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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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die lehrreichsten Schlüsse auf den Charakter des Dichters selbst, auf seine pgo_179.002
ganze geistige Bedeutung machen. Ein Dichter, der in Antithesen dichtet, pgo_179.003
wird ebenso glänzend, wie scharf, ebenso feurig, wie schlagend erscheinen; pgo_179.004
aber er wird nicht zur plastischen Harmonie durchdringen; er wird sich pgo_179.005
nie mit voller Ruhe in die einzelne Erscheinung versenken; er wird immer pgo_179.006
reflektirend ihre gegenseitigen Beziehungen in's Auge fassen; er wird pgo_179.007
mehr ein Poet des Gedankens, als ein Poet der Anschauung, mehr ein pgo_179.008
dramatischer und lyrischer, als epischer Dichter, und in der Lyrik selbst pgo_179.009
wieder mehr Elegiker, als Liederschöpfer sein. So können wir aus der pgo_179.010
kleinen Antithese heraus uns das ganze, großartige und unruhige Gedankenpathos pgo_179.011
unseres größten Dramatikers konstruiren.

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Daß aber die thatsächliche Voraussetzung richtig ist, das beweist jeder pgo_179.013
Blick in Schiller's Dramen und Gedichte. Schlagen wir sie auf, wo pgo_179.014
wir wollen -- wir stoßen überall auf Antithesen z. B.

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Doch dieser große Menschenkenner sinke pgo_179.016
Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit pgo_179.017
Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet. pgo_179.018
Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch pgo_179.019
Ein edler Band, als die Natur es schmiedet. pgo_179.020
Sein schöner Lebenslauf war Liebe -- Liebe pgo_179.021
Für mich sein großer schöner Tod. Mein war er, pgo_179.022
Als Sie mit seiner Achtung groß gethan, pgo_179.023
Als seine scherzende Beredtsamkeit pgo_179.024
Mit Jhrem stolzen Riesengeiste spielte. pgo_179.025
Jhn zu beherrschen wähnten Sie -- und waren pgo_179.026
Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Pläne u. s. f.

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Der ganze dramatische Styl Schiller's ist mit Antithesen, die bald pgo_179.028
leiser angedeutet, bald kräftiger ausgeführt sind, getränkt.

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Der antithetische Gang liegt auch jener Figur des dramatischen Dialogs, pgo_179.030
der sogenannten "Stichiometrie" zu Grunde, der schlagenden pgo_179.031
Rede und Gegenrede in aufeinanderfolgenden Verszeilen. Sie findet pgo_179.032
sich bei den antiken Tragikern und ist von Schiller mit Vorliebe adoptirt pgo_179.033
worden z. B.

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Hermione.

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Was will Dein Stolzsein? Was bezweckt das Wortgefecht, pgo_179.036
Als wärst nur du verständig und ich wär' es nicht?

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Jhn zu beherrschen wähnten Sie — und waren pgo_179.026
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Der ganze dramatische Styl Schiller's ist mit Antithesen, die bald pgo_179.028
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/201>, abgerufen am 22.11.2024.