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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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an, da man gesandt, bis daß er kam, und das arme
Weib hatte keinen zuverlässigern Boten als den eignen
Mann, der ihm Schutz und Wache sein sollte; und
sie wohnte dazu noch mit Christine in einem Hause
und ihre Männer waren Brüder und keine eigenen
Verwandte hatte sie; als Waise war sie ins Haus
gekommen! Man kann sich des armen Weibes Her¬
zensangst denken, nur im Beten mit der frommen
Mutter fand sie einiges Vertrauen, das allsobald wie¬
der schwand, sobald sie in die bösen Augen sah.

"Unterdessen war die Krankheit noch immer da; sie
unterhielt den Schrecken. Freilich nur hie und da fiel ein
Stück, nur selten zeigten sich die Spinnen. Aber sobald
bei Jemand der Schreck nachließ, sobald irgend einer
dachte oder sagte: das Uebel lasse von selbsten nach und
man sollte sich wohl bedenken, ehe man an einem Kinde
sich versündige, so nahm Christinens Höllenpein zu,
die Spinne blähte sich hoch auf, und dem der so ge¬
dacht oder geredet, kehrte mit neuer Wuth der Tod in
seine Herde ein. Je näher die erwartete Stunde kam,
um so mehr schien die Noth wieder zuzunehmen, und
sie erkannten, daß sie bestimmte Abrede treffen müßten,
wie sie des Kindes sicher und sonder Fehl sich bemäch¬
tigen könnten. Den Mann fürchteten sie am meisten,
und Gewalt gegen ihn zu brauchen, war ihnen zuwi¬
der. Da übernahm Christine ihn zu gewinnen, und
sie gewann ihn. Er wollte um die Sache nicht wissen,
seinem Weibe zu Willen sein, den Priester holen, aber
nicht eilen, und was in seiner Abwesenheit vorgehe,
darnach wolle er nicht fragen; so fand er sich mit sei¬
nem Gewissen ab; mit Gott wollte er sich durch Mes¬
sen abfinden, und für des armen Kindes Seele sei
vielleicht auch noch etwas zu thun, dachte er, vielleicht

an, da man geſandt, bis daß er kam, und das arme
Weib hatte keinen zuverläſſigern Boten als den eignen
Mann, der ihm Schutz und Wache ſein ſollte; und
ſie wohnte dazu noch mit Chriſtine in einem Hauſe
und ihre Männer waren Brüder und keine eigenen
Verwandte hatte ſie; als Waiſe war ſie ins Haus
gekommen! Man kann ſich des armen Weibes Her¬
zensangſt denken, nur im Beten mit der frommen
Mutter fand ſie einiges Vertrauen, das allſobald wie¬
der ſchwand, ſobald ſie in die böſen Augen ſah.

„Unterdeſſen war die Krankheit noch immer da; ſie
unterhielt den Schrecken. Freilich nur hie und da fiel ein
Stück, nur ſelten zeigten ſich die Spinnen. Aber ſobald
bei Jemand der Schreck nachließ, ſobald irgend einer
dachte oder ſagte: das Uebel laſſe von ſelbſten nach und
man ſollte ſich wohl bedenken, ehe man an einem Kinde
ſich verſündige, ſo nahm Chriſtinens Höllenpein zu,
die Spinne blähte ſich hoch auf, und dem der ſo ge¬
dacht oder geredet, kehrte mit neuer Wuth der Tod in
ſeine Herde ein. Je näher die erwartete Stunde kam,
um ſo mehr ſchien die Noth wieder zuzunehmen, und
ſie erkannten, daß ſie beſtimmte Abrede treffen müßten,
wie ſie des Kindes ſicher und ſonder Fehl ſich bemäch¬
tigen könnten. Den Mann fürchteten ſie am meiſten,
und Gewalt gegen ihn zu brauchen, war ihnen zuwi¬
der. Da übernahm Chriſtine ihn zu gewinnen, und
ſie gewann ihn. Er wollte um die Sache nicht wiſſen,
ſeinem Weibe zu Willen ſein, den Prieſter holen, aber
nicht eilen, und was in ſeiner Abweſenheit vorgehe,
darnach wolle er nicht fragen; ſo fand er ſich mit ſei¬
nem Gewiſſen ab; mit Gott wollte er ſich durch Meſ¬
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vielleicht auch noch etwas zu thun, dachte er, vielleicht

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[64/0074] an, da man geſandt, bis daß er kam, und das arme Weib hatte keinen zuverläſſigern Boten als den eignen Mann, der ihm Schutz und Wache ſein ſollte; und ſie wohnte dazu noch mit Chriſtine in einem Hauſe und ihre Männer waren Brüder und keine eigenen Verwandte hatte ſie; als Waiſe war ſie ins Haus gekommen! Man kann ſich des armen Weibes Her¬ zensangſt denken, nur im Beten mit der frommen Mutter fand ſie einiges Vertrauen, das allſobald wie¬ der ſchwand, ſobald ſie in die böſen Augen ſah. „Unterdeſſen war die Krankheit noch immer da; ſie unterhielt den Schrecken. Freilich nur hie und da fiel ein Stück, nur ſelten zeigten ſich die Spinnen. Aber ſobald bei Jemand der Schreck nachließ, ſobald irgend einer dachte oder ſagte: das Uebel laſſe von ſelbſten nach und man ſollte ſich wohl bedenken, ehe man an einem Kinde ſich verſündige, ſo nahm Chriſtinens Höllenpein zu, die Spinne blähte ſich hoch auf, und dem der ſo ge¬ dacht oder geredet, kehrte mit neuer Wuth der Tod in ſeine Herde ein. Je näher die erwartete Stunde kam, um ſo mehr ſchien die Noth wieder zuzunehmen, und ſie erkannten, daß ſie beſtimmte Abrede treffen müßten, wie ſie des Kindes ſicher und ſonder Fehl ſich bemäch¬ tigen könnten. Den Mann fürchteten ſie am meiſten, und Gewalt gegen ihn zu brauchen, war ihnen zuwi¬ der. Da übernahm Chriſtine ihn zu gewinnen, und ſie gewann ihn. Er wollte um die Sache nicht wiſſen, ſeinem Weibe zu Willen ſein, den Prieſter holen, aber nicht eilen, und was in ſeiner Abweſenheit vorgehe, darnach wolle er nicht fragen; ſo fand er ſich mit ſei¬ nem Gewiſſen ab; mit Gott wollte er ſich durch Meſ¬ ſen abfinden, und für des armen Kindes Seele ſei vielleicht auch noch etwas zu thun, dachte er, vielleicht

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/74>, abgerufen am 22.11.2024.