auf die Welt, Den Franckreich, Welſchland ſelbſt und Spanien behaͤlt. Der Gentlemann hat auch ſein Theil davon bekommen, Ein Woͤrtlein hier und da, von allem was genommen; Und eben dieſes waͤr den Deutſchen auch geſchehn, Wenn nicht mit allem Ernſt da waͤre zugeſehn, Der Lapperey gewehrt, das gute Deutſch erzwungen, Das nichts erbetteln darf von fremder Voͤlcker Zungen. ꝛc. ꝛc.
Er faͤhrt noch weiter fort, und ſtellet ſogar einen Geiſtlichen vor, der das Evangelium vom Hauptmanne zu Capernaum in einer ſolchen neumodiſchen Sprache auf der Cantzel vorge- tragen, welches wohl werth iſt geleſen zu werden. Dieſer Rachelius ſelbſt iſt in dieſem Stuͤcke ſo gewiſſenhafft, daß er in der Vorrede zu ſeinen zehn Satiren (in 12. vom Jahr 1700) ausdruͤcklich erinnert: daß er zwey oder drey lateini- ſche, vielleicht auch ſoviel franzoͤſiſche Woͤrter mit eingeſcho- ben, nicht unwiſſend, daß ſolches im Deutſchen kein geringer Soloeciſmus iſt. Er habe es aber mit Fleiß gethan, derer zu ſpotten, die ſich auf ſolche Weiſe hervorthun wollten, wie es auch die Lateiner mit denen gemacht, die halb lateiniſch, halb griechiſch haben reden wollen. Was koͤnnte ich nicht noch aus Laurenbergs plattdeutſchen Schertzgedichten vor Zeug- niſſe anfuͤhren, wenn es noͤthig waͤre, eine ſo ausgemachte Sache noch weitlaͤuftiger zu erweiſen.
Ein deutſcher Poet bleibt alſo bey ſeiner reinen Mutter- ſprache, und behaͤnget ſeine Gedichte mit keinen geſtohlnen
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Von poetiſchen Worten.
Jch ſelber bin mir gram, mir knorrt der gantze Leib,
Daß ich jusqu’ à preſent muß leben ohne Weib.
Was hab ich nicht gethan? was hab ich nicht erlitten
O Cloris, dein amour und Schoͤnheit zu erbitten?
Weil dein Eclat ſo weit die andern uͤbergeht,
Als wenn ein Diamant bey einem Kieſel ſteht.
Soleil de notre tems! O Auszug aller Tugend!
O himmliſcher Treſor! ꝛc. ꝛc.
Dies war die guͤldne Kunſt zu reden und zu ſchreiben,
Nun denck ihm einer nach, wenn dieſes ſollte bleiben,
So wie der Anfang war, bey jederman gemein;
Welch eine Sprache ſollt in Deutſchland endlich ſeyn?
So hat die Barbarey ſonſt das Latein zerſtuͤcket,
Und Gothiſch, Wendiſch, Deutſch mit Macht hinein geflicket.
Dadurch kam allererſt der Miſchmaſch auf die Welt,
Den Franckreich, Welſchland ſelbſt und Spanien behaͤlt.
Der Gentlemann hat auch ſein Theil davon bekommen,
Ein Woͤrtlein hier und da, von allem was genommen;
Und eben dieſes waͤr den Deutſchen auch geſchehn,
Wenn nicht mit allem Ernſt da waͤre zugeſehn,
Der Lapperey gewehrt, das gute Deutſch erzwungen,
Das nichts erbetteln darf von fremder Voͤlcker Zungen. ꝛc. ꝛc.
Er faͤhrt noch weiter fort, und ſtellet ſogar einen Geiſtlichen
vor, der das Evangelium vom Hauptmanne zu Capernaum
in einer ſolchen neumodiſchen Sprache auf der Cantzel vorge-
tragen, welches wohl werth iſt geleſen zu werden. Dieſer
Rachelius ſelbſt iſt in dieſem Stuͤcke ſo gewiſſenhafft, daß er
in der Vorrede zu ſeinen zehn Satiren (in 12. vom Jahr
1700) ausdruͤcklich erinnert: daß er zwey oder drey lateini-
ſche, vielleicht auch ſoviel franzoͤſiſche Woͤrter mit eingeſcho-
ben, nicht unwiſſend, daß ſolches im Deutſchen kein geringer
Soloeciſmus iſt. Er habe es aber mit Fleiß gethan, derer zu
ſpotten, die ſich auf ſolche Weiſe hervorthun wollten, wie es
auch die Lateiner mit denen gemacht, die halb lateiniſch, halb
griechiſch haben reden wollen. Was koͤnnte ich nicht noch
aus Laurenbergs plattdeutſchen Schertzgedichten vor Zeug-
niſſe anfuͤhren, wenn es noͤthig waͤre, eine ſo ausgemachte
Sache noch weitlaͤuftiger zu erweiſen.
Ein deutſcher Poet bleibt alſo bey ſeiner reinen Mutter-
ſprache, und behaͤnget ſeine Gedichte mit keinen geſtohlnen
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/221>, abgerufen am 28.07.2024.
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