Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_168.001 4. Die Hyperbel. pgo_168.002 pgo_168.016 Was hat er nicht vollbracht! Bis an die Wogen pgo_168.029 pgo_168.032Des Meers von Tschin wirft einen Pfeil sein Bogen. pgo_168.030 Das Krokodil im tiefsten Wasserschlunde, pgo_168.031 Der Panther stirbt vom Hauch aus seinem Munde. Firdusi. pgo_168.033Jhn ergötzte die blutige Schlacht, pgo_168.034 pgo_168.035Sein Arm war ein Donner des Himmels. Ossian. pgo_168.001 4. Die Hyperbel. pgo_168.002 pgo_168.016 Was hat er nicht vollbracht! Bis an die Wogen pgo_168.029 pgo_168.032Des Meers von Tschin wirft einen Pfeil sein Bogen. pgo_168.030 Das Krokodil im tiefsten Wasserschlunde, pgo_168.031 Der Panther stirbt vom Hauch aus seinem Munde. Firdusi. pgo_168.033Jhn ergötzte die blutige Schlacht, pgo_168.034 pgo_168.035Sein Arm war ein Donner des Himmels. Ossian. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0190" n="168"/> <lb n="pgo_168.001"/> <head> <hi rendition="#c">4. <hi rendition="#g">Die Hyperbel.</hi></hi> </head> <p><lb n="pgo_168.002"/> Die <hi rendition="#g">Hyperbel</hi> ist das Bild, das die Erscheinung über das Maaß <lb n="pgo_168.003"/> der sinnlichen Wahrheit hinaus vergrößert, um dadurch den Gedanken <lb n="pgo_168.004"/> zu erheben und zu verstärken. Die Neigung zum Hyperbolischen ist der <lb n="pgo_168.005"/> menschlichen Natur angeboren; es liegt ebenso vielen gewöhnlichen Höflichkeitsformen <lb n="pgo_168.006"/> zu Grunde, wie es einer lebhaften Empfindung, einer <lb n="pgo_168.007"/> glühenden Leidenschaft, jedem von seinem Gegenstand durchdrungenen <lb n="pgo_168.008"/> Gemüth stets zu Gebote steht. Die Hyperbel setzt allerdings eine Versündigung <lb n="pgo_168.009"/> gegen die sinnliche Wahrheit voraus, welche eine Bedingung <lb n="pgo_168.010"/> der künstlerischen Schönheit ist; aber mit der erregten Seele wachsen auch <lb n="pgo_168.011"/> die Dimensionen ihrer Bilder, und der Vergrößerungsspiegel der Begeisterung <lb n="pgo_168.012"/> und der Leidenschaft zeigt Jedem, der hineinsieht, dasselbe Bild. <lb n="pgo_168.013"/> Diese subjective Wahrheit hat in der Poesie dasselbe Recht, wie die <lb n="pgo_168.014"/> objektive. Je heftiger die Leidenschaft, desto grandioser werden ihre <lb n="pgo_168.015"/> Hyperbeln.</p> <p><lb n="pgo_168.016"/> Wir unterscheiden zunächst die <hi rendition="#g">naive Hyperbel</hi> von der <hi rendition="#g">Hyperbel <lb n="pgo_168.017"/> der Reflexion.</hi> Jn der naiven Hyperbel glaubt die Phantasie <lb n="pgo_168.018"/> selbst an das Uebermaaß der Erscheinung und stellt dies ohne jeden <lb n="pgo_168.019"/> Zusatz als selbstverständlich hin. Diese Hyperbel finden wir in der <lb n="pgo_168.020"/> Symbolik der orientalischen Religionen, besonders der Jndischen, welche <lb n="pgo_168.021"/> durch diese Uebertreibungen des <hi rendition="#g">Bildes</hi> das <hi rendition="#g">Göttliche</hi> würdig darzustellen <lb n="pgo_168.022"/> glaubten. Hierher gehören jene hyperbolischen Zahlen der indischen <lb n="pgo_168.023"/> Mythologie. Hundert Jahre lang liegt Sivas mit Umâ in ehelicher <lb n="pgo_168.024"/> Umarmung; Sagaras hat 60000 Söhne, die in einem Kürbiß zur <lb n="pgo_168.025"/> Welt kommen; Ansumao unterzieht sich 32000 Jahre lang den strengsten <lb n="pgo_168.026"/> Büßungen auf dem Gipfel des Himavàn. Jn ähnlicher naiver Weise <lb n="pgo_168.027"/> rühmen die großen nationalen Volksepen ihre Helden:</p> <lb n="pgo_168.028"/> <lg> <l>Was hat er nicht vollbracht! Bis an die Wogen</l> <lb n="pgo_168.029"/> <l>Des Meers von Tschin wirft einen Pfeil sein Bogen.