Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen und glauben, wie Ungeweihte es oft thun, als ob solche Zusammenkünfte bloß stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist geht dabei noch etwas Anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand bietet, den Zweck zu erreichen. Den Herrn von Denz freute es wirklich, als er Kurt lebendig antraf und nicht todt, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege der Besserung; nun hatte er Jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, so lange er wollte. Daß Kurt ihn selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den schlechten Schulmeistern, welche Wohlleben am Reden und sich nicht darum kümmern, höre Jemand oder Niemand ordentlich zu. Desto besser merkten die Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft geht, wenn die Gelegenheiten rar sind und der Wille gut wäre. Kunigunde, die mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte sein müssen, wenn sie aber auch keinen bekam, hintersinnete sie sich deßwegen doch nicht; sie dachte, Alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde desto besser. Anders war es mit Brigitte, der

ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen und glauben, wie Ungeweihte es oft thun, als ob solche Zusammenkünfte bloß stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist geht dabei noch etwas Anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand bietet, den Zweck zu erreichen. Den Herrn von Denz freute es wirklich, als er Kurt lebendig antraf und nicht todt, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege der Besserung; nun hatte er Jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, so lange er wollte. Daß Kurt ihn selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den schlechten Schulmeistern, welche Wohlleben am Reden und sich nicht darum kümmern, höre Jemand oder Niemand ordentlich zu. Desto besser merkten die Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft geht, wenn die Gelegenheiten rar sind und der Wille gut wäre. Kunigunde, die mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte sein müssen, wenn sie aber auch keinen bekam, hintersinnete sie sich deßwegen doch nicht; sie dachte, Alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde desto besser. Anders war es mit Brigitte, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0084"/>
ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen                     und glauben, wie Ungeweihte es oft thun, als ob solche Zusammenkünfte bloß                     stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist                     geht dabei noch etwas Anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft                     so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand                     bietet, den Zweck zu erreichen. Den Herrn von Denz freute es wirklich, als er                     Kurt lebendig antraf und nicht todt, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege                     der Besserung; nun hatte er Jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen                     konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, so lange er wollte. Daß Kurt ihn                     selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit                     ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den                     schlechten Schulmeistern, welche Wohlleben am Reden und sich nicht darum                     kümmern, höre Jemand oder Niemand ordentlich zu. Desto besser merkten die                     Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft                     geht, wenn die Gelegenheiten rar sind und der Wille gut wäre. Kunigunde, die                     mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte                     sein müssen, wenn sie aber auch keinen bekam, hintersinnete sie sich deßwegen                     doch nicht; sie dachte, Alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde                     desto besser. Anders war es mit Brigitte, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] ritt, war er nicht, aber fast gar. Man muß sich jedoch nicht täuschen und glauben, wie Ungeweihte es oft thun, als ob solche Zusammenkünfte bloß stattfänden, um zu schlemmen und zu prassen unter religiösem Scheine; zumeist geht dabei noch etwas Anderes vor, einem Zwecke wird nachgestrebt, freilich oft so, daß die Mehrzahl weder Zweck noch Streben merkt, aber willfährig die Hand bietet, den Zweck zu erreichen. Den Herrn von Denz freute es wirklich, als er Kurt lebendig antraf und nicht todt, und zwar mit raschen Beinen auf dem Wege der Besserung; nun hatte er Jemand, zu dem er sich setzen, dem er erzählen konnte nach Herzenslust, und der mit ihm trank, so lange er wollte. Daß Kurt ihn selten hörte, daß seine Augen immer spazieren gingen und der ganze Kurt mit ihnen, und wohin sie gingen, das merkte der alte Herr nicht, er gehörte zu den schlechten Schulmeistern, welche Wohlleben am Reden und sich nicht darum kümmern, höre Jemand oder Niemand ordentlich zu. Desto besser merkten die Sachlage die älteren Schwestern; sie hätten ihn alle gerne gehabt, wie es oft geht, wenn die Gelegenheiten rar sind und der Wille gut wäre. Kunigunde, die mittlere, war ein gutes Fräulein, sie hätte zwei Männer genommen, wenn es hätte sein müssen, wenn sie aber auch keinen bekam, hintersinnete sie sich deßwegen doch nicht; sie dachte, Alles erzwingen könne man nicht, und fütterte die Hunde desto besser. Anders war es mit Brigitte, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/84
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/84>, abgerufen am 23.11.2024.