Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gedacht, ich könnte Sie fragen. Sie wüßten es am Besten. Zu Ihnen hätte ich das Zutrauen, mehr als zu Jemanden sonst. Tante soll Nichts davon wissen, es schmerzte sie viel zu sehr, wenn sie wüßte, wie weit es mit mir ist. Erschöpft schwieg Luise, und dienstfertig, nachdem er noch einmal erst sein Bedauern, daß sie so unwohl sei, und dann seine Hoffnung, daß sie doch nicht so unwohl sei, als sie glaube, ausgedrückt hatte, begann Herr Stößli ihr die nothwendigen Formalitäten auseinanderzusetzen, und wie ein Testament beschaffen sein müsse, um gültig zu sein. Das sei keine schwere Sache, sagte er; wenn man einmal wisse, wie man disponiren wolle, so sei die Sache bald geschrieben. Am Besten freilich sei es immer, wenn die Zeit es erlaube, man mache erst seinen Aufsatz, gebe seinen Willen dem Notar kund, der könne die Sache gehörig zu Faden schlagen, es gehe dann um so schneller, wenn die Sache gültig ausgefertigt werden solle, und sei für die Zeugen und den Testator äußerst angenehm. Wenn es der Jungfer Luise wohl genug sei und sie das Vertrauen zu ihm habe, so könnte er ihr gleich einen flüchtigen Entwurf machen; wenn man es auf dem Papier habe, so komme einem das Eine oder das Andere in Sinn, man übersehe das Ganze besser. Der Notar wußte, daß, wenn man einen Fisch vor dem Garn habe, es am Besten sei, nicht zu rasten, bis man ihn darin habe. Vielleicht nahm es ihn auch Wunder, worüber Jungfer Luise, von deren Vermögen er nie was gehört, eigentlich zu testiren habe. Der Vorschlag hatte Luise ganz roth gemacht, wieder eng ward es ihr auf der Brust, mit Mühe sagte sie: Ach, wie gut Ihr doch seid; aber diese Mühe darf ich Euch nicht machen! Ei warum nicht? sagte Herr Stößli, nahm aus seiner Brieftasche das nöthige Schreibzeug und schrieb kürzlich den schönen Eingang, wie man seine Seele der Gnade Gottes empfehle, sein zeitlich Gut aber in folgende Hände geben wolle. Luise weinte, als er ihr das vorlas. Er wolle es noch schöner machen in der Ausfertigung, sagte Herr Stößli, das sei nur gedacht, ich könnte Sie fragen. Sie wüßten es am Besten. Zu Ihnen hätte ich das Zutrauen, mehr als zu Jemanden sonst. Tante soll Nichts davon wissen, es schmerzte sie viel zu sehr, wenn sie wüßte, wie weit es mit mir ist. Erschöpft schwieg Luise, und dienstfertig, nachdem er noch einmal erst sein Bedauern, daß sie so unwohl sei, und dann seine Hoffnung, daß sie doch nicht so unwohl sei, als sie glaube, ausgedrückt hatte, begann Herr Stößli ihr die nothwendigen Formalitäten auseinanderzusetzen, und wie ein Testament beschaffen sein müsse, um gültig zu sein. Das sei keine schwere Sache, sagte er; wenn man einmal wisse, wie man disponiren wolle, so sei die Sache bald geschrieben. Am Besten freilich sei es immer, wenn die Zeit es erlaube, man mache erst seinen Aufsatz, gebe seinen Willen dem Notar kund, der könne die Sache gehörig zu Faden schlagen, es gehe dann um so schneller, wenn die Sache gültig ausgefertigt werden solle, und sei für die Zeugen und den Testator äußerst angenehm. Wenn es der Jungfer Luise wohl genug sei und sie das Vertrauen zu ihm habe, so könnte er ihr gleich einen flüchtigen Entwurf machen; wenn man es auf dem Papier habe, so komme einem das Eine oder das Andere in Sinn, man übersehe das Ganze besser. Der Notar wußte, daß, wenn man einen Fisch vor dem Garn habe, es am Besten sei, nicht zu rasten, bis man ihn darin habe. Vielleicht nahm es ihn auch Wunder, worüber Jungfer Luise, von deren Vermögen er nie was gehört, eigentlich zu testiren habe. Der Vorschlag hatte Luise ganz roth gemacht, wieder eng ward es ihr auf der Brust, mit Mühe sagte sie: Ach, wie gut Ihr doch seid; aber diese Mühe darf ich Euch nicht machen! Ei warum nicht? sagte Herr Stößli, nahm aus seiner Brieftasche das nöthige Schreibzeug und schrieb kürzlich den schönen Eingang, wie man seine Seele der Gnade Gottes empfehle, sein zeitlich Gut aber in folgende Hände geben wolle. Luise weinte, als er ihr das vorlas. Er wolle es noch schöner machen in der Ausfertigung, sagte Herr Stößli, das sei nur <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0033"/> gedacht, ich könnte Sie fragen. Sie wüßten