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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.

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in Nacht war das grause Bild versunken, im Donner
der Fluth hörte man es an sich vorüber fahren.

Endlich, schon 10 Uhr wars, nahmen die Wasser
ab; die größte Gefahr war vorüber, aber nicht die
Aufregung der Menschen. Zur Ruhe konnten die Män¬
ner noch nicht; die Angst um das Unbekannte, was
geschehen war, der Trieb, zu vernehmen, was Andere
wußten, trieb sie zusammen zu den Schoppen, von
denen die Emme sie abgerufen hatte. Und wie auf
Windesflügeln flog allerlei Kunde den Fluß hinauf,
den Fluß hinab, man wußte nicht wer sie brachte, wo¬
her sie kam; aber einem elektrischen Schlage gleich war
sie in allen Ohren, und jeder Mund sprach gläubig sie
nach. Eine halbes Dutzend Dörfer sollten zerstört, unge¬
zählte Menschenleben verloren gegangen seien; Viele
nannte man mit Namen, erzählte ihres Todes Art und
Weise. Mit der Ruegsaubrücke sollten wenigstens fünf¬
zig Leben dem Tode zur Beute geworden sein; mit dem
Lochbachsteg nicht ganz so viele, aber desto vornehmere,
und wie die Brücken zu Burgdorf, Kirchberg und Bät¬
terkinden gebrochen worden, wußte man ganz genau.

Neben dem, was in der Ferne sich zugetragen, er¬
zählte man sich Dinge, die an Ort und Stelle vorge¬
fallen sein sollten, die von befreundeten Augen gesehen
worden, und wer sie einmal weiter erzählt, bildete sich
das Zweitemal in der innigen Ueberzeugungen an ihre
Wahrheit ein, sie selbst gesehen zu haben.

Noch auf der Brücke von Lützelflüh erzählte man
sich von Kühen, welche lebendig darunter durchge¬
schwommen, von einem Kinde, das schlafend in der
Wiege, von Männern, welche auf einer Tanne unter
der Brücke durchgeritten vor Aller Augen. Man erzählte:
Auf dem Klapperplatze, eine Stunde oberhalb Lützelflüh

in Nacht war das grauſe Bild verſunken, im Donner
der Fluth hörte man es an ſich vorüber fahren.

Endlich, ſchon 10 Uhr wars, nahmen die Waſſer
ab; die größte Gefahr war vorüber, aber nicht die
Aufregung der Menſchen. Zur Ruhe konnten die Män¬
ner noch nicht; die Angſt um das Unbekannte, was
geſchehen war, der Trieb, zu vernehmen, was Andere
wußten, trieb ſie zuſammen zu den Schoppen, von
denen die Emme ſie abgerufen hatte. Und wie auf
Windesflügeln flog allerlei Kunde den Fluß hinauf,
den Fluß hinab, man wußte nicht wer ſie brachte, wo¬
her ſie kam; aber einem elektriſchen Schlage gleich war
ſie in allen Ohren, und jeder Mund ſprach gläubig ſie
nach. Eine halbes Dutzend Dörfer ſollten zerſtört, unge¬
zählte Menſchenleben verloren gegangen ſeien; Viele
nannte man mit Namen, erzählte ihres Todes Art und
Weiſe. Mit der Ruegsaubrücke ſollten wenigſtens fünf¬
zig Leben dem Tode zur Beute geworden ſein; mit dem
Lochbachſteg nicht ganz ſo viele, aber deſto vornehmere,
und wie die Brücken zu Burgdorf, Kirchberg und Bät¬
terkinden gebrochen worden, wußte man ganz genau.

Neben dem, was in der Ferne ſich zugetragen, er¬
zählte man ſich Dinge, die an Ort und Stelle vorge¬
fallen ſein ſollten, die von befreundeten Augen geſehen
worden, und wer ſie einmal weiter erzählt, bildete ſich
das Zweitemal in der innigen Ueberzeugungen an ihre
Wahrheit ein, ſie ſelbſt geſehen zu haben.

Noch auf der Brücke von Lützelflüh erzählte man
ſich von Kühen, welche lebendig darunter durchge¬
ſchwommen, von einem Kinde, das ſchlafend in der
Wiege, von Männern, welche auf einer Tanne unter
der Brücke durchgeritten vor Aller Augen. Man erzählte:
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[121/0131] in Nacht war das grauſe Bild verſunken, im Donner der Fluth hörte man es an ſich vorüber fahren. Endlich, ſchon 10 Uhr wars, nahmen die Waſſer ab; die größte Gefahr war vorüber, aber nicht die Aufregung der Menſchen. Zur Ruhe konnten die Män¬ ner noch nicht; die Angſt um das Unbekannte, was geſchehen war, der Trieb, zu vernehmen, was Andere wußten, trieb ſie zuſammen zu den Schoppen, von denen die Emme ſie abgerufen hatte. Und wie auf Windesflügeln flog allerlei Kunde den Fluß hinauf, den Fluß hinab, man wußte nicht wer ſie brachte, wo¬ her ſie kam; aber einem elektriſchen Schlage gleich war ſie in allen Ohren, und jeder Mund ſprach gläubig ſie nach. Eine halbes Dutzend Dörfer ſollten zerſtört, unge¬ zählte Menſchenleben verloren gegangen ſeien; Viele nannte man mit Namen, erzählte ihres Todes Art und Weiſe. Mit der Ruegsaubrücke ſollten wenigſtens fünf¬ zig Leben dem Tode zur Beute geworden ſein; mit dem Lochbachſteg nicht ganz ſo viele, aber deſto vornehmere, und wie die Brücken zu Burgdorf, Kirchberg und Bät¬ terkinden gebrochen worden, wußte man ganz genau. Neben dem, was in der Ferne ſich zugetragen, er¬ zählte man ſich Dinge, die an Ort und Stelle vorge¬ fallen ſein ſollten, die von befreundeten Augen geſehen worden, und wer ſie einmal weiter erzählt, bildete ſich das Zweitemal in der innigen Ueberzeugungen an ihre Wahrheit ein, ſie ſelbſt geſehen zu haben. Noch auf der Brücke von Lützelflüh erzählte man ſich von Kühen, welche lebendig darunter durchge¬ ſchwommen, von einem Kinde, das ſchlafend in der Wiege, von Männern, welche auf einer Tanne unter der Brücke durchgeritten vor Aller Augen. Man erzählte: Auf dem Klapperplatze, eine Stunde oberhalb Lützelflüh

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/131>, abgerufen am 24.11.2024.