Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_235.001 Es war in den Tagen, da der Winter Abschied nimmt, pgo_235.003 Und der Vogel mit Zagen die Kehle wieder stimmt, pgo_235.004 Daß er singe seine Weise, wenn der März entschwunden, pgo_235.005 Jn Schnee und im Eise wurden die armen Waisen gefunden. pgo_235.006 pgo_235.019 Es stand in alten Zeiten || ein Schloß so hoch und hehr, pgo_235.025 pgo_235.028Weit glänzt' es über die Lande || bis an das blaue Meer, pgo_235.026 Und rings von duft'gen Gärten || ein blüthenreicher Kranz, pgo_235.027 Drin sprangen frische Bronnen || im Regenbogenglanz. Uhland. pgo_235.029 Fürwahr, ihr Longobarden, das war ein schwerer Tritt, pgo_235.034 Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt, pgo_235.035 Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt, pgo_235.036 Das war mit welschem Blute gescheckt bis über den Sattelgurt. pgo_235.001 Es war in den Tagen, da der Winter Abschied nimmt, pgo_235.003 Und der Vogel mit Zagen die Kehle wieder stimmt, pgo_235.004 Daß er singe seine Weise, wenn der März entschwunden, pgo_235.005 Jn Schnee und im Eise wurden die armen Waisen gefunden. pgo_235.006 pgo_235.019 Es stand in alten Zeiten ‖ ein Schloß so hoch und hehr, pgo_235.025 pgo_235.028Weit glänzt' es über die Lande ‖ bis an das blaue Meer, pgo_235.026 Und rings von duft'gen Gärten ‖ ein blüthenreicher Kranz, pgo_235.027 Drin sprangen frische Bronnen ‖ im Regenbogenglanz. Uhland. pgo_235.029 Fürwahr, ihr Longobarden, das war ein schwerer Tritt, pgo_235.034 Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt, pgo_235.035 Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt, pgo_235.036 Das war mit welschem Blute gescheckt bis über den Sattelgurt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0257" n="235"/> <p><lb n="pgo_235.001"/> Die Gudrunstrophe dagegen lautet:</p> <lb n="pgo_235.002"/> <lg> <l>Es war in den Tagen, da der Winter Abschied nimmt,</l> <lb n="pgo_235.003"/> <l>Und der Vogel mit Zagen die Kehle wieder stimmt,</l> <lb n="pgo_235.004"/> <l>Daß er singe seine Weise, wenn der März entschwunden,</l> <lb n="pgo_235.005"/> <l>Jn Schnee und im Eise wurden die armen Waisen gefunden.</l> </lg> <p><lb n="pgo_235.006"/> Ohne Frage hat die Nibelungenstrophe sowohl die nöthige epische <lb n="pgo_235.007"/> Geräumigkeit, als auch eine malerische Mannichfaltigkeit des Rhythmus. <lb n="pgo_235.008"/> Sie kann trochäisch, jambisch, anapästisch erklingen; sie kann durch das <lb n="pgo_235.009"/> Fortlassen der Senkung, durch das Zusammenprallen zweier Längen scharf <lb n="pgo_235.010"/> und charakteristisch markiren! Dennoch entspricht ihre Anwendung in der <lb n="pgo_235.011"/> alten Gestalt nicht mehr den Gesetzen des modernen deutschen Versbaues, <lb n="pgo_235.012"/> seit er sich nach antikem Vorbilde fortentwickelt. Ein Ohr, das blos an <lb n="pgo_235.013"/> Hebungen und Senkungen gewöhnt ist, wird in der Nibelungenstrophe <lb n="pgo_235.014"/> jene Gleichmäßigkeit des Rhythmus heraushören, welche ein feiner gebildetes <lb n="pgo_235.015"/> Ohr vermißt, das an den jambischen oder trochäischen Tonfall <lb n="pgo_235.016"/> gewöhnt ist. Die Mannichfaltigkeit der alten Nibelungenstrophe hat <lb n="pgo_235.017"/> etwas zu Buntscheckiges, wenn sie nicht am rhythmischen Spalier der <lb n="pgo_235.018"/> Neuzeit in die Höhe gerankt wird.</p> <p><lb n="pgo_235.019"/> Zunächst wird der neue Nibelungenvers den <hi rendition="#g">jambischen</hi> Charakter <lb n="pgo_235.020"/> festhalten müssen, indem er erst durch ihn ein einheitliches Gepräge erhält. <lb n="pgo_235.021"/> Der Jambus darf aber auch mit dem Anapäst wechseln. Die weibliche <lb n="pgo_235.022"/> Cäsur der Mitte unterscheidet die moderne Nibelungenstrophe hinlänglich <lb n="pgo_235.023"/> vom Alexandriner.