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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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der letztern durch den Genius des tiers-etat, bildet in Gustav pgo_392.002
Freytag's
"Soll und Haben" den Mittelpunkt der Handlung. Freigeistige pgo_392.003
Auflockerung in streng konservativen, autonomischen Kreisen ist die pgo_392.004
Grundstimmung in Schücking's "Romanen," während den Gegensatz pgo_392.005
von Arbeit und Besitz, Erfindung und Ausbeutung auf industriellem pgo_392.006
Gebiete Prutz in seinem "Engelchen" behandelt. Fanny Lewald liebt pgo_392.007
konfessionelle Konflikte der religiösen und politischen Ueberzeugung in den pgo_392.008
Vordergrund zu stellen. Hier liegt die Gefahr der Tendenz nahe, an der pgo_392.009
eine Menge neuer Romane scheitern.

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Jn Beziehung auf den Lebenskreis, in welchem sich der Roman pgo_392.011
bewegt, kann man den Salonroman, den Volksroman und den pgo_392.012
bürgerlichen Familienroman unterscheiden. Der Salonroman pgo_392.013
führt uns in die fashionabeln Konflikte des aristokratischen Lebens; wir pgo_392.014
sind hier den Sorgen der materiellen Existenz entnommen, und diese höhere pgo_392.015
Freiheit läßt die Fragen des Herzens zu ihrem ungetrübten Rechte pgo_392.016
kommen. Die Gefahr liegt hier in der Verfeinerung der Empfindung, pgo_392.017
in ihren üppig selbstgefälligen Schwelgereien, in der Ueberhebung einer pgo_392.018
exklusiven Lebensstellung! Das Resultat dieser ausschließlichen Beschäftigung pgo_392.019
mit dem eigenen Herzen ist entweder der Ehebruch oder das Kloster. pgo_392.020
Die Stael in "Corinne" und "Delphine" ging hier voran; Bulwer pgo_392.021
in "Pelham," "Devereux" folgte; die Gräfin Hahn-Hahn in pgo_392.022
ihren kapriciösen, aber geistvollen Romanen, der elegante Sternberg pgo_392.023
u. A. vertreten den Salonroman in der deutschen Literatur. Jm Gegensatz pgo_392.024
entwickelte sich in Deutschland der Volksroman zur Dorfgeschichte, pgo_392.025
ohne den Humor des Lesage und Smollet! Derbe Realität, sogenannte pgo_392.026
tüchtige Charaktere von altem Schrot und Korn, rustikale Zustände bis pgo_392.027
in alle juristischen und kriminalistischen Verwickelungen hinein, bis in alle pgo_392.028
Subtilitäten bäuerlicher Standesunterschiede treten in den Vordergrund; pgo_392.029
die Faustinen verwandelten sich in Baarfüßele, die Ulrich's in Lehnholde; pgo_392.030
Uli der Knecht fesselte mehr, als Sternberg's "Paul der Herr;" aber pgo_392.031
dieser Jdylle fehlte der Frieden, das Glück, die arkadische Beleuchtung; pgo_392.032
die herbsten Konflikte wurden in sie verlegt; sie war entweder bäuerlich pgo_392.033
roh oder von Reflexionen einer ihr fremden Bildung durchzogen, so daß pgo_392.034
weder das Talent eines Auerbach und Rank, noch die kapriciöse und pgo_392.035
naturwüchsige Originalität eines Gotthelf diesen Schöpfungen eine

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/414>, abgerufen am 22.11.2024.