Männern ihre übereilte Flucht vor und wie Keiner um ein arm Weib sich bekümmert, und Keiner sich umge¬ sehen, was der Grüne mit ihr beginne. Da brach der Sturm der Neugierde aus, und Jeder wollte zuerst wissen, was nun der Grüne mit ihr angefangen, und die Hintersten hoben sich hoch auf, um besser zu hören und die Frau näher zu sehen, die dem Grünen so nahe gestanden. Sie sollte nichts sagen, meinte Christine zuerst, man hätte es nicht um sie verdient, als Fremde sie übel geplaget im Thale, die Weiber ihr einen übeln Namen angehängt, die Männer sie allenthalben im Stiche gelassen, und wenn sie nicht besser gesinnet wäre als Alle und wenn sie nicht mehr Muth als Alle hätte, so wäre noch jetzt weder Trost noch Ausweg da. So redete Christine noch lange, warf harte Worte gegen die Weiber, die ihr nie hätten glauben wollen, daß der Bodensee größer sei als der Schloßteich, und je mehr man ihr anhielt, um so härter schien sie zu werden, und stützte sich besondes darauf, daß, was sie zu sagen hätte, man ihr übel auslegen, und wenn die Sache gut käme, ihr keinen Dank haben werde, käme sie aber übel, so lüde man ihr alle Schuld auf und die ganze Ver¬ antwortung.
"Als endlich die ganze Versammlung vor Christine wie auf den Knieen lag, mit Bitten und Flehen und die Verwundeten laut aufschrien und anhielten, da schien Christine zu erweichen und begann zu erzählen, wie sie Stand gehalten und mit dem Grünen Abrede getroffen; aber von dem Kusse sagte sie nichts, nichts davon, wie er sie auf der Wange gebrannt, und wie es ihr getoset im Gemüthe. Aber sie erzählte, was sie seit¬ her gesinnet im verschlagenen Gemüthe. Das Wich¬ tigste sei, daß die Buchen nach Bärhegen geschafft wür¬
Männern ihre übereilte Flucht vor und wie Keiner um ein arm Weib ſich bekümmert, und Keiner ſich umge¬ ſehen, was der Grüne mit ihr beginne. Da brach der Sturm der Neugierde aus, und Jeder wollte zuerſt wiſſen, was nun der Grüne mit ihr angefangen, und die Hinterſten hoben ſich hoch auf, um beſſer zu hören und die Frau näher zu ſehen, die dem Grünen ſo nahe geſtanden. Sie ſollte nichts ſagen, meinte Chriſtine zuerſt, man hätte es nicht um ſie verdient, als Fremde ſie übel geplaget im Thale, die Weiber ihr einen übeln Namen angehängt, die Männer ſie allenthalben im Stiche gelaſſen, und wenn ſie nicht beſſer geſinnet wäre als Alle und wenn ſie nicht mehr Muth als Alle hätte, ſo wäre noch jetzt weder Troſt noch Ausweg da. So redete Chriſtine noch lange, warf harte Worte gegen die Weiber, die ihr nie hätten glauben wollen, daß der Bodenſee größer ſei als der Schloßteich, und je mehr man ihr anhielt, um ſo härter ſchien ſie zu werden, und ſtützte ſich beſondes darauf, daß, was ſie zu ſagen hätte, man ihr übel auslegen, und wenn die Sache gut käme, ihr keinen Dank haben werde, käme ſie aber übel, ſo lüde man ihr alle Schuld auf und die ganze Ver¬ antwortung.
„Als endlich die ganze Verſammlung vor Chriſtine wie auf den Knieen lag, mit Bitten und Flehen und die Verwundeten laut aufſchrien und anhielten, da ſchien Chriſtine zu erweichen und begann zu erzählen, wie ſie Stand gehalten und mit dem Grünen Abrede getroffen; aber von dem Kuſſe ſagte ſie nichts, nichts davon, wie er ſie auf der Wange gebrannt, und wie es ihr getoſet im Gemüthe. Aber ſie erzählte, was ſie ſeit¬ her geſinnet im verſchlagenen Gemüthe. Das Wich¬ tigſte ſei, daß die Buchen nach Bärhegen geſchafft wür¬
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Männern ihre übereilte Flucht vor und wie Keiner um
ein arm Weib ſich bekümmert, und Keiner ſich umge¬
ſehen, was der Grüne mit ihr beginne. Da brach der
Sturm der Neugierde aus, und Jeder wollte zuerſt
wiſſen, was nun der Grüne mit ihr angefangen, und
die Hinterſten hoben ſich hoch auf, um beſſer zu hören
und die Frau näher zu ſehen, die dem Grünen ſo nahe
geſtanden. Sie ſollte nichts ſagen, meinte Chriſtine
zuerſt, man hätte es nicht um ſie verdient, als Fremde
ſie übel geplaget im Thale, die Weiber ihr einen übeln
Namen angehängt, die Männer ſie allenthalben im
Stiche gelaſſen, und wenn ſie nicht beſſer geſinnet wäre
als Alle und wenn ſie nicht mehr Muth als Alle hätte,
ſo wäre noch jetzt weder Troſt noch Ausweg da. So
redete Chriſtine noch lange, warf harte Worte gegen
die Weiber, die ihr nie hätten glauben wollen, daß der
Bodenſee größer ſei als der Schloßteich, und je mehr
man ihr anhielt, um ſo härter ſchien ſie zu werden,
und ſtützte ſich beſondes darauf, daß, was ſie zu ſagen
hätte, man ihr übel auslegen, und wenn die Sache gut
käme, ihr keinen Dank haben werde, käme ſie aber übel,
ſo lüde man ihr alle Schuld auf und die ganze Ver¬
antwortung.
„Als endlich die ganze Verſammlung vor Chriſtine
wie auf den Knieen lag, mit Bitten und Flehen und
die Verwundeten laut aufſchrien und anhielten, da ſchien
Chriſtine zu erweichen und begann zu erzählen, wie ſie
Stand gehalten und mit dem Grünen Abrede getroffen;
aber von dem Kuſſe ſagte ſie nichts, nichts davon,
wie er ſie auf der Wange gebrannt, und wie es ihr
getoſet im Gemüthe. Aber ſie erzählte, was ſie ſeit¬
her geſinnet im verſchlagenen Gemüthe. Das Wich¬
tigſte ſei, daß die Buchen nach Bärhegen geſchafft wür¬
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/55>, abgerufen am 16.06.2024.
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