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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Die Drangsal' alle soll ich offenbaren, pgo_224.002
Die ich gesehn und meistens selbst erfahren.
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g. Die Terzine.

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Die Terzine besteht aus drei immer wiederkehrenden Zeilen mit je pgo_224.005
drei sich kreuzenden Reimen. Jede Terzine weist durch den einen oder pgo_224.006
die beiden ihr fehlenden Reime über sich hinaus in die nächste. Es fehlt pgo_224.007
ihr der sichere Abschluß des Sonettes und der Stanze; sie bildet eine in's pgo_224.008
Unendliche fortgehende Kette:

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Durch Trümmer drang ich in des Traums Bethörung, pgo_224.010
Bang ringend, unbewußt nach welchem Ziele; pgo_224.011
Ringsum zu Bergen thürmte sich Zerstörung.
pgo_224.012
Denn stolze Riesenbauten sah ich viele pgo_224.013
Zu Staub zermorscht, die manch Jahrhundert ragten, pgo_224.014
Gesunken, wie die Blume fällt vom Stiele.
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Und stumme Säulen sahn mich an und klagten, pgo_224.016
Jnschriften dran, verlöscht, mühvoller Lesung, pgo_224.017
Die halbes Wort verscholl'ner That mir sagten.
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Sallet.

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Die Terzine ist eine vorzugsweise epische Form, indem sie sich pgo_224.020
gleichsam ohne bestimmten Damm in die Weltweite ergießt. Auch pgo_224.021
eignet sie sich für Reflexionen, für weit ausgesponnene Gedanken, die pgo_224.022
ohne scharfe Einschnitte dem freien Zuge der Jdeeenassociation folgen. pgo_224.023
Dante hat bekanntlich seine divina commedia in Terzinen geschrieben, pgo_224.024
und in der That passen sie zur Darstellung einer Wanderung durch die pgo_224.025
drei Reiche der Ewigkeit, indem sie sowohl in den drei zusammentönenden pgo_224.026
Reimen für ein schilderndes und grübelndes Verweilen einen Halt pgo_224.027
geben, als auch, da jede Strophe durch den fehlenden Reim unfertig pgo_224.028
über sich hinausweist, die immer weiter eilende Wanderschaft treffend pgo_224.029
charakterisiren. Einen "Ahasver" muß man in Terzinen schreiben. pgo_224.030
Für größere epische Gedichte eignen sie sich im Deutschen nicht, ihres pgo_224.031
allzu üppigen Reimes und schleppenden Ganges wegen. Rückert hat pgo_224.032
ein mehr reflektirendes, als episches Gedicht in diesen Versen geschrieben. pgo_224.033
Außerdem haben Platen, Herwegh und Sallet einige wohltönende pgo_224.034
Terzinen verfaßt.

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Der Raum unsers Werkes erlaubt uns nicht, auf andere italienische pgo_224.036
Strophenformen, die Ritornelle, in denen zwei gereimte Jamben

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/246>, abgerufen am 25.11.2024.