ten nicht mehr zu entlehnen, und immer elender ward der Vater, und immer kälter wurden seine Beine und seine Backen, wenn sie auch Alles auf ihn deckten, was sie vermochten. Da hielt es Margrithli nicht mehr aus in diesem Jammer. Es dachte, der liebe Gott werde sicher nicht zürnen, wenn es betteln gehe in dieser Noth; er habe ja so vielen Leuten gute Herzen gegeben und Reichthum, damit sie armen Kindern hülfen, wenn der Aetti oder das Müeti krank seien. Es schlich sich leise wieder zur Thüre hinaus in die strenge Kälte, und doch wollte es nicht in der Nähe betteln, nicht einmal bei der guten Frau, die ihm Kirschen gegeben hatte. Ins nächste Dorf wollte es gehen, da werden doch auch gute Leute wohnen, die ihm Holz gäben oder einen Kreuzer Geld, um solches zu kaufen. Ach es fror es ganz grausam, das arme Meiteli, als es recht an den Bysluft kam. Es hatte nichts an als ein durchsichtiges Hemmeli, ein dünnes indienniges Tschöpeli, ein böses kurzes Kitteli, abgeschabte Strümpfchen und ausgetrap¬ pete Schuhe, wo bei jedem Tritt die blutti Fersere an die Kälte kam, kein Gloschli, kein Pfäffli, keine Händschli, die kalten Hände hatte es unter seinem baueligen Schäu¬ beli, aber wärmen konnte es sie da nicht. So lief es dem nächsten Dorfe zu, und je näher es ihm kam, desto ängster wurde ihm; es hatte noch nie gebettelt bei fremden Leuten. Und als es zum ersten Hause kam, da durfte es fast nicht döppeln und döppelte so leise, daß man es lange nicht hörte, und als man endlich kam, da redete es so leise, daß die Frau es lange nicht verstund, am kalten Bysluft ungeduldig wurde, es an¬ schnauzte, wenn es ihr das Maul nicht gönnen möge, so söll es sie wyter gheie, und die Küchenthür wieder zuschlug. Es durfte nun fast gar nicht zum nächsten
ten nicht mehr zu entlehnen, und immer elender ward der Vater, und immer kälter wurden ſeine Beine und ſeine Backen, wenn ſie auch Alles auf ihn deckten, was ſie vermochten. Da hielt es Margrithli nicht mehr aus in dieſem Jammer. Es dachte, der liebe Gott werde ſicher nicht zürnen, wenn es betteln gehe in dieſer Noth; er habe ja ſo vielen Leuten gute Herzen gegeben und Reichthum, damit ſie armen Kindern hülfen, wenn der Aetti oder das Müeti krank ſeien. Es ſchlich ſich leiſe wieder zur Thüre hinaus in die ſtrenge Kälte, und doch wollte es nicht in der Nähe betteln, nicht einmal bei der guten Frau, die ihm Kirſchen gegeben hatte. Ins nächſte Dorf wollte es gehen, da werden doch auch gute Leute wohnen, die ihm Holz gäben oder einen Kreuzer Geld, um ſolches zu kaufen. Ach es fror es ganz grauſam, das arme Meiteli, als es recht an den Bysluft kam. Es hatte nichts an als ein durchſichtiges Hemmeli, ein dünnes indienniges Tſchöpeli, ein böſes kurzes Kitteli, abgeſchabte Strümpfchen und ausgetrap¬ pete Schuhe, wo bei jedem Tritt die blutti Ferſere an die Kälte kam, kein Gloſchli, kein Pfäffli, keine Händſchli, die kalten Hände hatte es unter ſeinem baueligen Schäu¬ beli, aber wärmen konnte es ſie da nicht. So lief es dem nächſten Dorfe zu, und je näher es ihm kam, deſto ängſter wurde ihm; es hatte noch nie gebettelt bei fremden Leuten. Und als es zum erſten Hauſe kam, da durfte es faſt nicht döppeln und döppelte ſo leiſe, daß man es lange nicht hörte, und als man endlich kam, da redete es ſo leiſe, daß die Frau es lange nicht verſtund, am kalten Bysluft ungeduldig wurde, es an¬ ſchnauzte, wenn es ihr das Maul nicht gönnen möge, ſo ſöll es ſie wyter gheie, und die Küchenthür wieder zuſchlug. Es durfte nun faſt gar nicht zum nächſten
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ten nicht mehr zu entlehnen, und immer elender ward
der Vater, und immer kälter wurden ſeine Beine und
ſeine Backen, wenn ſie auch Alles auf ihn deckten, was
ſie vermochten. Da hielt es Margrithli nicht mehr aus
in dieſem Jammer. Es dachte, der liebe Gott werde
ſicher nicht zürnen, wenn es betteln gehe in dieſer Noth;
er habe ja ſo vielen Leuten gute Herzen gegeben und
Reichthum, damit ſie armen Kindern hülfen, wenn der
Aetti oder das Müeti krank ſeien. Es ſchlich ſich leiſe
wieder zur Thüre hinaus in die ſtrenge Kälte, und doch
wollte es nicht in der Nähe betteln, nicht einmal bei
der guten Frau, die ihm Kirſchen gegeben hatte. Ins
nächſte Dorf wollte es gehen, da werden doch auch
gute Leute wohnen, die ihm Holz gäben oder einen
Kreuzer Geld, um ſolches zu kaufen. Ach es fror es
ganz grauſam, das arme Meiteli, als es recht an den
Bysluft kam. Es hatte nichts an als ein durchſichtiges
Hemmeli, ein dünnes indienniges Tſchöpeli, ein böſes
kurzes Kitteli, abgeſchabte Strümpfchen und ausgetrap¬
pete Schuhe, wo bei jedem Tritt die blutti Ferſere an die
Kälte kam, kein Gloſchli, kein Pfäffli, keine Händſchli,
die kalten Hände hatte es unter ſeinem baueligen Schäu¬
beli, aber wärmen konnte es ſie da nicht. So lief es
dem nächſten Dorfe zu, und je näher es ihm kam, deſto
ängſter wurde ihm; es hatte noch nie gebettelt bei
fremden Leuten. Und als es zum erſten Hauſe kam,
da durfte es faſt nicht döppeln und döppelte ſo leiſe,
daß man es lange nicht hörte, und als man endlich
kam, da redete es ſo leiſe, daß die Frau es lange nicht
verſtund, am kalten Bysluft ungeduldig wurde, es an¬
ſchnauzte, wenn es ihr das Maul nicht gönnen möge,
ſo ſöll es ſie wyter gheie, und die Küchenthür wieder
zuſchlug. Es durfte nun faſt gar nicht zum nächſten
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/153>, abgerufen am 16.06.2024.
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