es am Besten. Zu Ihnen hätte ich das Zutrauen, mehr als zu Jemanden sonst. Tante soll Nichts davon wissen, es schmerzte sie viel zu sehr, wenn sie wüßte, wie weit es mit mir ist. Erschöpft schwieg Luise, und dienstfertig, nachdem er noch einmal erst sein Bedauern, daß sie so unwohl sei, und dann seine Hoffnung, daß sie doch nicht so unwohl sei, als sie glaube, ausgedrückt hatte, begann Herr Stößli ihr die nothwendigen Formalitäten auseinanderzusetzen, und wie ein Testament beschaffen sein müsse, um gültig zu sein. Das sei keine schwere Sache, sagte er; wenn man einmal wisse, wie man disponiren wolle, so sei die Sache bald geschrieben. Am Besten freilich sei es immer, wenn die Zeit es erlaube, man mache erst seinen Aufsatz, gebe seinen Willen dem Notar kund, der könne die Sache gehörig zu Faden schlagen, es gehe dann um so schneller, wenn die Sache gültig ausgefertigt werden solle, und sei für die Zeugen und den Testator äußerst angenehm. Wenn es der Jungfer Luise wohl genug sei und sie das Vertrauen zu ihm habe, so könnte er ihr gleich einen flüchtigen Entwurf machen; wenn man es auf dem Papier habe, so komme einem das Eine oder das Andere in Sinn, man übersehe das Ganze besser. Der Notar wußte, daß, wenn man einen Fisch vor dem Garn habe, es am Besten sei, nicht zu rasten, bis man ihn darin habe. Vielleicht nahm es ihn auch Wunder, worüber Jungfer Luise, von deren Vermögen er nie was gehört, eigentlich zu testiren habe. Der Vorschlag hatte Luise ganz roth gemacht, wieder eng ward es ihr auf der Brust, mit Mühe sagte sie: Ach, wie gut Ihr doch seid; aber diese Mühe darf ich Euch nicht machen! Ei warum nicht? sagte Herr Stößli, nahm aus seiner Brieftasche das nöthige Schreibzeug und schrieb kürzlich den schönen Eingang, wie man seine Seele der Gnade Gottes empfehle, sein zeitlich Gut aber in folgende Hände geben wolle. Luise weinte, als er ihr das vorlas. Er wolle es noch schöner machen in der Ausfertigung, sagte Herr Stößli, das sei nur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
gedacht, ich könnte Sie fragen. Sie wüßten es am Besten. Zu Ihnen hätte ich das Zutrauen, mehr als zu Jemanden sonst. Tante soll Nichts davon wissen, es schmerzte sie viel zu sehr, wenn sie wüßte, wie weit es mit mir ist. Erschöpft schwieg Luise, und dienstfertig, nachdem er noch einmal erst sein Bedauern, daß sie so unwohl sei, und dann seine Hoffnung, daß sie doch nicht so unwohl sei, als sie glaube, ausgedrückt hatte, begann Herr Stößli ihr die nothwendigen Formalitäten auseinanderzusetzen, und wie ein Testament beschaffen sein müsse, um gültig zu sein. Das sei keine schwere Sache, sagte er; wenn man einmal wisse, wie man disponiren wolle, so sei die Sache bald geschrieben. Am Besten freilich sei es immer, wenn die Zeit es erlaube, man mache erst seinen Aufsatz, gebe seinen Willen dem Notar kund, der könne die Sache gehörig zu Faden schlagen, es gehe dann um so schneller, wenn die Sache gültig ausgefertigt werden solle, und sei für die Zeugen und den Testator äußerst angenehm. Wenn es der Jungfer Luise wohl genug sei und sie das Vertrauen zu ihm habe, so könnte er ihr gleich einen flüchtigen Entwurf machen; wenn man es auf dem Papier habe, so komme einem das Eine oder das Andere in Sinn, man übersehe das Ganze besser. Der Notar wußte, daß, wenn man einen Fisch vor dem Garn habe, es am Besten sei, nicht zu rasten, bis man ihn darin habe. Vielleicht nahm es ihn auch Wunder, worüber Jungfer Luise, von deren Vermögen er nie was gehört, eigentlich zu testiren habe. Der Vorschlag hatte Luise ganz roth gemacht, wieder eng ward es ihr auf der Brust, mit Mühe sagte sie: Ach, wie gut Ihr doch seid; aber diese Mühe darf ich Euch nicht machen! Ei warum nicht? sagte Herr Stößli, nahm aus seiner Brieftasche das nöthige Schreibzeug und schrieb kürzlich den schönen Eingang, wie man seine Seele der Gnade Gottes empfehle, sein zeitlich Gut aber in folgende Hände geben wolle. Luise weinte, als er ihr das vorlas. Er wolle es noch schöner machen in der Ausfertigung, sagte Herr Stößli, das sei nur
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/33 |
Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/33>, abgerufen am 04.07.2024. |