Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pietisterey
Cathrine.
Ach! frage sie nur nicht; sie wirds schon zeitig
genug erfahren.
Jungfer Luischen.
Wie? ists schon wieder eine solche verzweifelte
Scarteque, die die Mama mir immer zu lesen giebt?
Cathrine.
Ja, ja! das wäre mir eine rechte Scarteque!
Nein, meine liebe Jungfer Luischen! es ist ein schö-
nes grosses Werck in Octav, wenn sie es wissen
will: Und dancke sie noch dem Autor, daß er,
wie es scheint, des Lügens müde geworden ist; sonst
wäre wahrhaftig ein guter Foliante daraus gewor-
den. Lese sie nur den Titul: Fußstapfen der
Wunder GOttes im Hällischen Wäysen-
Hause.
Jst das nicht lustig?
Jungfer Luischen.
Ach Cathrine! ich ärgere mich fast zu Tode.
Cathrine.
Ja, ja! ich glaube es wohl, daß sie lieber einen
Roman oder eine Comedie läse; aber ihre Mama
versteht das Ding besser: Hübsche Hertzens-Cate-
chismi; ein Heiliger oder ein Vieh; Hoburgs un-
bekannter Christus; Freylingshausens Grundle-
gung; das, das gehört zur Erziehung eines Mäd-
gens, welches in der Welt sein Glücke machen soll!
Jungfer Luischen.
Schweige doch nur!
Ca-
Die Pietiſterey
Cathrine.
Ach! frage ſie nur nicht; ſie wirds ſchon zeitig
genug erfahren.
Jungfer Luischen.
Wie? iſts ſchon wieder eine ſolche verzweifelte
Scarteque, die die Mama mir immer zu leſen giebt?
Cathrine.
Ja, ja! das waͤre mir eine rechte Scarteque!
Nein, meine liebe Jungfer Luischen! es iſt ein ſchoͤ-
nes groſſes Werck in Octav, wenn ſie es wiſſen
will: Und dancke ſie noch dem Autor, daß er,
wie es ſcheint, des Luͤgens muͤde geworden iſt; ſonſt
waͤre wahrhaftig ein guter Foliante daraus gewor-
den. Leſe ſie nur den Titul: Fußſtapfen der
Wunder GOttes im Haͤlliſchen Waͤyſen-
Hauſe.
Jſt das nicht luſtig?
Jungfer Luischen.
Ach Cathrine! ich aͤrgere mich faſt zu Tode.
Cathrine.
Ja, ja! ich glaube es wohl, daß ſie lieber einen
Roman oder eine Comedie laͤſe; aber ihre Mama
verſteht das Ding beſſer: Huͤbſche Hertzens-Cate-
chiſmi; ein Heiliger oder ein Vieh; Hoburgs un-
bekannter Chriſtus; Freylingshauſens Grundle-
gung; das, das gehoͤrt zur Erziehung eines Maͤd-
gens, welches in der Welt ſein Gluͤcke machen ſoll!
Jungfer Luischen.
Schweige doch nur!
Ca-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0022" n="2"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Pieti&#x017F;terey</hi> </fw><lb/>
            <sp who="#CAT">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Cathrine.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Ach! frage &#x017F;ie nur nicht; &#x017F;ie wirds &#x017F;chon zeitig<lb/>
genug erfahren.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#LUI">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Wie? i&#x017F;ts &#x017F;chon wieder eine &#x017F;olche verzweifelte<lb/>
Scarteque, die die Mama mir immer zu le&#x017F;en giebt?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#CAT">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Cathrine.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Ja, ja! das wa&#x0364;re mir eine rechte Scarteque!<lb/>
Nein, meine liebe Jungfer Luischen! es i&#x017F;t ein &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nes gro&#x017F;&#x017F;es Werck in <hi rendition="#aq">Octav,</hi> wenn &#x017F;ie es wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
will: Und dancke &#x017F;ie noch dem <hi rendition="#aq">Autor,</hi> daß er,<lb/>
wie es &#x017F;cheint, des Lu&#x0364;gens mu&#x0364;de geworden i&#x017F;t; &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
wa&#x0364;re wahrhaftig ein guter Foliante daraus gewor-<lb/>
den. Le&#x017F;e &#x017F;ie nur den Titul: <hi rendition="#fr">Fuß&#x017F;tapfen der<lb/>
Wunder GOttes im Ha&#x0364;lli&#x017F;chen Wa&#x0364;y&#x017F;en-<lb/>
Hau&#x017F;e.</hi> J&#x017F;t das nicht lu&#x017F;tig?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#LUI">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Ach Cathrine! ich a&#x0364;rgere mich fa&#x017F;t zu Tode.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#CAT">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Cathrine.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Ja, ja! ich glaube es wohl, daß &#x017F;ie lieber einen<lb/>
Roman oder eine Comedie la&#x0364;&#x017F;e; aber ihre Mama<lb/>
ver&#x017F;teht das Ding be&#x017F;&#x017F;er: Hu&#x0364;b&#x017F;che Hertzens-Cate-<lb/>
chi&#x017F;mi; ein Heiliger oder ein Vieh; Hoburgs un-<lb/>
bekannter Chri&#x017F;tus; Freylingshau&#x017F;ens Grundle-<lb/>
gung; das, das geho&#x0364;rt zur Erziehung eines Ma&#x0364;d-<lb/>
gens, welches in der Welt &#x017F;ein Glu&#x0364;cke machen &#x017F;oll!</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#LUI">
              <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Jungfer Luischen.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Schweige doch nur!</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ca-</hi> </fw>
            </sp><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0022] Die Pietiſterey Cathrine. Ach! frage ſie nur nicht; ſie wirds ſchon zeitig genug erfahren. Jungfer Luischen. Wie? iſts ſchon wieder eine ſolche verzweifelte Scarteque, die die Mama mir immer zu leſen giebt? Cathrine. Ja, ja! das waͤre mir eine rechte Scarteque! Nein, meine liebe Jungfer Luischen! es iſt ein ſchoͤ- nes groſſes Werck in Octav, wenn ſie es wiſſen will: Und dancke ſie noch dem Autor, daß er, wie es ſcheint, des Luͤgens muͤde geworden iſt; ſonſt waͤre wahrhaftig ein guter Foliante daraus gewor- den. Leſe ſie nur den Titul: Fußſtapfen der Wunder GOttes im Haͤlliſchen Waͤyſen- Hauſe. Jſt das nicht luſtig? Jungfer Luischen. Ach Cathrine! ich aͤrgere mich faſt zu Tode. Cathrine. Ja, ja! ich glaube es wohl, daß ſie lieber einen Roman oder eine Comedie laͤſe; aber ihre Mama verſteht das Ding beſſer: Huͤbſche Hertzens-Cate- chiſmi; ein Heiliger oder ein Vieh; Hoburgs un- bekannter Chriſtus; Freylingshauſens Grundle- gung; das, das gehoͤrt zur Erziehung eines Maͤd- gens, welches in der Welt ſein Gluͤcke machen ſoll! Jungfer Luischen. Schweige doch nur! Ca-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/22
Zitationshilfe: Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/22>, abgerufen am 26.04.2024.