es dann wieder vom Hause wegzuschenken; aber dort, und mit dem Finger zeigte er nach einer Waldecke hin, seien noch Respen, da könne es seinetwegen ein Bün¬ deli nehmen. Da goß die Freude dem armen Mar¬ grithli wieder etwas Wärme in seine kalten Beinchen im dünnen Kitteli, und so schnell es ihm seine bösen Schuhe erlaubten, eilte es dem Walde zu. Dort fand es einen ganzen Haufen buchige Respen und das Herz im Leibe lachte ihm; es ward aber bald wieder trau¬ rig, als es sah, wie wenig es davon wegzuschleifen vermochte. Es nahm fast über seine Kräfte, es hoffte, einmal auf dem Wege, wohl damit fortzukommen. Aber auch da wollte es nicht rücken; es dünkte ihns, es möge je länger, je weniger. Die Kälte schien ihm immer tiefer in sein Leibchen zu dringen. Die Glieder wurden ihm so schwer, der ganze Leib so matt und über die Augen legte sich ein immer gewaltigeres Ge¬ wicht, das sie zudrücken wollte, und immer mehr wuchs die Lust, ein Stücklein zu schlafen. Aber dann sah es den kalten Vater daheim, fühlte das kalte Stübchen; dann wurden ihm die Augen etwas leichter und einen neuen Ruck that es an seinen Respen.
"Und vor ihm her auf dem Wege hüpften und flatterten zwei gelbe Vögelein; sie warteten fast bis es an ihnen an war, dann flogen sie nur einige Schritte weiter und sahen ihns so freundlich an, als ob sie sagen wollten: Komm nur, komm, wir kommen im¬ mer näher deinem armen Vater. Ach, dachte das arme Kind, wenn ich doch nur Fecken hätte wie sie, daß ich heim fliegen könnte, oder daß die Vögelein mich ver¬ stehen würden, dann wollte ich eines heimsenden, der Mutter zu sagen, wo ihr Margrithli sei, und wie kalt ihm sei und wie schwer die Augen.
I. 10
es dann wieder vom Hauſe wegzuſchenken; aber dort, und mit dem Finger zeigte er nach einer Waldecke hin, ſeien noch Reſpen, da könne es ſeinetwegen ein Bün¬ deli nehmen. Da goß die Freude dem armen Mar¬ grithli wieder etwas Wärme in ſeine kalten Beinchen im dünnen Kitteli, und ſo ſchnell es ihm ſeine böſen Schuhe erlaubten, eilte es dem Walde zu. Dort fand es einen ganzen Haufen buchige Respen und das Herz im Leibe lachte ihm; es ward aber bald wieder trau¬ rig, als es ſah, wie wenig es davon wegzuſchleifen vermochte. Es nahm faſt über ſeine Kräfte, es hoffte, einmal auf dem Wege, wohl damit fortzukommen. Aber auch da wollte es nicht rücken; es dünkte ihns, es möge je länger, je weniger. Die Kälte ſchien ihm immer tiefer in ſein Leibchen zu dringen. Die Glieder wurden ihm ſo ſchwer, der ganze Leib ſo matt und über die Augen legte ſich ein immer gewaltigeres Ge¬ wicht, das ſie zudrücken wollte, und immer mehr wuchs die Luſt, ein Stücklein zu ſchlafen. Aber dann ſah es den kalten Vater daheim, fühlte das kalte Stübchen; dann wurden ihm die Augen etwas leichter und einen neuen Ruck that es an ſeinen Respen.
„Und vor ihm her auf dem Wege hüpften und flatterten zwei gelbe Vögelein; ſie warteten faſt bis es an ihnen an war, dann flogen ſie nur einige Schritte weiter und ſahen ihns ſo freundlich an, als ob ſie ſagen wollten: Komm nur, komm, wir kommen im¬ mer näher deinem armen Vater. Ach, dachte das arme Kind, wenn ich doch nur Fecken hätte wie ſie, daß ich heim fliegen könnte, oder daß die Vögelein mich ver¬ ſtehen würden, dann wollte ich eines heimſenden, der Mutter zu ſagen, wo ihr Margrithli ſei, und wie kalt ihm ſei und wie ſchwer die Augen.
