Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_305.001 Wer zuerst zu Tage gebracht die schrecklichen Schwerter, pgo_305.008 Wild im Busen führwahr schlug ihm ein eisernes Herz. pgo_305.009 Da begann den Menschen der Mord und die Schlachten begannen, pgo_305.010 Und ein kürzerer Weg wurde geöffnet dem Tod. pgo_305.011 *) pgo_305.034
lib. I. 3. nach Gruppe. pgo_305.001 Wer zuerst zu Tage gebracht die schrecklichen Schwerter, pgo_305.008 Wild im Busen führwahr schlug ihm ein eisernes Herz. pgo_305.009 Da begann den Menschen der Mord und die Schlachten begannen, pgo_305.010 Und ein kürzerer Weg wurde geöffnet dem Tod. pgo_305.011 *) pgo_305.034
lib. I. 3. nach Gruppe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0327" n="305"/><lb n="pgo_305.001"/><hi rendition="#g">Theognis!</hi> Welch' wehmüthiger Rückblick auf die Tapferkeit der alten <lb n="pgo_305.002"/> Smyrnäer, welche reizende, aber gerade durch die Ahnungen der Vergänglichkeit <lb n="pgo_305.003"/> anmuthig gefärbte Feier der Jugend und Schönheit findet <lb n="pgo_305.004"/> sich in den Elegieen des <hi rendition="#g">Mimnermos! Tibull</hi> geht in einer seiner <lb n="pgo_305.005"/> kunstvollsten Dichtungen von den Schrecken des Krieges aus und mischt <lb n="pgo_305.006"/> so in die Schlußfeier des Friedens einen elegischen Hauch<note xml:id="PGO_305_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_305.034"/> lib. I. 3. nach Gruppe.</note>.</p> <lb n="pgo_305.007"/> <lg> <l>Wer zuerst zu Tage gebracht die schrecklichen Schwerter,</l> <lb n="pgo_305.008"/> <l>Wild im Busen führwahr schlug ihm ein eisernes Herz.</l> <lb n="pgo_305.009"/> <l>Da begann den Menschen der Mord und die Schlachten begannen,</l> <lb n="pgo_305.010"/> <l>Und ein kürzerer Weg wurde geöffnet dem Tod.</l> </lg> <p><lb n="pgo_305.011"/> Wie mischt sich im Liebesroman seiner Delia mit aller Freude über <lb n="pgo_305.012"/> verbotenen Genuß die leise Klage darüber, daß der volle gesicherte Besitz <lb n="pgo_305.013"/> der Geliebten ihm fehlt. Wie wandelt sich selbst bei dem kühneren <hi rendition="#g">Properz</hi> <lb n="pgo_305.014"/> die glückliche Liebe in eine unglückliche um! Wir erinnern nicht <lb n="pgo_305.015"/> an Petrarca's Sonette, an viele Kanzonen der Troubadours — die <lb n="pgo_305.016"/> ganze reiche Gedankenpoesie der Neuzeit verleugnet jenen Grundzug der <lb n="pgo_305.017"/> Stimmung nicht. Die römischen Elegieen Goethe's sind dem Tibull und <lb n="pgo_305.018"/> Properz nachgedichtet und erhalten dadurch ihren Reiz, daß die Liebe des <lb n="pgo_305.019"/> Dichters, selbst vergänglich und flüchtig, unter den Trümmern einer <lb n="pgo_305.020"/> großen Vergangenheit dahingaukelt. Jn den „Göttern Griechenlands“ <lb n="pgo_305.021"/> von Schiller, den „Jdealen“ und ähnlichen Gedichten unseres größten <lb n="pgo_305.022"/> Reflexionspoeten läßt die Sehnsucht nach einer versunkenen Phantasiewelt <lb n="pgo_305.023"/> oder nach der innigen Vermählung des Gedankens und der Wirklichkeit <lb n="pgo_305.024"/> den Schmerz der nüchternen Gegenwart um so tiefer empfinden. <lb n="pgo_305.025"/> Jm „Schutt“ von Anastasius Grün rankt sich die Wehmuth des Dichters <lb n="pgo_305.026"/> noch um die alten Thürme und Klöster; das europäische Mittelalter singt <lb n="pgo_305.027"/> sein Schwanenlied; aber in seine Ruinen weht der