Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842.Tigerin gleich, der man die Jungen geraubt, es glaubte Tigerin gleich, der man die Jungen geraubt, es glaubte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="106"/> Tigerin gleich, der man die Jungen geraubt, es glaubte<lb/> an den ſchändlichſten Verrath. Es achtete ſich ſeines<lb/> Winkens nicht, hörte nicht die Worte aus ſeiner keu¬<lb/> chenden Bruſt, ſtürzte in ſeine vorgeſtreckten Hände,<lb/> klammerte an ſie ſich an; in Todtesangſt muß er die<lb/> Wüthende ſchleppen zum Hauſe herein, muß frei die<lb/> Arme kämpfen, ehe es ihm gelingt, ins Loch die Spinne<lb/> zu drängen, mit ſterbenden Händen den Zapfen vorzu¬<lb/> ſchlagen. Er vermags mit Gottes Hülfe. Den ſterben¬<lb/> den Blick wirft er auf die Kinder, hold lächeln ſie im<lb/> Schlafe. Da wird es ihm leicht, eine höhere Hand<lb/> ſchien ſeine Gluth zu löſchen, und laut betend ſchließt<lb/> er zum Tode ſeine Augen, und Frieden und Freude<lb/> fanden die auf ſeinem Geſichte, die vorſichtig und angſt¬<lb/> voll kamen, zu ſchauen, wo das Weib geblieben. Er¬<lb/> ſtaunt ſahen ſie das Loch verſchlagen, aber das Weib<lb/> fanden ſie verſengt und verzerrt im Tode liegen; an<lb/> Chriſtens Hand hatte ſie den feurigen Tod geholt. Noch<lb/> ſtanden ſie und wußten nicht, was geſchehen war, als<lb/> mit dem Kinde das Bübchen wiederkehrte, vom Prieſter<lb/> begleitet, der das Kind ſchnell getauft nach damaliger<lb/> Sitte, und wohlgerüſtet und muthvoll dem gleichen<lb/> Kampfe entgegen gehen wollte, in dem ſein Vorgänger<lb/> ſiegreich das Leben gelaſſen. Aber ein ſolch Opfer for¬<lb/> derte Gott nicht von ihm, den Kampf hatte ſchon ein<lb/> Anderer beſtanden. Lange faßten die Leute nicht, welch<lb/> große That Chriſten vollbracht. Als ihnen endlich Glaube<lb/> und Erkenntniß kam, da beteten ſie freudig mit dem Prie¬<lb/> ſter, dankten Gott für das neu geſchenkte Leben, und für<lb/> die Kraft, die er Chriſten gegeben. Dieſem aber baten<lb/> ſie im Tode noch ihr Unrecht ab, und beſchloſſen mit<lb/> hohen Ehren ihn zu begraben und ſein Andenken ſtellte<lb/> ſich glorreich wie das eines Heiligen in Aller Seelen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [106/0116]
Tigerin gleich, der man die Jungen geraubt, es glaubte
an den ſchändlichſten Verrath. Es achtete ſich ſeines
Winkens nicht, hörte nicht die Worte aus ſeiner keu¬
chenden Bruſt, ſtürzte in ſeine vorgeſtreckten Hände,
klammerte an ſie ſich an; in Todtesangſt muß er die
Wüthende ſchleppen zum Hauſe herein, muß frei die
Arme kämpfen, ehe es ihm gelingt, ins Loch die Spinne
zu drängen, mit ſterbenden Händen den Zapfen vorzu¬
ſchlagen. Er vermags mit Gottes Hülfe. Den ſterben¬
den Blick wirft er auf die Kinder, hold lächeln ſie im
Schlafe. Da wird es ihm leicht, eine höhere Hand
ſchien ſeine Gluth zu löſchen, und laut betend ſchließt
er zum Tode ſeine Augen, und Frieden und Freude
fanden die auf ſeinem Geſichte, die vorſichtig und angſt¬
voll kamen, zu ſchauen, wo das Weib geblieben. Er¬
ſtaunt ſahen ſie das Loch verſchlagen, aber das Weib
fanden ſie verſengt und verzerrt im Tode liegen; an
Chriſtens Hand hatte ſie den feurigen Tod geholt. Noch
ſtanden ſie und wußten nicht, was geſchehen war, als
mit dem Kinde das Bübchen wiederkehrte, vom Prieſter
begleitet, der das Kind ſchnell getauft nach damaliger
Sitte, und wohlgerüſtet und muthvoll dem gleichen
Kampfe entgegen gehen wollte, in dem ſein Vorgänger
ſiegreich das Leben gelaſſen. Aber ein ſolch Opfer for¬
derte Gott nicht von ihm, den Kampf hatte ſchon ein
Anderer beſtanden. Lange faßten die Leute nicht, welch
große That Chriſten vollbracht. Als ihnen endlich Glaube
und Erkenntniß kam, da beteten ſie freudig mit dem Prie¬
ſter, dankten Gott für das neu geſchenkte Leben, und für
die Kraft, die er Chriſten gegeben. Dieſem aber baten
ſie im Tode noch ihr Unrecht ab, und beſchloſſen mit
hohen Ehren ihn zu begraben und ſein Andenken ſtellte
ſich glorreich wie das eines Heiligen in Aller Seelen.
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