Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht dabei sein, möchte ab diesem oder jenem Bocksbart ein absonderlich Trinken sein. Die Frau Seimeisterin war anderer Meinung. Sie hielt dafür, die Kost der Frau Spendvögtin sei nicht gut für Luise, die sollte nicht bloß Kaffee trinken, sondern tüchtig Fleisch essen, Brat- und andere Würste, gebratene Kartoffeln, kurz so was Währschaftes, Tüchtiges; die Krankheit liege sicherlich im Magen, und wenn alle Glieder schwach würden, so wüßte sie nicht, warum nicht auch das Hirn schwachen und das Gedächtniß abnehmen müßte. Andere hatten andere Meinungen, schlugen andere Mittel vor, und da alle Tage die Consultationen von vornen anfingen, aber nicht zu Ende kamen, so blieb Luise einstweilen mit Schröpfen und Bocksbart verschont.

Diese Uneinigkeit kam Luise sehr zu statten, sonst hätte sich an ihr das Sprichwort erwahren können: viele Köche versalzen den Brei, und viele Hunde sind des Hasen Tod. Wenn sie der Reihe nach alle Mittel hätte gebrauchen sollen, welche die Meisterinnen, Vögtinnen und Herrinnen ihr verordnet, das Ding hätte schlimm kommen können. Luise war krank, aber sie wußte allein, wo es ihr fehlte; aber wie helfen, das wußte sie nicht, und doch trieb sie der Instinct der Selbsterhaltung, Heilmittel zu suchen. Dieser Instinct geht zuweilen über alle Doctoren, er fordert Dinge, welche der Arzt auf das schärfste verboten hat; kalte Milch z. B. in heißen Fiebern, und zum großen Erstaunen von männiglich weicht die Krankheit, und gesund wird der Mensch. Solcher Instinct stellt sich aber zumeist nur ein, wenn die Krankheit den Höhepunkt erreicht hat, die Krisis naht, das Leben des Menschen in der Schwebe ist. So war es wirklich auch mit Luise, sie war ein Schatten geworden, nur fiel es an ihr weniger auf, weil sie nie eine blendende Erscheinung gewesen. Und weiß Gott, wie manchen Tag Luise es noch gemacht hätte, wenn sie nicht eines Morgens früh zu Marei, der Magd, welche ihr wohlwollte, gesagt hätte: Marei, willst mir einen Gefallen thun, aber versprechen, keinem Sterbens-

nicht dabei sein, möchte ab diesem oder jenem Bocksbart ein absonderlich Trinken sein. Die Frau Seimeisterin war anderer Meinung. Sie hielt dafür, die Kost der Frau Spendvögtin sei nicht gut für Luise, die sollte nicht bloß Kaffee trinken, sondern tüchtig Fleisch essen, Brat- und andere Würste, gebratene Kartoffeln, kurz so was Währschaftes, Tüchtiges; die Krankheit liege sicherlich im Magen, und wenn alle Glieder schwach würden, so wüßte sie nicht, warum nicht auch das Hirn schwachen und das Gedächtniß abnehmen müßte. Andere hatten andere Meinungen, schlugen andere Mittel vor, und da alle Tage die Consultationen von vornen anfingen, aber nicht zu Ende kamen, so blieb Luise einstweilen mit Schröpfen und Bocksbart verschont.