I. 10
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0155"n="145"/>
es dann wieder vom Hauſe wegzuſchenken; aber dort,<lb/>
und mit dem Finger zeigte er nach einer Waldecke hin,<lb/>ſeien noch Reſpen, da könne es ſeinetwegen ein Bün¬<lb/>
deli nehmen. Da goß die Freude dem armen Mar¬<lb/>
grithli wieder etwas Wärme in ſeine kalten Beinchen<lb/>
im dünnen Kitteli, und ſo ſchnell es ihm ſeine böſen<lb/>
Schuhe erlaubten, eilte es dem Walde zu. Dort fand<lb/>
es einen ganzen Haufen buchige Respen und das<lb/>
Herz im Leibe lachte ihm; es ward aber bald wieder trau¬<lb/>
rig, als es ſah, wie wenig es davon wegzuſchleifen<lb/>
vermochte. Es nahm faſt über ſeine Kräfte, es hoffte,<lb/>
einmal auf dem Wege, wohl damit fortzukommen.<lb/>
Aber auch da wollte es nicht rücken; es dünkte ihns,<lb/>
es möge je länger, je weniger. Die Kälte ſchien ihm<lb/>
immer tiefer in ſein Leibchen zu dringen. Die Glieder<lb/>
wurden ihm ſo ſchwer, der ganze Leib ſo matt und<lb/>
über die Augen legte ſich ein immer gewaltigeres Ge¬<lb/>
wicht, das ſie zudrücken wollte, und immer mehr wuchs<lb/>
die Luſt, ein Stücklein zu ſchlafen. Aber dann ſah es<lb/>
den kalten Vater daheim, fühlte das kalte Stübchen;<lb/>
dann wurden ihm die Augen etwas leichter und einen<lb/>
neuen Ruck that es an ſeinen Respen.</p><lb/><p>„Und vor ihm her auf dem Wege hüpften und<lb/>
flatterten zwei gelbe Vögelein; ſie warteten faſt bis es<lb/>
an ihnen an war, dann flogen ſie nur einige Schritte<lb/>
weiter und ſahen ihns ſo freundlich an, als ob ſie<lb/>ſagen wollten: Komm nur, komm, wir kommen im¬<lb/>
mer näher deinem armen Vater. Ach, dachte das arme<lb/>
Kind, wenn ich doch nur Fecken hätte wie ſie, daß ich<lb/>
heim fliegen könnte, oder daß die Vögelein mich ver¬<lb/>ſtehen würden, dann wollte ich eines heimſenden, der<lb/>
Mutter zu ſagen, wo ihr Margrithli ſei, und wie kalt<lb/>
ihm ſei und wie ſchwer die Augen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">I</hi>. 10<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[145/0155]
es dann wieder vom Hauſe wegzuſchenken; aber dort,
und mit dem Finger zeigte er nach einer Waldecke hin,
ſeien noch Reſpen, da könne es ſeinetwegen ein Bün¬
deli nehmen. Da goß die Freude dem armen Mar¬
grithli wieder etwas Wärme in ſeine kalten Beinchen
im dünnen Kitteli, und ſo ſchnell es ihm ſeine böſen
Schuhe erlaubten, eilte es dem Walde zu. Dort fand
es einen ganzen Haufen buchige Respen und das
Herz im Leibe lachte ihm; es ward aber bald wieder trau¬
rig, als es ſah, wie wenig es davon wegzuſchleifen
vermochte. Es nahm faſt über ſeine Kräfte, es hoffte,
einmal auf dem Wege, wohl damit fortzukommen.
Aber auch da wollte es nicht rücken; es dünkte ihns,
es möge je länger, je weniger. Die Kälte ſchien ihm
immer tiefer in ſein Leibchen zu dringen. Die Glieder
wurden ihm ſo ſchwer, der ganze Leib ſo matt und
über die Augen legte ſich ein immer gewaltigeres Ge¬
wicht, das ſie zudrücken wollte, und immer mehr wuchs
die Luſt, ein Stücklein zu ſchlafen. Aber dann ſah es
den kalten Vater daheim, fühlte das kalte Stübchen;
dann wurden ihm die Augen etwas leichter und einen
neuen Ruck that es an ſeinen Respen.
„Und vor ihm her auf dem Wege hüpften und
flatterten zwei gelbe Vögelein; ſie warteten faſt bis es
an ihnen an war, dann flogen ſie nur einige Schritte
weiter und ſahen ihns ſo freundlich an, als ob ſie
ſagen wollten: Komm nur, komm, wir kommen im¬
mer näher deinem armen Vater. Ach, dachte das arme
Kind, wenn ich doch nur Fecken hätte wie ſie, daß ich
heim fliegen könnte, oder daß die Vögelein mich ver¬
ſtehen würden, dann wollte ich eines heimſenden, der
Mutter zu ſagen, wo ihr Margrithli ſei, und wie kalt
ihm ſei und wie ſchwer die Augen.
I. 10
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/155>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.