Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842."Jetzt auf einmal wußten Alle, daß Christen das Er aber betete Tag und Nacht zu Gott, daß er „Jetzt auf einmal wußten Alle, daß Chriſten das Er aber betete Tag und Nacht zu Gott, daß er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0112" n="102"/> <p>„Jetzt auf einmal wußten Alle, daß Chriſten das<lb/> alte Haus nicht hätte verlaſſen, das Geſinde nicht ſich<lb/> ſelbſt überlaſſen ſollen. Auf einmal wußten Alle, daß<lb/> der Meiſter für ſein Geſinde mehr oder minder verant¬<lb/> wortlich ſei, daß er wachen ſolle über Beten und Eſſen,<lb/> wehren ſolle gottloſem Leben, gottloſen Reden und gott¬<lb/> loſem Schänden der Gaben Gottes. Jetzt war Allen<lb/> auf einmal Hoffart und Hochmuth vergangen, ſie tha¬<lb/> ten dieſe Laſter in die unterſte Hölle hinunter, und hät¬<lb/> ten es kaum Gott geglaubt, daß ſie dieſelben noch vor<lb/> wenig Tagen ſo ſchmählich an ſich getragen; ſie waren<lb/> Alle wieder fromm, hatten die ſchlechteſten Kleider an,<lb/> und die alten verachteten Roſenkränze wieder in den<lb/> Händen, und überredeten ſich ſelbſt, ſie ſeien immer<lb/> gleich fromm geweſen, und an ihnen fehlte es nicht,<lb/> daß ſie Gott nicht das Gleiche überredeten. Chriſten<lb/> allein unter ihnen Allen ſollte gottlos ſein, und Flüche<lb/> wie Berge kamen von allen Seiten auf ihn her. Und<lb/> war er doch vielleicht unter Allen der Beſte; aber ſein<lb/> Wille lag gebunden in ſeiner Weiber Willen, und die¬<lb/> ſes Gebundenſein iſt allerdings eine ſchwere Schuld für<lb/> jeden Mann, und ſchwerer Verantwortung entrinnt er<lb/> nicht, weil er anders iſt, als Gott ihn will. Das ſah<lb/> Chriſten auch ein, darum war er nicht trotzig, pochte<lb/> nicht, gab ſich ſchuldiger dar, als er war; aber damit<lb/> verſöhnte er die Leute nicht, erſt jetzt ſchrien ſie einan¬<lb/> der zu, wie groß ſeine Schuld ſein müſſe, da er ſo<lb/> viel auf ſich nehme, ſo weit ſich unterziehe, er ja ſelbſt<lb/> bekenne, er ſei nichts werth.</p><lb/> <p>Er aber betete Tag und Nacht zu Gott, daß er<lb/> das Uebel wende; aber es ward ſchrecklicher von Tag<lb/> zu Tag. Er ward es inne, daß er gut machen müſſe,<lb/> was er gefehlt, daß er ſich ſelbſt zum Opfer geben<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [102/0112]
„Jetzt auf einmal wußten Alle, daß Chriſten das
alte Haus nicht hätte verlaſſen, das Geſinde nicht ſich
ſelbſt überlaſſen ſollen. Auf einmal wußten Alle, daß
der Meiſter für ſein Geſinde mehr oder minder verant¬
wortlich ſei, daß er wachen ſolle über Beten und Eſſen,
wehren ſolle gottloſem Leben, gottloſen Reden und gott¬
loſem Schänden der Gaben Gottes. Jetzt war Allen
auf einmal Hoffart und Hochmuth vergangen, ſie tha¬
ten dieſe Laſter in die unterſte Hölle hinunter, und hät¬
ten es kaum Gott geglaubt, daß ſie dieſelben noch vor
wenig Tagen ſo ſchmählich an ſich getragen; ſie waren
Alle wieder fromm, hatten die ſchlechteſten Kleider an,
und die alten verachteten Roſenkränze wieder in den
Händen, und überredeten ſich ſelbſt, ſie ſeien immer
gleich fromm geweſen, und an ihnen fehlte es nicht,
daß ſie Gott nicht das Gleiche überredeten. Chriſten
allein unter ihnen Allen ſollte gottlos ſein, und Flüche
wie Berge kamen von allen Seiten auf ihn her. Und
war er doch vielleicht unter Allen der Beſte; aber ſein
Wille lag gebunden in ſeiner Weiber Willen, und die¬
ſes Gebundenſein iſt allerdings eine ſchwere Schuld für
jeden Mann, und ſchwerer Verantwortung entrinnt er
nicht, weil er anders iſt, als Gott ihn will. Das ſah
Chriſten auch ein, darum war er nicht trotzig, pochte
nicht, gab ſich ſchuldiger dar, als er war; aber damit
verſöhnte er die Leute nicht, erſt jetzt ſchrien ſie einan¬
der zu, wie groß ſeine Schuld ſein müſſe, da er ſo
viel auf ſich nehme, ſo weit ſich unterziehe, er ja ſelbſt
bekenne, er ſei nichts werth.
Er aber betete Tag und Nacht zu Gott, daß er
das Uebel wende; aber es ward ſchrecklicher von Tag
zu Tag. Er ward es inne, daß er gut machen müſſe,
was er gefehlt, daß er ſich ſelbſt zum Opfer geben
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/112>, abgerufen am 23.07.2024. |