Diese Uneinigkeit kam Luise sehr zu statten, sonst hätte sich an ihr das Sprichwort erwahren können: viele Köche versalzen den Brei, und viele Hunde sind des Hasen Tod. Wenn sie der Reihe nach alle Mittel hätte gebrauchen sollen, welche die Meisterinnen, Vögtinnen und Herrinnen ihr verordnet, das Ding hätte schlimm kommen können. Luise war krank, aber sie wußte allein, wo es ihr fehlte; aber wie helfen, das wußte sie nicht, und doch trieb sie der Instinct der Selbsterhaltung, Heilmittel zu suchen. Dieser Instinct geht zuweilen über alle Doctoren, er fordert Dinge, welche der Arzt auf das schärfste verboten hat; kalte Milch z. B. in heißen Fiebern, und zum großen Erstaunen von männiglich weicht die Krankheit, und gesund wird der Mensch. Solcher Instinct stellt sich aber zumeist nur ein, wenn die Krankheit den Höhepunkt erreicht hat, die Krisis naht, das Leben des Menschen in der Schwebe ist. So war es wirklich auch mit Luise, sie war ein Schatten geworden, nur fiel es an ihr weniger auf, weil sie nie eine blendende Erscheinung gewesen. Und weiß Gott, wie manchen Tag Luise es noch gemacht hätte, wenn sie nicht eines Morgens früh zu Marei, der Magd, welche ihr wohlwollte, gesagt hätte: Marei, willst mir einen Gefallen thun, aber versprechen, keinem Sterbens-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0030"/>
nicht dabei sein, möchte ab diesem oder jenem Bocksbart ein absonderlich Trinken                sein. Die Frau Seimeisterin war anderer Meinung. Sie hielt dafür, die Kost der Frau                Spendvögtin sei nicht gut für Luise, die sollte nicht bloß Kaffee trinken, sondern                tüchtig Fleisch essen, Brat- und andere Würste, gebratene Kartoffeln, kurz so was                Währschaftes, Tüchtiges; die Krankheit liege sicherlich im Magen, und wenn alle                Glieder schwach würden, so wüßte sie nicht, warum nicht auch das Hirn schwachen und                das Gedächtniß abnehmen müßte. Andere hatten andere Meinungen, schlugen andere Mittel                vor, und da alle Tage die Consultationen von vornen anfingen, aber nicht zu Ende                kamen, so blieb Luise einstweilen mit Schröpfen und Bocksbart verschont.</p><lb/>
        <p>Diese Uneinigkeit kam Luise sehr zu statten, sonst hätte sich an ihr das Sprichwort                erwahren können: viele Köche versalzen den Brei, und viele Hunde sind des Hasen Tod.                Wenn sie der Reihe nach alle Mittel hätte gebrauchen sollen, welche die Meisterinnen,                Vögtinnen und Herrinnen ihr verordnet, das Ding hätte schlimm kommen können. Luise                war krank, aber sie wußte allein, wo es ihr fehlte; aber wie helfen, das wußte sie                nicht, und doch trieb sie der Instinct der Selbsterhaltung, Heilmittel zu suchen.                Dieser Instinct geht zuweilen über alle Doctoren, er fordert Dinge, welche der Arzt                auf das schärfste verboten hat; kalte Milch z. B. in heißen Fiebern, und zum großen                Erstaunen von männiglich weicht die Krankheit, und gesund wird der Mensch. Solcher                Instinct stellt sich aber zumeist nur ein, wenn die Krankheit den Höhepunkt erreicht                hat, die Krisis naht, das Leben des Menschen in der Schwebe ist. So war es wirklich                auch mit Luise, sie war ein Schatten geworden, nur fiel es an ihr weniger auf, weil                sie nie eine blendende Erscheinung gewesen. Und weiß Gott, wie manchen Tag Luise es                noch gemacht hätte, wenn sie nicht eines Morgens früh zu Marei, der Magd, welche ihr                wohlwollte, gesagt hätte: Marei, willst mir einen Gefallen thun, aber versprechen,                keinem Sterbens-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] nicht dabei sein, möchte ab diesem oder jenem Bocksbart ein absonderlich Trinken sein. Die Frau Seimeisterin war anderer Meinung. Sie hielt dafür, die Kost der Frau Spendvögtin sei nicht gut für Luise, die sollte nicht bloß Kaffee trinken, sondern tüchtig Fleisch essen, Brat- und andere Würste, gebratene Kartoffeln, kurz so was Währschaftes, Tüchtiges; die Krankheit liege sicherlich im Magen, und wenn alle Glieder schwach würden, so wüßte sie nicht, warum nicht auch das Hirn schwachen und das Gedächtniß abnehmen müßte. Andere hatten andere Meinungen, schlugen andere Mittel vor, und da alle Tage die Consultationen von vornen anfingen, aber nicht zu Ende kamen, so blieb Luise einstweilen mit Schröpfen und Bocksbart verschont. Diese Uneinigkeit kam Luise sehr zu statten, sonst hätte sich an ihr das Sprichwort erwahren können: viele Köche versalzen den Brei, und viele Hunde sind des Hasen Tod. Wenn sie der Reihe nach alle Mittel hätte gebrauchen sollen, welche die Meisterinnen, Vögtinnen und Herrinnen ihr verordnet, das Ding hätte schlimm kommen können. Luise war krank, aber sie wußte allein, wo es ihr fehlte; aber wie helfen, das wußte sie nicht, und doch trieb sie der Instinct der Selbsterhaltung, Heilmittel zu suchen. Dieser Instinct geht zuweilen über alle Doctoren, er fordert Dinge, welche der Arzt auf das schärfste verboten hat; kalte Milch z. B. in heißen Fiebern, und zum großen Erstaunen von männiglich weicht die Krankheit, und gesund wird der Mensch. Solcher Instinct stellt sich aber zumeist nur ein, wenn die Krankheit den Höhepunkt erreicht hat, die Krisis naht, das Leben des Menschen in der Schwebe ist. So war es wirklich auch mit Luise, sie war ein Schatten geworden, nur fiel es an ihr weniger auf, weil sie nie eine blendende Erscheinung gewesen. Und weiß Gott, wie manchen Tag Luise es noch gemacht hätte, wenn sie nicht eines Morgens früh zu Marei, der Magd, welche ihr wohlwollte, gesagt hätte: Marei, willst mir einen Gefallen thun, aber versprechen, keinem Sterbens-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:45:11Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:45:11Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/30
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_notar_1910/30>, abgerufen am 22.11.2024.