die nie Hohn mit den Bauern getrieben; sie erzählten, wie schrecklich es gegangen. Das Gefühl, daß den Rittern ihr Recht geschehen, tröstete aber die Bauern nicht, der Schreck ward immer größer, gräßlicher. Mancher suchte zu fliehen. Die Einen wollten das Thal verlassen, aber gerade die fielen der Spinne zu. Auf dem Wege fand man ihre Leichname. Andere flohen auf die hohen Berge, aber droben vor ihnen war die Spinne, und wenn sie sich gerettet glaubten, so saß ihnen die Spinne im Nacken oder im Gesicht. Das Unthier ward immer boshafter, immer teuflischer. Es überraschte nicht mehr unerwartet, brannte nicht mehr unversehens den Tod ein; es saß vor dem Menschen im Grase, hing über ihm am Baume, glotzte giftig ihn an. Dann floh der Mensch, so weit seine Füße ihn trugen, und stund er athemlos stille, so saß die Spinne vor ihm, und glotzte giftig ihn an. Floh er abermal, und mußte er abermals die Schritte hemmen, so saß sie wieder vor ihm, und konnte er nicht mehr fliehen, dann erst kroch sie langsam an ihn heran und gab ihm den Tod. Da versuchte wohl Mancher in der Verzweiflung Wider¬ stand, und ob die Spinne nicht zu tödten sei; warf zentnerige Steine auf sie, wenn sie vor ihm im Grase saß, schlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr; aber Alles war umsonst, der schwerste Stein erdrückte sie nicht, das schärfste Beil verletzte sie nicht, unversehens saß sie dem Menschen im Gesicht, unversehrt kroch sie an ihn heran. Flucht, Widerstand, alles war eitel. Da ging alles Hoffen aus, und Verzweiflung füllte das Thal, saß auf den Bergen.
"Ein einziges Haus hatte das Unthier bis dahin verschont, und war nie in demselben erschienen; es war das Haus, in welchem Christine gewohnt, aus welchem
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die nie Hohn mit den Bauern getrieben; ſie erzählten, wie ſchrecklich es gegangen. Das Gefühl, daß den Rittern ihr Recht geſchehen, tröſtete aber die Bauern nicht, der Schreck ward immer größer, gräßlicher. Mancher ſuchte zu fliehen. Die Einen wollten das Thal verlaſſen, aber gerade die fielen der Spinne zu. Auf dem Wege fand man ihre Leichname. Andere flohen auf die hohen Berge, aber droben vor ihnen war die Spinne, und wenn ſie ſich gerettet glaubten, ſo ſaß ihnen die Spinne im Nacken oder im Geſicht. Das Unthier ward immer boshafter, immer teufliſcher. Es überraſchte nicht mehr unerwartet, brannte nicht mehr unverſehens den Tod ein; es ſaß vor dem Menſchen im Graſe, hing über ihm am Baume, glotzte giftig ihn an. Dann floh der Menſch, ſo weit ſeine Füße ihn trugen, und ſtund er athemlos ſtille, ſo ſaß die Spinne vor ihm, und glotzte giftig ihn an. Floh er abermal, und mußte er abermals die Schritte hemmen, ſo ſaß ſie wieder vor ihm, und konnte er nicht mehr fliehen, dann erſt kroch ſie langſam an ihn heran und gab ihm den Tod. Da verſuchte wohl Mancher in der Verzweiflung Wider¬ ſtand, und ob die Spinne nicht zu tödten ſei; warf zentnerige Steine auf ſie, wenn ſie vor ihm im Graſe ſaß, ſchlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr; aber Alles war umſonſt, der ſchwerſte Stein erdrückte ſie nicht, das ſchärfſte Beil verletzte ſie nicht, unverſehens ſaß ſie dem Menſchen im Geſicht, unverſehrt kroch ſie an ihn heran. Flucht, Widerſtand, alles war eitel. Da ging alles Hoffen aus, und Verzweiflung füllte das Thal, ſaß auf den Bergen.
„Ein einziges Haus hatte das Unthier bis dahin verſchont, und war nie in demſelben erſchienen; es war das Haus, in welchem Chriſtine gewohnt, aus welchem
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die nie Hohn mit den Bauern getrieben; ſie erzählten,
wie ſchrecklich es gegangen. Das Gefühl, daß den
Rittern ihr Recht geſchehen, tröſtete aber die Bauern
nicht, der Schreck ward immer größer, gräßlicher.
Mancher ſuchte zu fliehen. Die Einen wollten das Thal
verlaſſen, aber gerade die fielen der Spinne zu. Auf
dem Wege fand man ihre Leichname. Andere flohen auf
die hohen Berge, aber droben vor ihnen war die Spinne,
und wenn ſie ſich gerettet glaubten, ſo ſaß ihnen die
Spinne im Nacken oder im Geſicht. Das Unthier ward
immer boshafter, immer teufliſcher. Es überraſchte nicht
mehr unerwartet, brannte nicht mehr unverſehens den
Tod ein; es ſaß vor dem Menſchen im Graſe, hing
über ihm am Baume, glotzte giftig ihn an. Dann floh
der Menſch, ſo weit ſeine Füße ihn trugen, und ſtund
er athemlos ſtille, ſo ſaß die Spinne vor ihm, und
glotzte giftig ihn an. Floh er abermal, und mußte er
abermals die Schritte hemmen, ſo ſaß ſie wieder vor
ihm, und konnte er nicht mehr fliehen, dann erſt kroch
ſie langſam an ihn heran und gab ihm den Tod.
Da verſuchte wohl Mancher in der Verzweiflung Wider¬
ſtand, und ob die Spinne nicht zu tödten ſei; warf
zentnerige Steine auf ſie, wenn ſie vor ihm im Graſe
ſaß, ſchlug mit Keulen, mit Beilen nach ihr; aber
Alles war umſonſt, der ſchwerſte Stein erdrückte ſie
nicht, das ſchärfſte Beil verletzte ſie nicht, unverſehens
ſaß ſie dem Menſchen im Geſicht, unverſehrt kroch ſie
an ihn heran. Flucht, Widerſtand, alles war eitel.
Da ging alles Hoffen aus, und Verzweiflung füllte
das Thal, ſaß auf den Bergen.
„Ein einziges Haus hatte das Unthier bis dahin
verſchont, und war nie in demſelben erſchienen; es war
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/91>, abgerufen am 16.06.2024.
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