</l> <lb n="pgo_168.030"/> <l>Das Krokodil im tiefsten Wasserschlunde,</l> <lb n="pgo_168.031"/> <l>Der Panther stirbt vom Hauch aus seinem Munde.</l> </lg> <lb n="pgo_168.032"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Firdusi</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_168.033"/> <lg> <l>Jhn ergötzte die blutige Schlacht,</l> <lb n="pgo_168.034"/> <l>Sein Arm war ein Donner des Himmels.</l> </lg> <lb n="pgo_168.035"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Ossian</hi>.</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [168/0190]
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4. Die Hyperbel. pgo_168.002
Die Hyperbel ist das Bild, das die Erscheinung über das Maaß pgo_168.003
der sinnlichen Wahrheit hinaus vergrößert, um dadurch den Gedanken pgo_168.004
zu erheben und zu verstärken. Die Neigung zum Hyperbolischen ist der pgo_168.005
menschlichen Natur angeboren; es liegt ebenso vielen gewöhnlichen Höflichkeitsformen pgo_168.006
zu Grunde, wie es einer lebhaften Empfindung, einer pgo_168.007
glühenden Leidenschaft, jedem von seinem Gegenstand durchdrungenen pgo_168.008
Gemüth stets zu Gebote steht. Die Hyperbel setzt allerdings eine Versündigung pgo_168.009
gegen die sinnliche Wahrheit voraus, welche eine Bedingung pgo_168.010
der künstlerischen Schönheit ist; aber mit der erregten Seele wachsen auch pgo_168.011
die Dimensionen ihrer Bilder, und der Vergrößerungsspiegel der Begeisterung pgo_168.012
und der Leidenschaft zeigt Jedem, der hineinsieht, dasselbe Bild. pgo_168.013
Diese subjective Wahrheit hat in der Poesie dasselbe Recht, wie die pgo_168.014
objektive. Je heftiger die Leidenschaft, desto grandioser werden ihre pgo_168.015
Hyperbeln.
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Wir unterscheiden zunächst die naive Hyperbel von der Hyperbel pgo_168.017
der Reflexion. Jn der naiven Hyperbel glaubt die Phantasie pgo_168.018
selbst an das Uebermaaß der Erscheinung und stellt dies ohne jeden pgo_168.019
Zusatz als selbstverständlich hin. Diese Hyperbel finden wir in der pgo_168.020
Symbolik der orientalischen Religionen, besonders der Jndischen, welche pgo_168.021
durch diese Uebertreibungen des Bildes das Göttliche würdig darzustellen pgo_168.022
glaubten. Hierher gehören jene hyperbolischen Zahlen der indischen pgo_168.023
Mythologie. Hundert Jahre lang liegt Sivas mit Umâ in ehelicher pgo_168.024
Umarmung; Sagaras hat 60000 Söhne, die in einem Kürbiß zur pgo_168.025
Welt kommen; Ansumao unterzieht sich 32000 Jahre lang den strengsten pgo_168.026
Büßungen auf dem Gipfel des Himavàn. Jn ähnlicher naiver Weise pgo_168.027
rühmen die großen nationalen Volksepen ihre Helden:
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Was hat er nicht vollbracht! Bis an die Wogen pgo_168.029
Des Meers von Tschin wirft einen Pfeil sein Bogen. pgo_168.030
Das Krokodil im tiefsten Wasserschlunde, pgo_168.031
Der Panther stirbt vom Hauch aus seinem Munde.
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Firdusi.
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Jhn ergötzte die blutige Schlacht, pgo_168.034
Sein Arm war ein Donner des Himmels.
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Ossian.
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