</p> <lb n="pgo_235.024"/> <lg> <l>Es stand in alten Zeiten ‖ ein Schloß so hoch und hehr,</l> <lb n="pgo_235.025"/> <l>Weit glänzt' es über die Lande ‖ bis an das blaue Meer,</l> <lb n="pgo_235.026"/> <l>Und rings von duft'gen Gärten ‖ ein blüthenreicher Kranz,</l> <lb n="pgo_235.027"/> <l>Drin sprangen frische Bronnen ‖ im Regenbogenglanz.</l> </lg> <lb n="pgo_235.028"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Uhland</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_235.029"/> Eine größere Beweglichkeit erhält die Strophe, wenn man nach ihrem <lb n="pgo_235.030"/> altgermanischen Vorbilde der zweiten Hälfte der vierten Verszeile vier <lb n="pgo_235.031"/> Füße giebt. So hat sie <hi rendition="#g">Strachwitz</hi> meisterhaft in: „<hi rendition="#g">Hie Welf</hi>“ <lb n="pgo_235.032"/> behandelt:</p> <lb n="pgo_235.033"/> <lg> <l>Fürwahr, ihr Longobarden, das war ein schwerer Tritt,</l> <lb n="pgo_235.034"/> <l>Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt,</l> <lb n="pgo_235.035"/> <l>Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt,</l> <lb n="pgo_235.036"/> <l>Das war mit welschem Blute gescheckt bis über den Sattelgurt.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [235/0257]
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Die Gudrunstrophe dagegen lautet:
pgo_235.002
Es war in den Tagen, da der Winter Abschied nimmt, pgo_235.003
Und der Vogel mit Zagen die Kehle wieder stimmt, pgo_235.004
Daß er singe seine Weise, wenn der März entschwunden, pgo_235.005
Jn Schnee und im Eise wurden die armen Waisen gefunden.
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Ohne Frage hat die Nibelungenstrophe sowohl die nöthige epische pgo_235.007
Geräumigkeit, als auch eine malerische Mannichfaltigkeit des Rhythmus. pgo_235.008
Sie kann trochäisch, jambisch, anapästisch erklingen; sie kann durch das pgo_235.009
Fortlassen der Senkung, durch das Zusammenprallen zweier Längen scharf pgo_235.010
und charakteristisch markiren! Dennoch entspricht ihre Anwendung in der pgo_235.011
alten Gestalt nicht mehr den Gesetzen des modernen deutschen Versbaues, pgo_235.012
seit er sich nach antikem Vorbilde fortentwickelt. Ein Ohr, das blos an pgo_235.013
Hebungen und Senkungen gewöhnt ist, wird in der Nibelungenstrophe pgo_235.014
jene Gleichmäßigkeit des Rhythmus heraushören, welche ein feiner gebildetes pgo_235.015
Ohr vermißt, das an den jambischen oder trochäischen Tonfall pgo_235.016
gewöhnt ist. Die Mannichfaltigkeit der alten Nibelungenstrophe hat pgo_235.017
etwas zu Buntscheckiges, wenn sie nicht am rhythmischen Spalier der pgo_235.018
Neuzeit in die Höhe gerankt wird.
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Zunächst wird der neue Nibelungenvers den jambischen Charakter pgo_235.020
festhalten müssen, indem er erst durch ihn ein einheitliches Gepräge erhält. pgo_235.021
Der Jambus darf aber auch mit dem Anapäst wechseln. Die weibliche pgo_235.022
Cäsur der Mitte unterscheidet die moderne Nibelungenstrophe hinlänglich pgo_235.023
vom Alexandriner.
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Es stand in alten Zeiten ‖ ein Schloß so hoch und hehr, pgo_235.025
Weit glänzt' es über die Lande ‖ bis an das blaue Meer, pgo_235.026
Und rings von duft'gen Gärten ‖ ein blüthenreicher Kranz, pgo_235.027
Drin sprangen frische Bronnen ‖ im Regenbogenglanz.
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Uhland.
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Eine größere Beweglichkeit erhält die Strophe, wenn man nach ihrem pgo_235.030
altgermanischen Vorbilde der zweiten Hälfte der vierten Verszeile vier pgo_235.031
Füße giebt. So hat sie Strachwitz meisterhaft in: „Hie Welf“ pgo_235.032
behandelt:
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Fürwahr, ihr Longobarden, das war ein schwerer Tritt, pgo_235.034
Den Friedrich Barbarossa durch Mailands Bresche ritt, pgo_235.035
Licht war das Roß des Kaisers, ein Schimmel von Geburt, pgo_235.036
Das war mit welschem Blute gescheckt bis über den Sattelgurt.
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