Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_341.001 Aber die Freier im Schiff durchsegelten flüssige Pfade, pgo_341.032
Stets des Telemachos Mord in grausamer Seele bewegend. pgo_341.033 Mitten liegt in dem Meer ein Eiland schroff von Geklippe, pgo_341.034 Dort wo Jthaka scheidet der Sund von der felsigen Samos, pgo_341.035 Astoris, nicht sehr groß; da empfängt mit doppelter Einfahrt pgo_341.036 Schiffe der Port; hier lauernd erwarten ihn die Achaier! pgo_341.001 Aber die Freier im Schiff durchsegelten flüssige Pfade, pgo_341.032
Stets des Telemachos Mord in grausamer Seele bewegend. pgo_341.033 Mitten liegt in dem Meer ein Eiland schroff von Geklippe, pgo_341.034 Dort wo Jthaka scheidet der Sund von der felsigen Samos, pgo_341.035 Astoris, nicht sehr groß; da empfängt mit doppelter Einfahrt pgo_341.036 Schiffe der Port; hier lauernd erwarten ihn die Achaier! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0363" n="341"/><lb n="pgo_341.001"/> sprechen, wenn man das bestimmte Ziel, das seinen Schlußstein bildet, <lb n="pgo_341.002"/> in's Auge faßt. Der Epiker darf das Ziel indeß eben so gut aus dem <lb n="pgo_341.003"/> Auge verlieren, um das Weltbild nach einer andern Seite hin zu vertiefen, <lb n="pgo_341.004"/> mag die Beziehung zum Helden auch so locker wie möglich sein. <lb n="pgo_341.005"/> Freilich darf eine Episode nicht ein dramatisches Jnteresse haben, das <lb n="pgo_341.006"/> außerdem nicht einmal dazu dient, das Kulturgemälde zu vollenden. So <lb n="pgo_341.007"/> muß die Episode von Olind und Sophronia im zweiten Gesange von <lb n="pgo_341.008"/> Tasso's Jerusalem als müßiges Beiwerk getadelt werden. Schöne <lb n="pgo_341.009"/> Episoden sind ein Schmuck des Gedichtes und außerdem ein wirksames <lb n="pgo_341.010"/> Mittel des epischen Kontrastes, indem der Dichter durch sie das Ernste <lb n="pgo_341.011"/> und Heitere, Strenge und Zarte zu verschmelzen vermag. Wie der <lb n="pgo_341.012"/> Epiker in den Episoden den geraden Weg der Handlung <hi rendition="#g">verläßt:</hi> so <lb n="pgo_341.013"/> <hi rendition="#g">hemmt</hi> er ihn durch zahlreiche retardirende Motive. Der Strom des <lb n="pgo_341.014"/> Epos verläßt in Folge dieser Hemmungen sein enges Bette; er wird <lb n="pgo_341.015"/> zum See, der sich in die Weite ausdehnt, und kehrt dann wieder in <lb n="pgo_341.016"/> engere Grenzen zu geradem Laufe zurück. Die Winde des Aeolus, <lb n="pgo_341.017"/> welche, von den neugierigen Genossen des Odysseus aus ihren Schläuchen <lb n="pgo_341.018"/> entlassen, das Schiff des Helden zur Jnsel des zürnenden Sturmgottes <lb n="pgo_341.019"/> zurücktreiben, sind zugleich ein Bild und Beispiel dieser Hemmung. Auch <lb n="pgo_341.020"/> ist es nicht gleichgültig, <hi rendition="#g">wo</hi> der Epiker den Faden der einen Begebenheit <lb n="pgo_341.021"/> fallen läßt, um den einer andern aufzunehmen, welche zum ganzen <lb n="pgo_341.022"/> Verlauf seines Epos gehört. Homer verstand dies ebenso gut, wie es <lb n="pgo_341.023"/> Eugène Sue versteht, und wußte mit der <hi rendition="#g">epischen Technik</hi> in einer <lb n="pgo_341.024"/> Weise Bescheid, welche noch für die spätesten Epigonen lehrreich ist. Er <lb n="pgo_341.025"/> schildert uns z. B. die Reise des Telemachos und seine Heimkehr, ehe er <lb n="pgo_341.026"/> sich zu dem in der Grotte der Kalypso weilenden Odysseus wendet; aber <lb n="pgo_341.027"/> er läßt den jungen Helden nicht sicher in den Hafen von Jthaka einlaufen. <lb n="pgo_341.028"/> Er schildert uns die Verschwörung der Freier gegen ihn; er schildert uns <lb n="pgo_341.029"/> die angstvolle Erwartung der durch ein Traumbild erregten Penelope; <lb n="pgo_341.030"/> er schließt mit den Versen:</p> <lb n="pgo_341.031"/> <lg> <l>Aber die Freier im Schiff durchsegelten flüssige Pfade,</l> <lb n="pgo_341.032"/> <l>Stets des Telemachos Mord in grausamer Seele bewegend.