Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pietisterey
Frau Glaubeleichtin.
Gut, gut! da sind wir auf einer andern Ma-
terie. Fahren sie fort, wenn sie belieben; nun
will ich ihnen gerne zuhören.
Herr Wackermann.
Jn Wahrheit, Frau Schwester! sie haben
von ihrer Aufführung schlechte Ehre in der Welt.
Sie thäten viel besser, wenn sies wie andere
Frauens machten, die sie kennen; welche, ohnge-
acht sie sehr klug sind, sich dennoch eine Ehre dar-
aus machen, von den Religions-Streitigkeiten
nichts zu wissen. Wozu Hencker stecken sie denn
immer mit allerley Weibern und Pietisten zusam-
men, mit welchen sie die Theologischen Facultäten,
die Schrifften der Wittenberger und Rostocker,
und sonst hundert andere Dinge, davon sie nichts
verstehen, verachten oder loben? Was würde doch
die Welt sagen, wenn sie sich eben so in die Ju-
risterey mischen wollten, als in die Theologie?
Würde man sie nicht auslachen?
Frau Glaubeleichtin.
Sie müssen uns für sehr dumm halten.
Herr Wackermann.
Für dumm? Nein! Sie wissen alles, was sie
wissen sollen: Nehen, stricken, sticken, und viele
andere Sachen, die ihrem Geschlechte zukommen.
Sie haben auch Verstand; und ich glaube, daß
sie
Die Pietiſterey
Frau Glaubeleichtin.
Gut, gut! da ſind wir auf einer andern Ma-
terie. Fahren ſie fort, wenn ſie belieben; nun
will ich ihnen gerne zuhoͤren.
Herr Wackermann.
Jn Wahrheit, Frau Schweſter! ſie haben
von ihrer Auffuͤhrung ſchlechte Ehre in der Welt.
Sie thaͤten viel beſſer, wenn ſies wie andere
Frauens machten, die ſie kennen; welche, ohnge-
acht ſie ſehr klug ſind, ſich dennoch eine Ehre dar-
aus machen, von den Religions-Streitigkeiten
nichts zu wiſſen. Wozu Hencker ſtecken ſie denn
immer mit allerley Weibern und Pietiſten zuſam-
men, mit welchen ſie die Theologiſchen Facultaͤten,
die Schrifften der Wittenberger und Roſtocker,
und ſonſt hundert andere Dinge, davon ſie nichts
verſtehen, verachten oder loben? Was wuͤrde doch
die Welt ſagen, wenn ſie ſich eben ſo in die Ju-
riſterey miſchen wollten, als in die Theologie?
Wuͤrde man ſie nicht auslachen?
Frau Glaubeleichtin.
Sie muͤſſen uns fuͤr ſehr dumm halten.
Herr Wackermann.
Fuͤr dumm? Nein! Sie wiſſen alles, was ſie
wiſſen ſollen: Nehen, ſtricken, ſticken, und viele
andere Sachen, die ihrem Geſchlechte zukommen.
Sie haben auch Verſtand; und ich glaube, daß
ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0046" n="26"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Pieti&#x017F;terey</hi> </fw><lb/>
            <sp who="#GLAU">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Frau Glaubeleichtin.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Gut, gut! da &#x017F;ind wir auf einer andern Ma-<lb/>
terie. Fahren &#x017F;ie fort, wenn &#x017F;ie belieben; nun<lb/>
will ich ihnen gerne zuho&#x0364;ren.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#WACK">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Herr Wackermann.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Jn Wahrheit, Frau Schwe&#x017F;ter! &#x017F;ie haben<lb/>
von ihrer Auffu&#x0364;hrung &#x017F;chlechte Ehre in der Welt.<lb/>
Sie tha&#x0364;ten viel be&#x017F;&#x017F;er, wenn &#x017F;ies wie andere<lb/>
Frauens machten, die &#x017F;ie kennen; welche, ohnge-<lb/>
acht &#x017F;ie &#x017F;ehr klug &#x017F;ind, &#x017F;ich dennoch eine Ehre dar-<lb/>
aus machen, von den Religions-Streitigkeiten<lb/>
nichts zu wi&#x017F;&#x017F;en. Wozu Hencker &#x017F;tecken &#x017F;ie denn<lb/>
immer mit allerley Weibern und Pieti&#x017F;ten zu&#x017F;am-<lb/>
men, mit welchen &#x017F;ie die Theologi&#x017F;chen Faculta&#x0364;ten,<lb/>
die Schrifften der Wittenberger und Ro&#x017F;tocker,<lb/>
und &#x017F;on&#x017F;t hundert andere Dinge, davon &#x017F;ie nichts<lb/>
ver&#x017F;tehen, verachten oder loben? Was wu&#x0364;rde doch<lb/>
die Welt &#x017F;agen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich eben &#x017F;o in die Ju-<lb/>
ri&#x017F;terey mi&#x017F;chen wollten, als in die Theologie?<lb/>
Wu&#x0364;rde man &#x017F;ie nicht auslachen?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#GLAU">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Frau Glaubeleichtin.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns fu&#x0364;r &#x017F;ehr dumm halten.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#WACK">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Herr Wackermann.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Fu&#x0364;r dumm? Nein! Sie wi&#x017F;&#x017F;en alles, was &#x017F;ie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen: Nehen, &#x017F;tricken, &#x017F;ticken, und viele<lb/>
andere Sachen, die ihrem Ge&#x017F;chlechte zukommen.<lb/>
Sie haben auch Ver&#x017F;tand; und ich glaube, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0046] Die Pietiſterey Frau Glaubeleichtin. Gut, gut! da ſind wir auf einer andern Ma- terie. Fahren ſie fort, wenn ſie belieben; nun will ich ihnen gerne zuhoͤren. Herr Wackermann. Jn Wahrheit, Frau Schweſter! ſie haben von ihrer Auffuͤhrung ſchlechte Ehre in der Welt. Sie thaͤten viel beſſer, wenn ſies wie andere Frauens machten, die ſie kennen; welche, ohnge- acht ſie ſehr klug ſind, ſich dennoch eine Ehre dar- aus machen, von den Religions-Streitigkeiten nichts zu wiſſen. Wozu Hencker ſtecken ſie denn immer mit allerley Weibern und Pietiſten zuſam- men, mit welchen ſie die Theologiſchen Facultaͤten, die Schrifften der Wittenberger und Roſtocker, und ſonſt hundert andere Dinge, davon ſie nichts verſtehen, verachten oder loben? Was wuͤrde doch die Welt ſagen, wenn ſie ſich eben ſo in die Ju- riſterey miſchen wollten, als in die Theologie? Wuͤrde man ſie nicht auslachen? Frau Glaubeleichtin. Sie muͤſſen uns fuͤr ſehr dumm halten. Herr Wackermann. Fuͤr dumm? Nein! Sie wiſſen alles, was ſie wiſſen ſollen: Nehen, ſtricken, ſticken, und viele andere Sachen, die ihrem Geſchlechte zukommen. Sie haben auch Verſtand; und ich glaube, daß ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/46
Zitationshilfe: Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/46>, abgerufen am 27.11.2024.