fremde Weiber brachten und mehrten beides. Die Klei¬ der wurden hoffärtiger, Kleinode sah man glänzen, ja selbst an die heiligen Zeichen wagte die Hoffart sich, und statt daß ihre Herzen während dem Beten inbrünstig bei Gott gewesen wären, hingen ihre Augen hoffärtig an den goldenen Kugeln ihres Rosenkranzes. So ward ihr Gottesdienst Pracht und Hoffart, ihre Herzen aber hart gegen Gott und Menschen. Um Gottes Gebote bekümmerte man sich nicht; seines Dienstes seiner Die¬ ner spottete man; denn wo viel Hoffart ist oder viel Geld, da kömmt gerne der Wahn, daß man seine Ge¬ lüsten für Weisheit hält, und diese Weisheit höher als Gottes Weisheit. Wie sie früher von den Rittern ge¬ plagt worden waren, so wurden sie jetzt hart gegen das Gesinde und plagten dieses; und je weniger sie selbst arbeiteten, um so mehr mutheten sie diesem zu, und je mehr sie Arbeit von Knechten und Mägden for¬ derten, um so mehr behandelten sie dieselben wie un¬ vernünftiges Vieh; und daß diese auch Seelen hätten, die zu wahren seien, dachten sie nicht. Wo viel Geld oder viel Hoffart ist, da fängt das Bauen an, Einer schöner als der Andere, und wie früher die Ritter bauten, so bauten jetzt sie, und wie früher die Ritter sie plagten, so schonten sie jetzt weder Gesinde noch Vieh, wenn der Bauteufel über sie kam. Dieser Wandel war auch über dieses Haus gekommen, während der alte Reichthum geblieben war.
"Fast zweihundert Jahre waren verflossen, seit die Spinne im Loche gefangen saß; da war ein schlau und kräftig Weib hier Meister; sie war keine Lindauerin, aber doch glich sie Christine in vielen Stücken. Sie war auch aus der Fremde, der Hoffart, dem Hoch¬ muthe ergeben, und hatte einen einzigen Sohn; der
fremde Weiber brachten und mehrten beides. Die Klei¬ der wurden hoffärtiger, Kleinode ſah man glänzen, ja ſelbſt an die heiligen Zeichen wagte die Hoffart ſich, und ſtatt daß ihre Herzen während dem Beten inbrünſtig bei Gott geweſen wären, hingen ihre Augen hoffärtig an den goldenen Kugeln ihres Roſenkranzes. So ward ihr Gottesdienſt Pracht und Hoffart, ihre Herzen aber hart gegen Gott und Menſchen. Um Gottes Gebote bekümmerte man ſich nicht; ſeines Dienſtes ſeiner Die¬ ner ſpottete man; denn wo viel Hoffart iſt oder viel Geld, da kömmt gerne der Wahn, daß man ſeine Ge¬ lüſten für Weisheit hält, und dieſe Weisheit höher als Gottes Weisheit. Wie ſie früher von den Rittern ge¬ plagt worden waren, ſo wurden ſie jetzt hart gegen das Geſinde und plagten dieſes; und je weniger ſie ſelbſt arbeiteten, um ſo mehr mutheten ſie dieſem zu, und je mehr ſie Arbeit von Knechten und Mägden for¬ derten, um ſo mehr behandelten ſie dieſelben wie un¬ vernünftiges Vieh; und daß dieſe auch Seelen hätten, die zu wahren ſeien, dachten ſie nicht. Wo viel Geld oder viel Hoffart iſt, da fängt das Bauen an, Einer ſchöner als der Andere, und wie früher die Ritter bauten, ſo bauten jetzt ſie, und wie früher die Ritter ſie plagten, ſo ſchonten ſie jetzt weder Geſinde noch Vieh, wenn der Bauteufel über ſie kam. Dieſer Wandel war auch über dieſes Haus gekommen, während der alte Reichthum geblieben war.
„Faſt zweihundert Jahre waren verfloſſen, ſeit die Spinne im Loche gefangen ſaß; da war ein ſchlau und kräftig Weib hier Meiſter; ſie war keine Lindauerin, aber doch glich ſie Chriſtine in vielen Stücken. Sie war auch aus der Fremde, der Hoffart, dem Hoch¬ muthe ergeben, und hatte einen einzigen Sohn; der
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fremde Weiber brachten und mehrten beides. Die Klei¬
der wurden hoffärtiger, Kleinode ſah man glänzen, ja
ſelbſt an die heiligen Zeichen wagte die Hoffart ſich, und
ſtatt daß ihre Herzen während dem Beten inbrünſtig
bei Gott geweſen wären, hingen ihre Augen hoffärtig
an den goldenen Kugeln ihres Roſenkranzes. So ward
ihr Gottesdienſt Pracht und Hoffart, ihre Herzen aber
hart gegen Gott und Menſchen. Um Gottes Gebote
bekümmerte man ſich nicht; ſeines Dienſtes ſeiner Die¬
ner ſpottete man; denn wo viel Hoffart iſt oder viel
Geld, da kömmt gerne der Wahn, daß man ſeine Ge¬
lüſten für Weisheit hält, und dieſe Weisheit höher als
Gottes Weisheit. Wie ſie früher von den Rittern ge¬
plagt worden waren, ſo wurden ſie jetzt hart gegen
das Geſinde und plagten dieſes; und je weniger ſie
ſelbſt arbeiteten, um ſo mehr mutheten ſie dieſem zu,
und je mehr ſie Arbeit von Knechten und Mägden for¬
derten, um ſo mehr behandelten ſie dieſelben wie un¬
vernünftiges Vieh; und daß dieſe auch Seelen hätten,
die zu wahren ſeien, dachten ſie nicht. Wo viel Geld
oder viel Hoffart iſt, da fängt das Bauen an, Einer
ſchöner als der Andere, und wie früher die Ritter
bauten, ſo bauten jetzt ſie, und wie früher die Ritter
ſie plagten, ſo ſchonten ſie jetzt weder Geſinde noch
Vieh, wenn der Bauteufel über ſie kam. Dieſer Wandel
war auch über dieſes Haus gekommen, während der
alte Reichthum geblieben war.
„Faſt zweihundert Jahre waren verfloſſen, ſeit die
Spinne im Loche gefangen ſaß; da war ein ſchlau und
kräftig Weib hier Meiſter; ſie war keine Lindauerin,
aber doch glich ſie Chriſtine in vielen Stücken. Sie
war auch aus der Fremde, der Hoffart, dem Hoch¬
muthe ergeben, und hatte einen einzigen Sohn; der
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/102>, abgerufen am 16.06.2024.
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