</l> <lb n="pgo_341.033"/> <l>Mitten liegt in dem Meer ein Eiland schroff von Geklippe,</l> <lb n="pgo_341.034"/> <l>Dort wo Jthaka scheidet der Sund von der felsigen Samos,</l> <lb n="pgo_341.035"/> <l>Astoris, nicht sehr groß; da empfängt mit doppelter Einfahrt</l> <lb n="pgo_341.036"/> <l>Schiffe der Port; hier lauernd erwarten ihn die Achaier!</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [341/0363]
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sprechen, wenn man das bestimmte Ziel, das seinen Schlußstein bildet, pgo_341.002
in's Auge faßt. Der Epiker darf das Ziel indeß eben so gut aus dem pgo_341.003
Auge verlieren, um das Weltbild nach einer andern Seite hin zu vertiefen, pgo_341.004
mag die Beziehung zum Helden auch so locker wie möglich sein. pgo_341.005
Freilich darf eine Episode nicht ein dramatisches Jnteresse haben, das pgo_341.006
außerdem nicht einmal dazu dient, das Kulturgemälde zu vollenden. So pgo_341.007
muß die Episode von Olind und Sophronia im zweiten Gesange von pgo_341.008
Tasso's Jerusalem als müßiges Beiwerk getadelt werden. Schöne pgo_341.009
Episoden sind ein Schmuck des Gedichtes und außerdem ein wirksames pgo_341.010
Mittel des epischen Kontrastes, indem der Dichter durch sie das Ernste pgo_341.011
und Heitere, Strenge und Zarte zu verschmelzen vermag. Wie der pgo_341.012
Epiker in den Episoden den geraden Weg der Handlung verläßt: so pgo_341.013
hemmt er ihn durch zahlreiche retardirende Motive. Der Strom des pgo_341.014
Epos verläßt in Folge dieser Hemmungen sein enges Bette; er wird pgo_341.015
zum See, der sich in die Weite ausdehnt, und kehrt dann wieder in pgo_341.016
engere Grenzen zu geradem Laufe zurück. Die Winde des Aeolus, pgo_341.017
welche, von den neugierigen Genossen des Odysseus aus ihren Schläuchen pgo_341.018
entlassen, das Schiff des Helden zur Jnsel des zürnenden Sturmgottes pgo_341.019
zurücktreiben, sind zugleich ein Bild und Beispiel dieser Hemmung. Auch pgo_341.020
ist es nicht gleichgültig, wo der Epiker den Faden der einen Begebenheit pgo_341.021
fallen läßt, um den einer andern aufzunehmen, welche zum ganzen pgo_341.022
Verlauf seines Epos gehört. Homer verstand dies ebenso gut, wie es pgo_341.023
Eugène Sue versteht, und wußte mit der epischen Technik in einer pgo_341.024
Weise Bescheid, welche noch für die spätesten Epigonen lehrreich ist. Er pgo_341.025
schildert uns z. B. die Reise des Telemachos und seine Heimkehr, ehe er pgo_341.026
sich zu dem in der Grotte der Kalypso weilenden Odysseus wendet; aber pgo_341.027
er läßt den jungen Helden nicht sicher in den Hafen von Jthaka einlaufen. pgo_341.028
Er schildert uns die Verschwörung der Freier gegen ihn; er schildert uns pgo_341.029
die angstvolle Erwartung der durch ein Traumbild erregten Penelope; pgo_341.030
er schließt mit den Versen:
pgo_341.031
Aber die Freier im Schiff durchsegelten flüssige Pfade, pgo_341.032
Stets des Telemachos Mord in grausamer Seele bewegend. pgo_341.033
Mitten liegt in dem Meer ein Eiland schroff von Geklippe, pgo_341.034
Dort wo Jthaka scheidet der Sund von der felsigen Samos, pgo_341.035
Astoris, nicht sehr groß; da empfängt mit doppelter Einfahrt pgo_341.036
Schiffe der Port; hier lauernd erwarten ihn die Achaier!
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