frische Hauch über den <lb n="pgo_305.028"/> Ocean herüber aus der neuen Welt! <hi rendition="#g">Nikolaus Lenau</hi> klagt um das <lb n="pgo_305.029"/> verlorene Paradies des Glaubens oder um verlorenes Liebesglück; <lb n="pgo_305.030"/> <hi rendition="#g">Alfred Meißner</hi> in seinen „Trümmern“ um das Weh der Armen, <lb n="pgo_305.031"/> der Enterbten, der ganzen Menschheit! So ist der Grundzug der <lb n="pgo_305.032"/> Reflexionspoeten allerdings durch die Vergänglichkeit des Jrdischen <lb n="pgo_305.033"/> bestimmt. Die <hi rendition="#g">Stimmung</hi> des elegischen Dichters ist ein den Erscheinungen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [305/0327]
pgo_305.001
Theognis! Welch' wehmüthiger Rückblick auf die Tapferkeit der alten pgo_305.002
Smyrnäer, welche reizende, aber gerade durch die Ahnungen der Vergänglichkeit pgo_305.003
anmuthig gefärbte Feier der Jugend und Schönheit findet pgo_305.004
sich in den Elegieen des Mimnermos! Tibull geht in einer seiner pgo_305.005
kunstvollsten Dichtungen von den Schrecken des Krieges aus und mischt pgo_305.006
so in die Schlußfeier des Friedens einen elegischen Hauch *).
pgo_305.007
Wer zuerst zu Tage gebracht die schrecklichen Schwerter, pgo_305.008
Wild im Busen führwahr schlug ihm ein eisernes Herz. pgo_305.009
Da begann den Menschen der Mord und die Schlachten begannen, pgo_305.010
Und ein kürzerer Weg wurde geöffnet dem Tod.
pgo_305.011
Wie mischt sich im Liebesroman seiner Delia mit aller Freude über pgo_305.012
verbotenen Genuß die leise Klage darüber, daß der volle gesicherte Besitz pgo_305.013
der Geliebten ihm fehlt. Wie wandelt sich selbst bei dem kühneren Properz pgo_305.014
die glückliche Liebe in eine unglückliche um! Wir erinnern nicht pgo_305.015
an Petrarca's Sonette, an viele Kanzonen der Troubadours — die pgo_305.016
ganze reiche Gedankenpoesie der Neuzeit verleugnet jenen Grundzug der pgo_305.017
Stimmung nicht. Die römischen Elegieen Goethe's sind dem Tibull und pgo_305.018
Properz nachgedichtet und erhalten dadurch ihren Reiz, daß die Liebe des pgo_305.019
Dichters, selbst vergänglich und flüchtig, unter den Trümmern einer pgo_305.020
großen Vergangenheit dahingaukelt. Jn den „Göttern Griechenlands“ pgo_305.021
von Schiller, den „Jdealen“ und ähnlichen Gedichten unseres größten pgo_305.022
Reflexionspoeten läßt die Sehnsucht nach einer versunkenen Phantasiewelt pgo_305.023
oder nach der innigen Vermählung des Gedankens und der Wirklichkeit pgo_305.024
den Schmerz der nüchternen Gegenwart um so tiefer empfinden. pgo_305.025
Jm „Schutt“ von Anastasius Grün rankt sich die Wehmuth des Dichters pgo_305.026
noch um die alten Thürme und Klöster; das europäische Mittelalter singt pgo_305.027
sein Schwanenlied; aber in seine Ruinen weht der frische Hauch über den pgo_305.028
Ocean herüber aus der neuen Welt! Nikolaus Lenau klagt um das pgo_305.029
verlorene Paradies des Glaubens oder um verlorenes Liebesglück; pgo_305.030
Alfred Meißner in seinen „Trümmern“ um das Weh der Armen, pgo_305.031
der Enterbten, der ganzen Menschheit! So ist der Grundzug der pgo_305.032
Reflexionspoeten allerdings durch die Vergänglichkeit des Jrdischen pgo_305.033
bestimmt. Die Stimmung des elegischen Dichters ist ein den Erscheinungen
*) pgo_305.034
lib. I. 3. nach Gruppe.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |